Champagner für alle

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Le Pen hat verloren. Doch Grund zum Jubeln gibt es nicht. Frankreich hat statt der Pest die Cholera gewählt.

Die meisten Sitze in der französischen Nationalversammlung hat künftig der Nouveau Front Populaire (NFP). Das Bündnis aus Linkspopulisten, Sozialisten, Grünen und Kommunisten war in Windeseile knapp vor dem ersten Wahlgang geschmiedet worden, um einen Wahlsieg Marie Le Pens zu verhindern. Mit Erfolg. Statt an der absoluten Mehrheit zu kratzen, landete der Rassemblement National (RN) nur an dritter Stelle der Parlamentswahlen.

Stärkste Fraktion innerhalb des NFP ist La France Insoumise (Das unbeugsame Frankreich, LFI), an dessen Spitze Jean-Luc Mélenchon steht – „ein linksradikaler, antideutscher, antieuropäischer Antisemit“, wie ihn Ulf Poschardt in der WELT charakterisiert. Mélenchon, der mit Erfolg um die Stimmen der arabischen und maghrebinischen Bevölkerung geworben hat, ist nicht weniger putinfreundlich als Le Pen, feiert die Hamas als Widerstandskämpfer, will aus der NATO austreten und fordert einen massiven Ausbau des ohnehin schon desaströs ausufernden französischen Sozialstaats. 

Das Pensionsantrittsalter soll auf 60 Jahre gesenkt, der Mindestlohn auf 1.800 Euro erhöht werden. Ein Deckel für die Preise von Strom, Treibstoff und bestimmten Grundnahrungsmitteln gehört dazu, und natürlich dürfen auch Arbeitszeitverkürzung und massive Investitionen in die grüne Agenda nicht fehlen. Bezahlen sollen das sozialistische Paradies – erraten – die Unternehmer und die „Reichen“. Unter anderem sollen Vermögenssteuern, noch höhere Erbschaftssteuern und eine Reichsfluchtsteuer, pardon „Exit-Steuer“, für alle Unternehmen, die das Land verlassen, die staatlichen Wohltaten finanzieren. 

So kann man nicht regieren

Selbst Daniel Cohn-Bendit stellt dem linken Wunschkonzert in der ZEIT einen „bitteren Befund“ aus: „Die Besprechungen über das Programm sind ungefähr so abgelaufen: Habt ihr eine Idee, wem wir noch etwas versprechen können? Okay, her damit, nehmen wir. Noch eine Idee, noch jemand? Aber so kann man nicht regieren.“

Es ist Macron, der gelähmt aus dieser Wahl hervorgeht.

Nach Schätzung des französischen Thinktanks Institut Montaigne würden die Pläne des NFP den französischen Haushalt jährlich mit 179 Milliarden Euro zusätzlich belasten. Und das vor dem Hintergrund eines jetzt schon desaströsen Haushalts. 

2023 lag die Staatsverschuldung Frankreichs bei 110,6 Prozent des BIP (zum Vergleich: Österreich 77,8%, Deutschland 63,6%) und das Budgetdefizit bei 5,5 Prozent des BIP (Österreich 2,7%, Deutschland 2,5%). Einnahmenseitig hat der französische Finanzminister bei einer Abgabenquote von 46 Prozent in Wahrheit kaum Spielraum (Österreich 43,1%, Deutschland 40,8%). Dass die Maastricht-Kriterien die Staatsverschuldung mit 60 Prozent und das jährliche Defizit mit drei Prozent des BIP limitieren, ist nur mehr eine Anekdote aus vergangenen Zeiten. 

Frankreichs rechte Mehrheit

So erfolgreich die taktischen Koalitionen gegen rechts waren, so schwierig gestaltet sich nun die Regierungsbildung. Macron habe den Franzosen „eine entsicherte Granate zwischen die Beine geworfen. Jetzt werden wir sehen, wie sie damit umgehen“, zitiert Pascal Bruckner den französischen Präsidenten in der NZZ. Nun kennen wir die Antwort. Es ist Macron, der gelähmt aus dieser Wahl hervorgeht.

Mélenchon wird zwar nicht Premierminister werden, aber seine Fraktion wird die fiskalischen Probleme des Landes weiter verschärfen und die überfällige Reform der trägen, zentralistischen Verwaltung unmöglich machen. Und vor allem: Le Pens Rassemblement National ist zwar nur die drittstärkste Partei im Parlament, hat aber mit 37,1 Prozent die mit Abstand meisten Stimmen bekommen, vor Mélenchons NFP mit 26,3 Prozent. Die absolute Mehrheit der Bevölkerung hat rechts- oder linksextrem gewählt – Frankreich präsentiert sich als gespaltenes Land. 

Die halbe Brandmauer 

Oft hört man, die „Brandmauer“ gegen rechts würde nur den Rechtsradikalen helfen, an ihrem Opfermythos zu stricken und damit Stimmen zu gewinnen. Frankreich beweist seit Jahren das Gegenteil. Die Brandmauer ist der einzige Schutz von Linksliberalen und Zentristen vor dem Machtverlust. Die Bündnisse, die zu ihrer Errichtung nötig waren, sind inhaltlich absurd. 

Die Brandmauer ist der einzige Schutz von Linksliberalen und Zentristen vor dem Machtverlust.

Legt man die ideologischen Scheuklappen ab, stellt sich unwillkürlich die Frage, wie eine Brandmauer gegen Le Pen zu begründen ist, wenn keine gegen Mélenchon errichtet wird. Die Wähler Le Pens dürften sie mit dem Streben des Establishments nach Machterhalt beantworten. Die Zentrumsparteien werden diese Wähler, wenn überhaupt, nur zurückgewinnen können, wenn sie zu einer Politik finden, die deren Interessen berücksichtigt: Eindämmung der Migration, Wiederherstellung der inneren Sicherheit und Wirtschaftswachstum. 

Im deutschsprachigen medialen und politischen Establishment sind Linksradikale deutlich anschlussfähiger als Rechtsradikale. In Frankreich dreht sich der Wind gerade. Jüdische Intellektuelle wie die als »Nazi-Jäger“ berühmt gewordenen Beate und Serge Klarsfeld sagten, sie würden nötigenfalls den Kandidaten des RN wählen statt jenen des LFI. Und der einflussreiche Star-Philosoph Bernard-Henri Lévy twitterte nach der Wahl: „Die Linke erneut von dem berüchtigten #Mélenchon gekidnappt. Akzente der Faschisten. Hass auf die Republik auf den Lippen. Um ihn herum in diesem Moment einige der Inkarnationen des neuen #Antisemitismus. Ein eisiger Moment. Eine Aufgabe: den Kampf gegen diese Leute fortsetzen.“

Schlechte Nachrichten

Wie immer der Kampf um die Regierungsbildung ausgehen mag, was auch immer die kommenden Jahre für Frankreich bringen mögen: Für Europa, für die NATO und für die Ukraine verheißt das Ergebnis dieser Wahl nichts Gutes. Macron geht innen- und außenpolitisch als „lame duck“ in die zweite Hälfte seiner letzten Amtszeit. Ohne parlamentarische Mehrheit im Rücken kann er keine geopolitischen Akzente setzen. In welchem Ausmaß er die (bisher ohnehin spärliche) Unterstützung für die Ukraine künftig noch durchsetzen können wird, ist fraglich. 

„Der deutsch-französische Motor ist erst einmal Geschichte“, schreibt Ulf Poschardt im eingangs erwähnten Kommentar: „Damit gesellt sich zum bisherigen kranken Mann Europas, also Deutschland, nun der neue kranke Mann Europas: Frankreich.“ Dem kann man kaum widersprechen. Es wird immer schwerer, optimistisch in die Zukunft zu blicken.

 Zuerst erschienen im Pragmaticus.


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Über den Autor / die Autorin

Thomas M. Eppinger

Thomas Eppinger ist davon überzeugt, dass alle Menschen mit unveräußerlichen Rechten geboren sind, zu denen das Recht auf Leben, Freiheit und das Streben nach Glück gehören. Daraus ergab sich alles andere, auch diese Website.
Der Publizist ist 1961 in Vöcklabruck geboren, lebt heute in Graz und arbeitet in Wien als Lead Editor bei »Der Pragmaticus«. Davor leitete er den unabhängigen Nahost-Thinktank Mena-Watch.