Demokratie: Das große Pragmaticus-Dossier

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Weltweit sinkt die Zahl der Demokratien. Im Inland ist das Vertrauen in die Institutionen auf dem Tiefpunkt. Autoritäre Tendenzen werden auch im Westen stärker. Was tun?

Mit Beiträgen von Ralph Janik, Sepp Schellhorn, Bernhard Heinzlmaier, Jörg Tremmel, Lisa Fellhofer, Norbert Bolz, Herfried Münkler, Kaja Harter-Uibopuu und Vince Ebert.

Völkerrechtsexperte Ralph Janik analysiert in seiner Bestandsaufnahme: »Das Bild von Unterdrückern, die gegen ihr Volk regieren, greift zu kurz.« Die modernen Spin-Diktatoren pervertieren demokratische Mittel, um ihre wahre Natur zu verschleiern: »Mit Überwachung, Propaganda und Zensur lässt sich ein beträchtliches Maß an (Schein-)Legitimität aufbauen.«

Eigentlich sollten Abgeordnete ihre Erfahrungen aus dem Beruf in die Gesetzgebung einbringen. »Allerdings würden dann schon mal drei Viertel der Abgeordneten wegfallen«, beschreibt Sepp Schellhorn, Unternehmer und Ex-Abgeordneter, die österreichische Realität: »Nicht etwa im Parlament, sondern in den Kammern, bei Raiffeisen und in den regierenden Parteizentralen sind die mächtigsten Interessen verortet.«

»Dem derzeit grassierenden Pessimismus liegt mangelndes Vertrauen in Parteien, Regierung, Parlament und Sozialpartnerschaft zugrunde«, hält Jugendforscher und Sozialwissenschaftler Bernhard Heinzlmaier fest. Von vielen werden Parteien »nur mehr als ›Beutegemeinschaften‹ wahrgenommen: als Zusammenschlüsse von Karrieristen, die glauben, mit anderen gemeinsam ihre persönlichen Ziele besser erreichen zu können als allein.«

Politikwissenschaftler Jörg Tremmel plädiert dafür, die Jungen an die Wahlurne zu lassen. Sein pragmatischer Vorschlag: »Das altersunabhängige Recht von Minderjährigen, sich für Wahlen zu registrieren.« Hingegen wäre ein Wahlrecht für Kleinkinder absurd: »Ein Wahlrecht für Zweijährige zu fordern ist ebenso sinnvoll oder sinnlos wie die Forderung nach einem Recht auf den Besuch einer Hochschule für Zweijährige.«

Rechtsstaat und Gesellschaft müssen sich wehren, wenn extremistische Ideologien und Religionen die Demokratie bedrohen, warnt Lisa Fellhofer, Direktorin der Dokumentationsstelle Politischer Islam: »Der liberale Rechtsstaat und seine Freiheiten dürfen nicht ausgenützt werden, um ebendiesen Rechtsstaat abzuschaffen.«

Für Medienwissenschaftler Norbert Bolz haben sich bei den großen Themen unserer Zeit zu viele Journalisten und Wissenschaftler auf das Feld der Parteipolitik verirrt. »Für den Journalismus ist das eine Sackgasse, für die Wissenschaft eine Katastrophe… Die größte Gefahr für die Wahrheit ist nämlich nicht die Lüge, sondern der Bullshit.«

Historiker Herfried Münkler meint im Interview: »Der Wähler ist ein gefährliches Wesen.« Was die Leute heute wollen, das wollen sie morgen oft nicht mehr. Volksabstimmungen sind daher kein Patentrezept für mehr demokratische Teilhabe. Stattdessen sollten die Bürger per Losverfahren mitbestimmen – genauso verpflichtend wie im Auswahlverfahren für Geschworene: »So manches Großmaul vom Stammtisch würde durch das Los von der Demut ereilt werden.«

»Der liberale Grundgedanke hat in Deutschland keine besonders große Tradition. Freiheit ist uns Deutschen nicht so wichtig. Hauptsache, der Müll ist ordentlich getrennt.« Konstatiert Vince Ebert in seinem Kommentar.

Aristoteles hielte unseren Staat wohl kaum für demokratisch. Dafür wählen wir zu viel. Im Athen der Antike und in den italienischen Stadtrepubliken wurden viele Ämter gelost, das Wahlverfahren galt als oligarchisch, weil es etablierte Familien begünstigte. Später prägte Jean-Jacques Rousseau für die repräsentative Demokratie den Begriff „Wahlaristokratie“. Die enorme Zahl an Losentscheiden wurde mit komplexen Maschinen abgewickelt. Wie das funktionierte, erklärt Althistorikerin Kaja Harter-Uibopuu. Mit Video!


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Über den Autor / die Autorin

Thomas M. Eppinger

Thomas Eppinger ist davon überzeugt, dass alle Menschen mit unveräußerlichen Rechten geboren sind, zu denen das Recht auf Leben, Freiheit und das Streben nach Glück gehören. Daraus ergab sich alles andere, auch diese Website.
Der Publizist ist 1961 in Vöcklabruck geboren, lebt heute in Graz und arbeitet in Wien als Lead Editor bei »Der Pragmaticus«. Davor leitete er den unabhängigen Nahost-Thinktank Mena-Watch.