EIN KONZERN ERZIEHT SEINE KUNDEN

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Am Weg zum Nanny-Unternehmen

Der Zweck eines Unternehmens, so haben wir bisher naiv geglaubt, ist ganz profan das Erwirtschaften von Gewinn, indem Kunden attraktive Produkte zu vernünftigen Preisen angeboten werden.

Doch das amerikanische Internet-Unternehmen „Airbnb“ belehrt uns nun eines Besseren. Denn seit ein paar Monaten unternimmt der außerordentlich erfolgreiche Konzern den Versuch, aus seinen Kunden nichts weniger als gute Menschen zu machen, die porentief vom Geist der politischen Korrektheit durchflutet sind. Das Gegenstück zum üblen Trump-Wähler, sozusagen. Wer das aus irgendeinem Grund nicht will oder kann, wird molto flotto von „Airbnb“ gesperrt.

Dabei geht es nicht um irgendeine Macke irgendeines durchgeknallten kalifornischen Unternehmens, sondern um durchaus Politisches. „Airbnb“ ist die weltweit mit Abstand größte Plattform für Leute, die auf Reisen nicht immer im Hotel wohnen wollen, sondern das Mieten einer Privatwohnung vorziehen – oder solche, die derartige Wohnungen anbieten. Zwar hat das Unternehmen kein Monopol – aber eben fast doch. Airbnb ist heute in diesem Markt etwa das, was Google bei den Suchmaschinen ist – in der Praxis kommt man kaum darum herum.

Respektvoll, vorurteilsfrei und unvoreingenommen

Um die Plattform zu nutzen, muß man nun freilich nicht nur, wie bisher, über eine ausreichend agile Kreditkarte verfügen, sondern muß neuerdings auch eigens ein sogenanntes „Community-Bekenntnis“ unterschreiben. Es lautet im Kern: „Du erklärst dich bereit, jeden – unabhängig von Rasse, Religion, Herkunft, Volkszugehörigkeit, einer Behinderung, Geschlecht, Geschlechtsidentität, sexueller Orientierung oder Alter – respektvoll, vorurteilsfrei und unvoreingenommen zu behandeln.“

Und weiter: „Wenn du dem Bekenntnis nicht zustimmst, kannst du nicht als Gastgeber auf Airbnb fungieren oder über Airbnb verreisen.“

Derartige heilige Eide auf das Wahre, Gute und Schöne kannte man bisher eigentlich eher von Religionsgesellschaften und weniger von Erwerbsunternehmen, aber bitte.

Bei genauerer Betrachtung freilich erscheint das eingeforderte Bekenntnis eher bedenklich, um es einmal freundlich zu formulieren.

Denn von seinen Kunden nicht nur Liquidität, sondern auch jegliche Unvoreingenommenheit und Vorurteilsfreiheit zu verlangen, ist eine ziemlich überdimensionierte Anmaßung.

Wie findet man die Abtrünnigen?

Vor allem aber stellt sich die Frage: wie kommt ein Unternehmen dazu, von seinen Kunden zu verlangen, „vorurteilsfrei“ und „unvoreingenommen“ zu sein, auch dort, wo dies überhaupt nicht angemessen ist? Wenn etwa jemand, – sei es als Gast oder als Gastgeber – , aus religiösen oder aus Gründen der Herkunft den Standpunkt vertritt, dass Schwule aufgehängt gehören, Frauen das Eigentum ihres Mannes sind und der Abfall vom Glauben mit Auspeitschung geahndet werden soll, dann muß jedes Mitglied der Airbnb-Sekte diesem ideologischen Sondermüll „vorurteilsfrei“ und „unvoreingenommen“ gegenüberstehen? Warum maßt sich hier ein Unternehmen an, seine Kunden auf Toleranz gegenüber der Intoleranz zu vereidigen? Oder warum soll ein Vermieter, der die Erfahrung gemacht hat, dass junge männliche britische Fußballhooligans während der EM als Mieter mehr Probleme machen als betagte japanische Ehepaare, daraus den absurden Schluss ziehen müssen, beiden Gruppen von Gästen gleich „vorurteilsfrei“ und „unvoreingenommen“ gegenüberstehen zu müssen?

Interessant wird auch werden, mit welchen Methoden Airbnb eigentlich Abtrünnige vom Heiligen Eid stellig machen will – Gesinnungsschnüffelei zum Aufspüren vorurteilsbehafteter Bettenvermieter vielleicht?

Dass der fürsorgliche Nanny-Staat seine Insassen sanft, aber unerbittlich auf den Pfad der vermeintlichen Tugend drängt, ist schon ärgerlich genug. Wenn nun aber auch noch Unternehmen ihre Kunden umerziehen wollen, um sich mit einem Scheinheiligenschein der Tugendhaftigkeit zu schmücken, wird’s wirklich ungemütlich. Dass sich die solcherart Bedrängten nicht zuletzt an der Wahlurne gegen die wohlmeinenden Behelligungen durch die politischen, aber auch wirtschaftlichen Eliten zur Wehr setzen, überrascht nur mäßig.

Über den Autor / die Autorin

Christian Ortner

Christian Ortner war Chefredakteur und Herausgeber der „WirtschaftsWoche" (Österreich) und des Magazins „Format“. Seine Texte erscheinen unter anderem jeden Freitag in den österreichischen Tageszeitungen „Die Presse“ und „Wiener Zeitung“. Der Kolumnist und Autor lebt in Wien und leitet "ortneronline. Das Zentralorgan des Neoliberalismus".