DIKTATOREN UND EIN SONDERKONTO. DER ABSTURZ.

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Photo: Jacqueline Godany (edited), © Alle Rechte vorbehalten

Meine Jahre mit Haider (8)

Die Gründe für den plötzlichen Zusammenbruch der Freiheitlichen Partei wenige Jahre nach der Regierungsbildung lassen sich nicht so einfach analysieren, doch die Zahlen sprechen eine deutliche Sprache. Nach dem Sturz der Parteiführung durch die Aktion »Knittelfeld« war die FPÖ nach den Nationalratswahlen im November 2002 nur mehr mit zehn Angeordneten im Parlament vertreten – 1999 waren es noch 52.

Nichts in dieser Partei geschah ohne die Zustimmung oder Aufforderung von Jörg Haider, egal ob er sich nun Vorsitzender der Partei nannte oder nur »einfaches Parteimitglied«. Persönlich verlor ich im Laufe des Jahres 2002 den Kontakt zu ihm. Er zog sich nach Kärnten zurück und kommentierte die Regierungsarbeit als befände sich Kärnten in Opposition zur Bundesregierung.

Für mich waren die ersten zwei Jahre der Koalitionsregierung zwischen FPÖ und ÖVP sicherlich die interessanteste Zeit meiner kurzen politischen Karriere. Unter Susanne Riess entwickelte sich die Partei tatsächlich mehr und mehr zu einer rechts-konservativen politischen Bewegung, die sich deutlich von den rechts-extremen Teilen innerhalb der Partei distanzierte. Mitglieder und auch Funktionäre wurden ausgeschlossen, wenn sie mit extremistischen, antisemitischen, rassistischen oder die Nazi-Zeit relativierenden Statements an die Öffentlichkeit traten. Riess selbst hatte eine lupenreine Vergangenheit in Bezug auf Rassismus und Antisemitismus und führte die Partei vorsichtig aus dem rechten Eck heraus.

Der nationale und internationale Boykott gegen die Koalitionsregierung begann zu bröckeln, und sogar der israelische Premierminister Ariel Sharon nannte ihn in einer deutschen Talkshow einen Fehler, der korrigiert werden sollte. Der Entschluss der Koalitionsregierung, endlich die Wiedergutmachungs-Zahlungen an die NS-Opfer zu bewilligen, die Jahrzehnte lang vor allem unter SPÖ-Kanzlern verhindert oder verschoben wurden, änderte die Einstellung der Israelischen Regierung.

Im Jahr 2000 schlug Haider vor, mich zum Generalsekretär für Auslandsbeziehungen zu ernennen. Der Vorschlag kam nicht bei allen Funktionären der Partei gut an, es gab ein heftiges Murren bei der Vorstellung, und ein Vertreter stimmte dagegen. Doch die Ernennung wurde in vielen Kreisen, Institutionen und Universitäten mit großem Interesse verfolgt. Dutzende Einladungen erreichten mich für Diskussionen, Vorträge und Interviews. Plötzlich wich die demonstrative Abwehr gegen die FPÖ einem Interesse, wie und warum diese Partei in Österreich so erfolgreich und was ihr politisches Programm sei. Namhafte Universitäten, unter ihnen Oxford, Bologna und das Trinity College in Dublin, luden mich zu Vorträgen ein, und Journalisten kamen nach Brüssel und Wien um mich zu interviewen.

Beleidigt

Für kurze Zeit glaubte ich, dass mein Entschluss, bei der FPÖ mitzuarbeiten, um mit anderen aus der eher liberalen Ecke die Partei zur Mitte zu öffnen und auf diesem Weg eine zweite konservative Partei zu etablieren, die auch koalitionsfähig sei, auf dem richtigen Weg sein könnte. Doch es sollte anders kommen. Derselbe Jörg Haider, der mich und andere einlud, in der Partei mitzuarbeiten und sie 1999 mit ihrer Öffnung zum größten Wahlsieg in der Geschichte der Partei führte, fing plötzlich an, kleinlich und beleidigt auf Entscheidungen der Regierung zu reagieren, bei denen er sich übergangen fühlte.

Keiner konnte die Gründe verstehen, wenn da nicht eines Tages dieser »Ausrutscher« von ihm so manches erklärt hätte. Irgendwann einmal nach ein paar Gläsern Wein in einem Restaurant in Wien machte er eine Bemerkung, auf die nicht nur keiner einging, sondern einer der Gäste am Tisch sehr schnell das Thema wechselte. Haider sagte, er habe das Regierungsteam der FPÖ unter Susanne Riess nur vorgeschlagen, da er sich sicher war, dass diese Koalition scheitern würde. Dann würde bei Neuwahlen die FPÖ die Wahl gewinnen, und niemand könnte mehr verhindern, dass er Kanzler werde.

Saddam, Gaddafi und ein Sonderkonto

Im Jahr 2002 entdeckte Jörg Haider seine Vorliebe für Diktatoren aus dem arabischen Raum. Schon im Jahr zuvor teilte er eine Loge beim Opernball mit dem Sohn des libyschen Staatschefs, der in Wien lebte, und 2002 reiste er mehrere Male nach Bagdad, um mit Saddam Hussein zusammenzutreffen. Der plötzliche Schwenk vom Studenten in Harvard und dem interessierten Gesprächspartner orthodoxer Rabbiner in Brooklyn zum Bewunderer arabischer Politiker, die als ihr Lebenswerk die Vernichtung Israels definierten, war ein Schock – nicht nur für mich, sondern auch für viele Funktionäre und die Regierungsmitglieder der FPÖ, und die ersten kritischen Stimmen wurden laut. Ich kritisierte diese Reisen, wann immer man mich fragte, und leitete damit auch meinen Bruch mit Jörg Haider ein.

Dennoch eröffnete sich kurzfristig ein Weg aus diesem Dilemma, als mein Kontaktmann in Israel mich fragte, ob es denkbar wäre, über Jörg Haider einen inoffiziellen Kontakt zu verschiedenen Politikern im arabischen Raum herzustellen. Man wäre sogar bereit, auf neutralem Boden den einen oder anderen persönlich zu treffen. In einem meiner letzten Treffen mit Haider schlug ich ihm diese Rolle als Vermittler vor, doch er lehnte ab. Es sei ihm zu gefährlich. Ich fragte ihn, ob ich das übernehmen und ich ihn begleiten könnte. Doch auch das wollte er nicht, es würde sein Vertrauensverhältnis zu diesen Leuten beinträchtigen.

Peter Westenthaler, stellvertretender Parteiobmann, Klubobmann und jahrelanger Bewunderer Jörg Haiders, war einer der ersten, der offiziell den Besuch Haiders im Irak kritisierte. Finanzminister Karl-Heinz Grasser meinte etwas kryptisch, er wäre nicht gefahren, auch wenn man ihn eingeladen hätte, und Susanne Riess, die damals eine wichtige Reise in die USA mit zahlreichen prominenten Gesprächspartnern auf Regierungsebene vorbereitet hatte, wurde plötzlich zu nichts anderem mehr befragt als zu Haiders Irak-Kontakten.

Haiders plötzlicher Wechsel zum Freund antisemitischer und antizionistischer arabischer Diktatoren ist am besten in seinem eigenen Buch beschrieben, das 2003 unter dem Titel »Zu Gast bei Saddam. Im Reich des Bösen« im Ibera-Verlag erschien. Völlig kritiklos wiederholt er darin die Hass-Anfälle seiner Gesprächspartner gegen die USA und Israel und schwärmt von ihnen als »gebildete, humorvolle und würdevolle Männer«. Nicht ein negatives Wort über die mörderischen Regime im Irak, in Syrien und Libyen, deren politische Vertreter er zu Gesprächen getroffen hatte.

Über dem plötzlichen politischen Wandel schwebte allerdings immer wieder der Vorwurf der Bestechung durch arabische Politiker. Bekannt in der Partei war Haiders Verschwendungssucht, die über ein Sonderkonto finanziert wurde. Sein Standpunkt war der, dass die Funktionäre ihre gut bezahlten Positionen seiner politischen Arbeit zu verdanken hätten, deshalb stünde ihm auch eine gewisse finanzielle Unterstützung zu.

Knittelfeld

Im Laufe des Jahres 2002 eskalierte der Konflikt zwischen Jörg Haider und der Parteiführung unter Susanne Riess. Bei einem Treffen im Privathaus eines FPÖ-Ministers, an dem auch ich teilgenommen habe, kam es zur Aussprache der Parteiführung mit Jörg Haider wegen dessen kontinuierlicher Störung der Regierungsarbeit. Nach endlosen Diskussionen sagte Haider zu, dass er sich zurückziehen wolle und keine Meldungen mehr von sich geben werde. Er verabschiedete sich, und alle waren bester Laune, nur Susanne Riess, die ihn am längsten und am besten kannte, schien betrübt und verärgert. Und sie hatte recht. Kaum in Kärnten angekommen, kam von Haider erneut ein kritischer Kommentar zur Regierungspolitik, der von den Medien lang und breit wiedergegeben wurde.

Ewald Stadler, der Haider auch bei einem Besuch im Irak begleitete, präsentierte sich als Sprecher der »Haider-Gruppe«, die offen Opposition gegen die eigene Partei betrieb. Aufgrund der Hochwasser-Katastrophe im August 2002 beschloss die Koalitionsregierung mit den Stimmen der ÖVP- und FPÖ-Minister eine Verschiebung der bereits zugesagten Steuerreform. Dies nahm Haider zum Anlass, einen Sonderparteitag zu fordern, der von mehr als 350 Delegierten in Form einer Unterschriftenaktion unterstützt wurde. Haider lud die Unterzeichner zu einer Sitzung nach Knittelfeld ein, an der Riess nicht teilnahm, wo der Kärntner Delegierte Kurt Scheuch demonstrativ eine Vereinbarung zwischen Susanne Riess und Jörg Haider zerriss. Die aufgebrachte Menge, die sich in einen wahren Rausch hochschaukelte, stimmte per Akklamation einem neuen Vorschlag zu, der sogenannten »Knittelfelder Vereinbarung«.

Am nächsten Tag traten Susanne Riess, Peter Westenthaler und Karl-Heinz Grasser zurück. Es folgten Neuwahlen, bei denen die FPÖ gegenüber 1999 zwei Drittel ihrer Wähler verlor.

Dies ist die achte von Peter Sichrovskys neun Erzählungen rund um die Zeit, in der er in der FPÖ aktiv war.

Teil 1: »Nur eine Frage«
Teil 2: »Dann müssen Sie halt auf mich aufpassen!«
Teil 3: »Und wenn’s schief geht, bist du schuld!«
Teil 4: Fremdheit in der eigenen Heimat
Teil 5: Brüssel, die kleine Welt der großen Eitelkeiten
Teil 6: Der Höhepunkt des Erfolgs und denkwürdige Reisen
Teil 7: Meine Funktion als jüdische Angelegenheit
Teil 9: Gescheitert. Das Ende und die Zeit danach.

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Über den Autor / die Autorin

Peter Sichrovsky

Klassische Dilettanten-Karriere, wenig von viel und viel von wenig zu wissen, zu können, nach Studium der Chemie Marketing in Pharmaindustrie, dann Journalist, Schriftsteller, Mit-Gründer des Standards, SZ/Stern Korrespondent in Asien, EU-Parlamentarier, die letzten zehn Jahre Industrie-Karriere in Süd-Ost-Asien, 23 mal übersiedelt und nach Wien, Berlin, New York, München, New Delhi, Singapur, Hong Kong, Manila, Los Angeles und Brüssel in Chicago gelandet. Seit September 2017 lebt Peter Sichrovsky in London.

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