»UND WENN’S SCHIEF GEHT, BIST DU SCHULD!«

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Photo: Jacqueline Godany (cropped), © Alle Rechte vorbehalten

Meine Jahre mit Haider (3)

Im Herbst 1995 traf ich Jörg Haider, Susanne Riess, Peter Westenthaler und Gernot Rumpelt in Wien. Nach mehreren Jahren in Indien und Hong Kong lebte ich seit Sommer 1995 in den USA, in Chicago, und hatte eigentlich das Interesse an österreichischer Politik verloren.

Haider überraschte mich mit dem Vorschlag, für die Nationalratswahlen im Dezember zu kandidieren und nach meiner Wahl als Abgeordneter in das Europaparlament zu wechseln. Ich antwortete ihm, dass ich keine Ahnung von österreichischer Innenpolitik und die letzten Jahre im Ausland verbracht hätte, und mich wenig geeignet für einen heimischen Wahlkampf sehen würde. Alle vier versuchten, mich zu beruhigen und versicherten mir, dass sie mich mit den Kleinigkeiten des Wahlkampfs verschonen würden, und ich mich auf Kultur- und Außenpolitik konzentrieren könnte.

Doch es gab noch einen ganz anderen Grund, warum ich ausweichend reagierte. Eine offizielle Kandidatur für die FPÖ war kein einfacher Karrierewechsel. Das Thema »Juden und Politik« war in Österreich belastet und fern jeglicher Normalität. Es gab praktisch keine Juden – außer Kreisky – die in Österreich nach 1945 eine politische Karriere geschafft hatten, weder als jüdische Abgeordnete im Nationalrat, noch in den Bundesländern, Gemeinden oder als Regierungsmitglieder. Dass nun ausgerechnet die Freiheitlichen als erste Partei ein Mitglied der Jüdischen Gemeinde als Kandidaten aufstellten, musste zu aufgeregten Reaktionen führen, und ich war mir nicht sicher, ob ein solches Theater meiner Familie wirklich zumutbar wäre. Ich wollte mir das in Ruhe überlegen und konnte in diesem Moment damals keine Entscheidung treffen.

Dazu kam ein weiteres Problem. Nach meiner Rückkehr aus Asien bekam ich von einem namhaften Deutschen Verlag den Auftrag, die Biographie von Ignatz Bubis, dem Vorsitzenden der Jüdischen Gemeinden in Deutschland, zu schreiben. Ich hatte Bubis mehrere Monate bei seinen Vortragsreisen begleitet und viele Stunden unserer Gespräche auf Tonband aufgenommen. Das Buch sollte 1996 erscheinen, und eine Kandidatur für die Freiheitlichen hätte das Ende des Projektes bedeutet.

Ein paar Tage später versuchte ich Jörg Haider zu erklären, warum ich die Kandidatur nicht annehmen könne. Er war nicht besonders begeistert über meinen Entschluss, schlug jedoch vor, vor der EU-Wahl über eine mögliche Mitarbeit im EU-Parlament zu sprechen. Nach diesem Treffen zog ich mich wieder in die USA zurück.

Hans Janitschek

Einer meiner besten Freunde war damals Hans Janitschek, der ehemalige Generalsekretär der Sozialistischen Internationalen, der als USA-Korrespondent für die Kronen-Zeitung arbeitete. Wir trafen einander regelmäßig in New York, und jedes Treffen mit ihm erlebte ich wie ein Abenteuer. Etwas älter als ich, wirkte er auf mich wie ein Buch mit Erzählungen aus einer vergessenen Zeit, die ich nur als Kind erlebt hatte. Es gab keinen Staatsmann, keinen Künstler, keinen Geschäftsmann, den er nicht kannte oder wenigstens einmal getroffen hatte.

Die eingebildete, kleine, österreichische Community in New York nahm ihn nicht sehr ernst, machte sich lustig über ihn und spottete über sein ungewöhnliches Verhalten und seine Auftritte in Gesellschaften. Er kaufte nur gebrauchte Anzüge, deren Einzelteile oft nicht zusammenpassten oder etwas schäbig und abgetragen wirkten. Ich mochte ihn, weil er dem glattgebügelten Klischee der »Erfolgreichen« in New York nicht entsprach, unberechenbar und aufregend war, und keinerlei falschen Respekt vor Autoritäten hatte.

Haider und Janitschek verstanden sich gut. Janitschek half ihm oft bei der Organisation von Terminen und Gesprächen, wenn Haider nach New York kam, schrieb Reportagen darüber für die Krone und verteidigte ihn eisern gegenüber Vorwürfen, ein Rechtsextremer oder Neo-Nazi zu sein.

Ich lud Hans Janitschek im Frühjahr 1996 nach Chicago ein. Er kam zu mir nach Hause, und ich kochte Schinkenfleckerln, weil ich dachte, er hätte vielleicht gerne etwas aus der »alten Heimat«. Als er am Tisch saß, und ich die Pfanne mit den überbackenen Fleckerln brachte, fragt er mich, was das sei, es rieche so gut. »Schinkenfleckerln«, sagte ich. Er schüttelte den Kopf, starrte auf die Pfanne, und als er mich ansah, konnte ich Tränen in seinen Augen sehen. »Die habe ich das letzte Mal als Kind bei meiner Mutter gegessen«, sagte er leise, bewegte sein Gesicht zur Schüssel und atmete tief durch die Nase ein. Das war Hans Janitschek, wer sonst hätte so reagiert.

Nach endlosen Geschichten aus seiner Jugend und Kindheit versuchte ich das Gespräch auf das Thema zu lenken, warum ich ihn eingeladen hatte. Ich erzählte ihm über meine Treffen mit Jörg Haider, dessen Angebot, bei der EU-Wahl zu kandidieren, und bat ihn, trotz seiner Aktivität bei der Krone nichts über diese Gespräche zu berichten.

»Das musst du unbedingt machen!«, sagte er aufgeregt und vergaß sogar für einen Moment das Abendessen.

»Und was ist mit dem ganzen rechten Sumpf dort? Wie pass‘ ich dort dazu? Und wie werden die anderen reagieren?«, fragte ich ihn.

»Ist doch völlig egal, was die anderen sagen. Das ist eine einmalige Chance. Ich halte Haider bei aller Kritik für den mit Abstand intelligentesten und interessantesten Politiker in Österreich. Ja, sicher, sie werden dich hassen, dich verleumden, dich meiden und verurteilen, aber ich glaube, dich ein wenig zu kennen. Das wird dich nicht aufhalten, das zu tun, was du tun willst«, entgegnete er.

Wir sprachen die halbe Nacht über Politik in Österreich, die FPÖ, alle anderen Parteien und natürlich auch das Problem des Antisemitismus, wofür er größtes Verständnis hatte, weil auch ein Teil seiner Familie jüdischer Abstammung war. Als er um drei Uhr früh ein Taxi rief, um in sein Hotel zu fahren, und ich ihn zum Wagen begleitete, fragte er mich bevor er einstieg:

»Na, was meinst du? Wirst du es machen?«
»Ja«, antwortete ich ihm. »Und wenn’s schief geht, bist du schuld!«
Er lachte, öffnete die Tür des Taxis und stieg ein.

2008, während er wie immer von einem Termin zum anderen eilte, brach er mitten in New York auf der Straße plötzlich zusammen und war tot.

Dies ist die dritte von Peter Sichrovskys neun Erzählungen rund um die Zeit, in der er in der FPÖ aktiv war.

Teil 1: »Nur eine Frage«
Teil 2: »Dann müssen Sie halt auf mich aufpassen!«
Teil 4: Fremdheit in der eigenen Heimat
Teil 5: Brüssel, die kleine Welt der großen Eitelkeiten
Teil 6: Der Höhepunkt des Erfolgs und denkwürdige Reisen
Teil 7: Meine Funktion als jüdische Angelegenheit
Teil 8: Diktatoren und ein Sonderkonto. Der Absturz.
Teil 9: Gescheitert. Das Ende und die Zeit danach.

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Über den Autor / die Autorin

Peter Sichrovsky

Klassische Dilettanten-Karriere, wenig von viel und viel von wenig zu wissen, zu können, nach Studium der Chemie Marketing in Pharmaindustrie, dann Journalist, Schriftsteller, Mit-Gründer des Standards, SZ/Stern Korrespondent in Asien, EU-Parlamentarier, die letzten zehn Jahre Industrie-Karriere in Süd-Ost-Asien, 23 mal übersiedelt und nach Wien, Berlin, New York, München, New Delhi, Singapur, Hong Kong, Manila, Los Angeles und Brüssel in Chicago gelandet. Seit September 2017 lebt Peter Sichrovsky in London.

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