CARMENCITA FRANCO

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Die Tochter des Generalissimo

Die zehnjährige Carmencita, wie sie Papa Franco nannte, um ihr einen eigenen Namen zu geben im Vergleich zu Carmen, dem Namen ihrer Mutter, musste sich 1936 ein nettes weißes Kleid anziehen, ihre Haare wurden kunstvoll gekämmt, die Schuhe blank geputzt und das Gesicht gepudert. Dabei gab es noch kein Fernsehen und niemand sah sie, als sie die fröhliche Botschaft ihres Vaters für Spaniens Kinder ins Mikrofon sprach, die übers Radio ausgestrahlt wurde. Aber gefilmt wurde der Auftritt, den sie selbst Jahrzehnte später immer wieder beschrieb, und den sie nie vergessen konnte.

Sie weigerte sich zu Beginn und bat den Vater, er solle doch die Mutter damit beauftragen. Doch Vater Franco hatte andere Pläne. Er wollte in diesem ersten Jahr des Spanischen Bürgerkriegs mit der emotionalen Botschaft seiner Tochter Adolf Hitler dazu bewegen, ihn zu unterstützen.

Die schüchterne Tochter war so aufgeregt, dass sie trotz tagelangen Übens gleich zu Beginn der Sendung den Text vergaß. Franco stand in voller Uniform neben ihr und sprach ihr langsam die Botschaft vor, die sie Wort für Wort wiederholte. Zum Abschluss schickte sie ein Küsschen an ‚alle Kinder der Welt‘, jeder im Studio rief laut ‚Viva España‘ und Carmencita begann zu weinen, riss sich dann doch noch zusammen und beendete ihren Auftritt mit dem Faschistengruß.

Jahre später setzte sie diese Tradition ohne äußeren Zwang fort und trat jeden 20. November, dem Todestag General Francos, bei der Gedächtnis-Veranstaltung auf. Als Ehrengast der Anhänger des ‚Franquismus’ sprach sie bei den Feierlichkeiten in der unterirdischen Basilika im Valle de los Caìdos und weigerte sich ein Leben lang, die Regierungszeit ihres Vaters zu kritisieren.

Ewig Tochter

Sie blieb ein Leben lang die Tochter, die den Vater verehrte. Vergöttert und verwöhnt von Franco, der zahlreichen Gerüchten zufolge vielleicht nicht einmal ihr Vater war. Angeblich litt Franco an einer Unterleibsverletzung, die er 1916 im Rifkrieg erlitten hatte und konnte keine Kinder haben. Maria del Carmen Franco Polo, wie die Tochter mit vollem Namen hieß, soll das Kind einer Affäre zwischen Francos Ehefrau Carmen Polo und Francos Bruder, Ramon Franco, sein.

Franco sei ein gefühlloser, kalter Mann gewesen, schrieb sie in ihrer Biographie, jedoch ihr gegenüber nie aggressiv oder unfair. Im Palast El Pardon außerhalb Madrids, den er als das Wohnhaus für seine Familie auswählte, habe es keine politischen Diskussionen gegeben. Bei den sonntäglichen Abendessen sei Politik verboten gewesen und niemand hätte es gewagt, dem Vater zu widersprechen. Wenn sie später als Teenager vielleicht einmal eine andere Meinung hatte, ließ der General sie zwar aussprechen, aber das sei es dann auch schon gewesen. Er habe nie reagiert oder eine Meinung eines Familienmitglieds ernst genommen.

Sie habe ihn immer beherrscht und kontrolliert in Erinnerung. Wenn es ein Problem gab, oder er eine unangenehme Nachricht bekam, zog er sich zurück, legte sich nieder und ruhte sich aus oder nahm extrem lange Pausen an den Nachmittagen. Niemand durfte ihn stören. Später kam er aus seinem Zimmer, konzentriert und ruhig, mit einer entsprechenden Reaktion auf die Ereignisse.

Franco, der tausende politische Gegner von seinen Milizen erschießen ließ und sich mit treuen Anhängern umgab, die ihm blindlings gehorchten, sah auch die Erziehung seiner Tochter als eine ‚politische Aufgabe‘. Er entließ das erste Kindermädchen, das seine Tochter im Auftrag der Mutter Französisch unterrichtete, da in seinem Haus nur Spanisch zu sprechen sei und nahm Carmencita nach nur einem Tag aus der Schule, nachdem ihm berichtet wurde, dass das neue Kindermädchen – übrigens eine Nonne – während sie vor der Schule im Auto wartete, mit dem Chauffeur herumknutschte.

Zerrissene Liebesbriefe

Carmen, Carmencitas Mutter, glich dem autoritären Vater wie ein Ei dem anderen. Sie kontrollierte jeden Schritt der Tochter und auch alle Briefe, die an sie adressiert waren. Sie zerriss demonstrativ den ersten Liebesbrief, den die Tochter bekam, sodass Carmencita als Teenager eine Vereinbarung mit ihrer Cousine hatte und die Verehrer einfach alles an die Cousine adressierten. Doch sie war nicht die leidende Tochter unter der Fuchtel der strengen Eltern, im Gegenteil, sie entwickelte ihren eigenen Willen, war selbstsicher und selbstbewusst in oft schwierigen Situationen.

Franco ließ auf seinem Sterbebett nach seiner Tochter rufen und wollte sonst niemanden in seiner Nähe. Sie war die einzige, der er vertraute. Er forderte sie auf, seinen letzten Willen aufzuschreiben und die Tochter tat, was der Vater ihr auftrug, und Gerüchten zufolge noch mehr. Franco hatte das Recht, den nächsten Spanischen König zu ernennen, doch von Krankheit geschwächt vergaß er in seinen letzten Stunden, einen Namen zu nennen. In dem Papier, das Carmencita später weitergab, stand jedoch der Name Juan Carlos de Borbón.

Ein grandioser Schachzug der oft unterschätzen Tochter, denn der dankbare König verlieh Carmencita den Titel einer „Herzogin von Franco und Grande von Spanien“ und sicherte so der ganzen Familie Immunität gegen mögliche spätere juristische Verfahren.

Sie heiratete den Chirurgen Cristóbal Martinez-Bordiú, der durch die Ehe zum ‚Marquis von Villaverde‘ ernannt wurde, allerdings aus einer einfachen Familie stammte und sich das Geld für den Verlobungsring von seinem Freund, dem Besitzer einer Orangenplantage, leihen musste. Papa Franco konnte ihn nie leiden und hatte von Beginn an den Verdacht, dass der Schwiegersohn seine Tochter betrügen würde. Spanische Zeitungen verfolgten ihn eine Zeitlang und berichteten über heimliche Affären, doch irgendwann gaben sie es auf, und seine zahlreichen Liebschaften wurden nicht nur von der eigenen Ehefrau ignoriert, sondern auch von der Presse.

Er blieb jedoch der Hausarzt des Diktators. Den endgültigen Bruch mit seiner Ehefrau gab es nach der Veröffentlichung von Fotos des sterbenden Francos und seinem Schwiegersohn neben dem Bett stehend. Carmencita hatte ihm nie verziehen, dass er diese Fotos heimlich machen ließ und sie viele Jahre später an Zeitungen verkaufte.

Doch für Francos Tochter war selbst die Ehe mit einem Betrüger eine offene Tür in die Freiheit. Sie zog aus dem väterlichen Palast und mietete eine einfache Wohnung im Zentrum von Madrid, entließ alle Leibwächter und lebte mit einem Kindermädchen und einer Köchin.

Sie hatte nur eine einzige Leidenschaft: Das Reisen. Trotz der sieben Kinder, die sie im Laufe der Ehe bekam, verbrachte sie mehr Zeit außerhalb von Spanien als zu Hause. Familienname und Herkunft öffneten die Türen zur High Society und sie genoss diese Privilegien, tanzte mit John F. Kennedy und verbrachte Wochen als Ehrengast des Maharajah von Jaipur in dessen Palast.

Sie sei wahrscheinlich nicht die ‚beste Mutter‘ gewesen, schrieb sie in ihrer Biographie, ließ sie meist in der Obhut der Kinderfrau und bereiste die Welt. 1998 starb ihr Ehemann, und wenn sie ihn auch öffentlich nie kritisierte, sprach sie von der Zeit nach dem Tod von Vater und Gatten als der besten Zeit ihres Lebens.

Riesiges Familienvermögen

Nach dem Tod von General Franco erbte sie das enorme Vermögen der Familie und kontrollierte es bis zu ihrem Lebensende.

Grundlage des Reichtums war der Immobilienbesitz, den ihr Vater noch während des Bürgerkrieges vom Volk ‚geschenkt‘ bekommen hatte, finanziert mit ‚freiwilligen‘ Spenden und ‚freiwilligem‘ Gehaltsverzicht der Beamten. Der Wert der Immobilien wird auf eine halbe Milliarde Euro geschätzt. Neben der Verwaltung des Vermögens leitete die Tochter des Diktators eine Stiftung mit dem Namen ‚Fundación Nacional Francisco Franco‘, die eigentlich nur eine Aufgabe hatte: Die Erinnerung an den Diktator zu bewahren und sein Leben und sein Werk möglichst positiv darzustellen.

Sämtliche Gräuel und Verbrechen des Spanischen Bürgerkrieges blieben in den zahlreichen Biographien und historischen Werken der Stiftung unerwähnt. Franco selbst wird in allen Büchern als ‚Generalissimo‘ oder ‚Staatschef‘, jedoch nie als Diktator bezeichnet, der als ‚tapferer und katholischer Politiker‘ zwar eine ‚autoritäre jedoch nie totalitäre‘ Herrschaft errichtet habe.

In ihrer Verehrung des Vaters ging die Tochter so weit, 2013 den spanischen Künstler Eugenio Merino mehrfach zu verklagen, das Andenken an Franco zu missbrauchen. Unter dem Titel ‚Cool Franco‘ hatte der Künstler eine Skulptur von Franco in einem Coca-Cola Kühlschrank ausgestellt. Ein weiteres Objekt nannte er ‚Punching Franco‘ mit dem Kopf Francos als Punchingball. Francos Tochter scheiterte mit ihren Klagen über mehrere Instanzen.

Dennoch schaffte es Doña Carmen, wie sie später genannt wurde, selbst von politischen Gegnern und Kritikern ihr Leben lang respektiert zu werden. Man nahm ihr nicht einmal die Relativierung der Verbrechen des Vaters übel. Immer wieder wurde sie als zeitlose Schönheit beschrieben, die im Alter von weit über sechzig immer noch wie eine Vierzigjährige wirkte, und mit ihrem kalten, pointierten und konzentrierten Charme meist erreichte, was sie wollte, und sich im ‚Weißen Haus‘ in Washington mit dem Präsidenten tanzend und auf dem Madrider Flohmarkt zwischen Antiquitäten stöbernd immer gleich selbstsicher bewegte.

Auch ihr Ende entsprach ihrer Persönlichkeit. Als sie im Herbst 2017 an Krebs erkrankte, verweigerte sie jede Behandlung und starb am 29. Dezember. Sie wurde 91 Jahre alt.

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Über den Autor / die Autorin

Peter Sichrovsky

Klassische Dilettanten-Karriere, wenig von viel und viel von wenig zu wissen, zu können, nach Studium der Chemie Marketing in Pharmaindustrie, dann Journalist, Schriftsteller, Mit-Gründer des Standards, SZ/Stern Korrespondent in Asien, EU-Parlamentarier, die letzten zehn Jahre Industrie-Karriere in Süd-Ost-Asien, 23 mal übersiedelt und nach Wien, Berlin, New York, München, New Delhi, Singapur, Hong Kong, Manila, Los Angeles und Brüssel in Chicago gelandet. Seit September 2017 lebt Peter Sichrovsky in London.

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