Photo: Rudychaimg, CC BY-SA 4.0
Recherche à la Bento: „Israel macht Jagd auf Flüchtlinge“
„Israel sucht Freiwillige, die Jagd auf Flüchtlinge machen“, schlagzeilt Bento am 28. Jänner in der Rubrik „Gerechtigkeit“ und fährt fort: „Interessenten können umgerechnet einen Bonus von bis zu 7000 Euro (30.000 Schekel) verdienen, wenn sie Jagd auf Flüchtlinge machen und auf alle, die sie als Arbeitskräfte anstellen. Das steht in einer Anzeige, die die israelische Migrationsbehörde veröffentlicht hat.“ Für zwei Monate würden diese „Freiwilligen“ gesucht. Dem würden sich jedoch „hunderte Akademiker und Schriftsteller, darunter Amos Oz und David Grossman“ entgegenstellen. Und hunderte Rabbiner hätten versprochen, Flüchtlinge bei sich zu verstecken, „ganz so, wie im Zweiten Weltkrieg Anne Frank vor den Nazis versteckt wurde.“
Zwar konzediert Bento großzügig, dass eine „Behörde Stellenausschreibungen veröffentlichen [kann], wenn sie neue Beamte sucht“, aber dieses Angebot der Migrationsbehörde sei keine klassische Stellenausschreibung, denn: „Statt nach gelerntem Personal sucht sie nach Zivilisten.“ Bei ungelernten Zivilisten versteht Bento keinen Spaß, und so bleibt dem Autor nur die „Hoffnung, dass sich nur wenige bei der geplanten Bürgerwehr melden.“
Wow. Das ist ja nun wirklich eine Story: Die israelische Regierung stellt eine Bürgerwehr auf, die Flüchtlinge jagt. Man muss sich das so ähnlich vorstellen wie die Jagd der Nazis auf die Juden: Wenn man anno 2018 einen Flüchtling vor der israelischen Regierung verstecken muss wie Anne Frank vor den Nazis, dann können diese Bürgerwehren schließlich nichts anderes sein als die neuen Gestapo-Spitzel. Ist Netanjahu der neue Hitler?
Fake News
Natürlich stimmt an dem Bericht in den entscheidenden Punkten so gut wie nichts. Das Stelleninserat ist Teil eines Regierungsprogramms, mit dem rund 35.000 Migranten, vor allem aus Eritrea und dem Sudan, abgeschoben werden sollen. Wenn sie freiwillig das Land verlassen, bekommen sie von Israel ein Flugticket und umgerechnet rund 3.500 Dollar. Weigern sie sich, kommen sie bis auf Weiteres in Haft. Eritreer und Sudanesen werden in Israel kaum als Asylwerber anerkannt, bei den Betroffenen handelt es sich ausnahmslos um Personen ohne legalen Aufenthaltsstatus. Das Vorgehen ist innenpolitisch stark umstritten, die israelische Linke lehnt die Maßnahmen ab. Insofern gleicht die innenpolitische Diskussion in Israel jener in vielen anderen Ländern. So hat zum Beispiel Schweden bereits im Jänner 2016 angekündigt, 80.000 Flüchtlinge abzuschieben.
Man mag das Vorgehen der israelischen Regierung für besonders hart halten oder für besonders großzügig, für beides wird man Argumente finden. Immerhin sind 3.500 Dollar Starthilfe in den Herkunftsländern der Migranten eine Menge Geld. Es geht an dieser Stelle nicht darum, wie man die Maßnahmen der israelischen Regierung bewertet, sondern wie das Tochtermagazin des SPIEGEL darüber berichtet.
Ein Faktencheck der Tagesschau fasst die Falschinformationen zusammen: Die „Behörde für Einwohner und Migration“ suchte insgesamt 140 Mitarbeiter, zur Bearbeitung von Asylanträgen, zur Unterstützung von Migranten bei der freiwilligen Ausreise, und eben auch 70 Einwanderungsinspektoren zur Ausführung von Einsätzen / Aufgaben gegen illegale Flüchtlinge / illegale Einwanderer“, von denen der Artikel handelt. Deren Tätigkeit: „Aufgaben wie Ausfindigmachen, Verhören und Verhaften von illegalen Flüchtlingen und deren Arbeitgebern. Die Arbeit findet im Außendienst sowie im Büro statt.“ Die Dienstdauer beträgt zwei Jahre, nicht zwei Monate, und von einer Bürgerwehr kann keine Rede sein. Im Grunde liest sich die Stellenbeschreibung nicht viel anders, als wenn hierzulande Finanz oder Sozialversicherung Beamte suchten, um Schwarzarbeiter aufzuspüren.
Als der WELT-Journalist Filipp Piatov beim Verfasser des Bento-Artikels auf Twitter nachfragte, warum Inspektoren des israelischen Migrationsministeriums als Jäger bezeichnet würden, antwortete der Autor Marc Röhlig, dass der Begriff „in der Konferenz diskutiert“ worden wäre. Kein Versehen also, sondern Kalkül. In der darauffolgenden Unterhaltung wird klar, dass der Artikel so gut wie gar nicht recherchiert, sondern samt der falschen Angabe über die Dauer der Tätigkeit im Wesentlichen einfach von Newsweek und anderen Medien abgeschrieben worden war. Nach vielen Interventionen im Internet, nicht zuletzt von der Tagesschau, hat Bento den Artikel mehrfach überarbeitet, die aktuelle Version entspricht also nicht der hier besprochenen.
Die Rabbis
Ich selbst habe, nachdem ich den Bento-Text gelesen hatte, nur ungefähr eine Stunde gebraucht, um eine korrekte Übersetzung des Stellenangebots zu bekommen und mich über die erwähnten „hunderten Rabbiner“ zu informieren, die Flüchtlinge vor den Behörden verstecken wollen und sich dabei auf Anne Frank berufen. Zuviel Aufwand für einen Bento-Redakteur?
Diese „Rabbis for Human Rights“ (RHR) sind eine israelische NGO, die von 2012 bis 2016 insgesamt rund 7,5 Millionen Euro von ausländischen Regierungsstellen erhielt, darunter die EU, Großbritannien, Deutschland und Spanien. Laut NGO-Monitor gehören RHR zu den politisch aktivsten NGOs bei Themen, die mit den Beduinen im Negev zu tun haben. Sie betrachten die Evakuierung von Umm Al-Hiran, einem Beduinendorf, das mit Bewilligung des Israelischen Obersten Gerichtshofs abgerissen werden soll, als Verbrechen, und führen eine dauerhafte Kampagne dagegen. 2013 produzierten sie einen Film („Fiddler with no Roof“), in dem Israels Plan, jüdische Bewohner in nicht anerkannten beduinischen Dörfer im Negev anzusiedeln, mit der Vertreibung der Juden während des antisemitischen Zarenregimes verglichen wurde. Sie beklagen die „üble, diskriminierende Politik gegen Palästinenser“ und stellten 2009 nach dem Gaza-Krieg gemeinsam mit anderen NGOs eine Website ins Netz, die Zeugen für israelische Kriegsverbrechen suchte. „Rabbis for Human Rights“ unterhält auch enge Verbindungen mit EAPPI (Ecumenical Accompaniment Programme in Palestine and Israel), einer vehementen Unterstützerin der antisemitischen Israel-Boykott Kampagne BDS. EAPPI war auch Thema in der Dokumentation „Auserwählt und ausgegrenzt – Der Hass auf Juden in Europa“ von Joachim Schroeder und Sophie Hafner, die von WDR und Arte zuerst gar nicht, und dann nur mit beschämenden Untertiteln ausgestrahlt worden ist.
Die „hunderten Rabbis“ sind also nichts anderes als eine jener linken NGOs, die auch sonst kaum eine Gelegenheit auslassen, die israelische Regierung zu diskreditieren. Es wäre wohl nicht zu viel verlangt, die Gruppe für den Leser wenigstens ansatzweise einzuordnen, wenn man schon glaubt, den monströsen Anne Frank Vergleich zitieren zu müssen.
Qualitätsjournalismus beim SPIEGEL-Ableger
Bento ist nach eigenen Angaben „das junge Angebot von SPIEGEL ONLINE. bento zeigt, was 18- bis 30-Jährige wirklich interessiert, was uns betrifft und wie wir dazu stehen.“ Glaubt man hingegen Jan Böhmermann, ist Bento „das Geilste, was es zurzeit im Internet gibt – neben Darknet, Waffenhandel, der Erotikseite Apfeltaschenhub.com und unironischen Selfies von Bülent Ceylan.“ Für den Satiriker ist Bento „die Zukunft, direkt aus den Kellern des Spiegel-Verlags: zynische Quizze, absurde Listen und notdürftig verhüllte Werbung“, eine „derartige journalistische Insolvenzerklärung“, dass SPIEGEL-Gründer Rudolf Augstein sicher versuche, sich aus seinem Grab auf Sylt zu befreien, „um die Bento-Redaktion eigenhändig in der Elbe zu versenken.“ Damit trifft Böhmermann so punktgenau, dass seine satirischen Erhöhungen zu einer nüchternen Beschreibung der Realität mutieren.
Belanglose Geschichten über Sex und Gefühle, untermalt von oberflächlichen Stories aus Politik und Gesellschaft, kurze Hauptsätze, die Stichworte fett gedruckt. Ein Sammelsurium dessen, von dem Altlinke glauben, dass es Junglinke interessieren könnte, erzählt in einfacher Sprache. Bento ist nicht der SPIEGEL für Junge, sondern der SPIEGEL für Dumme, denen die Redaktion nicht einmal zutraut, einen Nebensatz sinnerfassend zu lesen.
Anne Frank wurde 1945 im KZ Bergen-Belsen ermordet. Illegale Einwanderer bekommen von Israel 3.500 Dollar und fliegen nach Hause. Wer diesen Unterschied nicht sieht, könnte erwägen, sich als Redakteur bei Bento zu bewerben.
Zuerst erschienen auf mena-watch
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