Photo: Andreas Trojak, CC BY 2.0
Eine Sommernacht, London, 2017
Von Sumantra Maitra
Wie könnte eine beliebige sommerliche Samstagnacht in einer europäischen Hauptstadt aussehen? Möglicherweise hetzen bewaffnete Polizisten zu einem Pub und brüllen die Gäste an, sich sofort auf den Boden zu legen, weil eine Bombe hochgehen könnte. SMS werden an Kollegen geschickt, die in der Umgebung arbeiten, um zu fragen ob sie okay sind. Freunde telefonieren miteinander und tauschen sich darüber aus, welche ‚no-go-areas‘ man besser meiden sollte. Man refresht ständig den Twitter Feed oder klebt an einem Nachrichtenkanal, wenn man zuhause ist. Die BBC schreibt gerade, es hätte einen „Zwischenfall mit einem Lieferwagen auf einer Brücke“ gegeben, was natürlich ein Euphemismus ist.
Aber jeder weiß, was das bedeutet, was gerade geschehen ist, und wer dafür verantwortlich sein könnte. Niemand spricht mehr darüber in zivilisierten Kreisen, und ganz sicher nicht auf BBC. Man sieht, wie sich eine wohlbehütete Gesellschaft wie in einem Kriegsgebiet verhält. Man sieht die Polizei twittern und die Bevölkerung auffordern: „lauft, versteckt euch und ruft an“. Man sieht, wie die Polizei hunderte Nachtschwärmer in Reih’ und Glied aufstellen lässt, mit erhobenen Armen, die offenen Handflächen hinter dem Kopf – ein Bild, das man eher aus Kaschmir oder Xinjiang kennt. Und das im selben Land, das die Spanische Armada, Napoleon und Hitler vertrieb. Man fühlt die erbärmliche, schmachvolle Kapitulation.
Ich bin in Indien geboren. Ich habe weit mehr islamistischen Terror gesehen als der durchschnittliche Westler. Ich sage euch, was eure Medien vermeiden werden zu erwähnen. Das A-Wort. Es gibt einen Unterschied zwischen Terror und Aufstand. Vergesst all die vorhersehbaren Antworten. Vergesst die Anzug tragenden Apologeten im Fernsehen, die für diese Gräueltaten den Kolonialismus verantwortlich machen, die Armut, den Rassismus, die zunehmende Islamophobie, Katie Hopkins, die Alt Right, irgendetwas unter der Sonne, nur nicht das Offensichtliche. Vergesst die bedächtig nickenden, Hijab tragenden Feministinnen, die Israel und dem Palästinenserproblem die Schuld geben. Vergesst die vorgefertigten Antworten politischer Führer, die über das Gute der menschlichen Natur oder das Böse des „internationalen Terrorismus“ reden, vergesst die vorgedruckten laminierten Sticker mit „I ❤ *gerade angegriffene Stadt*, vergesst die Flaggen in den Facebook Profilen, mit denen Hipster „love and good vibes“ senden, vergesst Teelichter, Lichterketten und hohle Phrasen.
Das Wesen des Aufstands
Man muss das Wesen eines Aufstands begreifen. Ein Aufstand ist eine Bewegung. Ein Aufstand muss weder koordiniert noch zentral geplant werden. Eine der am besten erforschten aufständischen Bewegungen ist das ‚Naxalite Movement‘, das aus verschiedenen Gruppen maoistischer Radikaler bestand, und an seinem Höhepunkt über eine Dekade lang Krieg gegen die Indische Regierung führte. Die Bewegung war kaum zentralisiert oder auch nur koordiniert. Die meisten Aufständischen handelten örtlich begrenzt, mit verschiedenen operativen Fähigkeiten und Einsatzplänen, und in unterschiedlichem Tempo. Kleine Gruppen von ihnen, meistens an ultralinken Universitäten, vergiftet von einer gemeinsamen Ideologie, planten das System zu stürzen, das diese Ideologie als unwürdig erachtete.
Budapest, Prag oder Bratislava sehen sich nicht mit dem konfrontiert, mit dem London, Paris, Brüssel und St. Petersburg konfrontiert sind. Oder auch Kaschmir, Xinjiang oder Manila. Der Terrorist als einsamer Wolf ist ein Mythos. Es gibt Gruppen von Schläfern in jeder großen westlichen Stadt. Die unmittelbare stramm-rechte oder stramm-linke Reaktion würde entweder die Einwanderung oder die Geschichte der Kolonialisierung für den Terrorismus verantwortlich machen. Aber sagt mir: wie viele Inder, Chinesen und Koreaner findet ihr, die in beliebigen Städten in aller Welt Bomben werfen? Wie viele Russen, Georgier und Ukrainer mähen Achtjährige nieder? In jedem einzelnen dieser Orte existiert ein Konflikt, in jeder einzelnen dieser Gesellschaften handelt die Geschichte von Armut, Kolonialismus und Autoritarismus. Diese Faktoren sind nachrangig in Hinblick auf die spezifischen Umstände, die den Islamismus betreffen. Kolonialismus verursacht keinen islamistischen Terrorismus, sonst würde Manila nicht vom IS belagert werden.
Nachdem sich die Wogen geglättet haben, werden die üblichen Stimmen neuerlich nach Interventionen im Nahen Osten rufen. Zum 37. Mal dasselbe Lied. Das letzte Mal haben wir die nordafrikanische Küstenlinie verwüstet, die zwischen dem ewig entflammten Nahen Osten und einem verarmten Kontinent steht. Das ist nicht gut ausgegangen, um es höflich auszudrücken. Die andere Seite wird behaupten, dass der „Krieg gegen den Terror“ von Anfang an ein Fehlschlag war. Aber wir führten nie einen Krieg gegen Terror, wir führten einen Krieg gegen Tyrannen. Tyrannen, die gezwungen waren Terroristen zu bekämpfen, noch viel länger als wir.
Die zweite Generation
Die meisten Terroristen im Westen leben in zweiter Generation in westlichen Ländern, oft in völlig abgeschlossenen Communities, und haben sich selbst radikalisiert. Sie sind gereist und haben einer fremden Obrigkeit Treue geschworen, einem fremden Staat, einer fremden Ideologie. Sie taten das, weil sie sich nie mit der Nation ihrer Geburt identifizieren konnten. Weil ein gesunder Nationalismus im Westen von der regierenden (supranationalen) Elite gemieden wird. Doch Menschen brauchen so etwas wie eine Stammesidentität. Eine Fahne zum Schwenken. Wenn ihnen die Identität verweigert wird, werden sie nicht plötzlich identitätslos. Sie suchen einfach eine andere. Millionen wählten einst die Rote Fahne und schworen ihr Treue, Millionen wählen jetzt eine Schwarze Fahne. Und Großbritannien ist nun zerrissen, ob es den Union Jack schwenken soll oder die Fahne Europas.
Europa hat keine strahlende Zukunft. Thomas Hegghammer hat in seiner Abhandlung 2016 vier Faktoren herausgearbeitet, die Europa zu einem Kriegsschauplatz gemacht haben. Es gibt eine ganz spezielle Community von Migranten der zweiten Generation, von denen man erwartet, dass sie ökonomisch zurückbleiben und sich daher weiter radikalisieren. Was durch eine steigende Zahl von Entrepreneuren des Jihad unterstützt werden wird, einfacher gesagt von Anwerbern für Islamisten, Imamen in Ghettos und Moscheen, die von den Golfstaaten finanziert werden. Von unseren Partnern, denen wir gerade Waffen im Wert von Millionen Dollar verkauft haben, damit sie weiterhin Bürgerkriege finanzieren und den Nahen Osten destabilisieren können. Das wird zu einem fortdauernden Konflikt in der Muslimischen Welt führen, gefördert von unserem Mangel an digitaler Durchdringung dieser Welt.
Den Aufstand niederschlagen
Natürlich werdet ihr nichts von alldem in den Medien erwähnt finden, denn das würde bedeuten, harte, politisch nicht korrekte Fakten zu akzeptieren. Das würde bedeuten zu akzeptieren, dass die Strategie, „die Herzen und Seelen zu gewinnen“, gescheitert ist. Das würde bedeuten, nein, wir sind nicht vereint im Westen, und ja, dein Kumpel aus der Nachbarschaft könnte gerade einen Bombenanschlag auf das Lokal planen, in das deine Tochter jeden Freitag geht. Die Hashtags sind gescheitert. Die Kerzen-Mahnwachen sind gescheitert. Zu akzeptieren, dass es sich um einen Aufstand handelt, würde bedeuten zu akzeptieren, dass die einzige Option darin besteht, klassische Strategien zur Aufstandsbekämpfung zu verfolgen, mit Augen und Ohren in der Community, tiefer Durchdringung und Überwachung. Kurz, die Debatte zwischen Freiheit und Sicherheit wird zu Gunsten der Sicherheit entschieden werden müssen – zumindest kurzfristig. Das würde bedeuten, weniger Steuergelder für KAB500-Bomben auszugeben, die man auf weiße Toyotas in Syrien wirft, weniger Britische Truppen in Litauen zu stationieren, und mehr Geld für bewaffnete Polizisten auszugeben, die durch unsere Siedlungen patrouillieren. Das würde bedeuten, so viel Geld für die Durchdringung von Communities auszugeben, wie man es seit dem Nordirland-Konflikt nicht mehr gesehen hat, bedeutet mehr Royal Navy auf Patrouille, die Menschenschmuggler und NGOs stoppt, die mit den Schleppern zusammenarbeiten.
Als jemand, der aus einem Land stammt, das sich seit Mitte der 1980er Jahre mit dem islamistischen Terrorismus im Krieg befindet, sage ich euch, was ich gesehen habe, und was dem Westen bald bevorstehen könnte. Die primäre Pflicht eines Staates ist es, seine Bürger zu beschützen. Sonst nichts. Nicht angebliche Hassreden zu überwachen, nicht moralischen Beistand für Drogensüchtige zu leisten, keine idiotischen Mikroaggressionen zu untersuchen. Sondern Sicherheit für jene zu sicherzustellen, die Steuern zahlen. Wenn ein Staat daran scheitert, greifen die Bürger selbst zu den Waffen. Und, glaubt mir, das wollt ihr in eurem Land nicht sehen.
Die Originalfassung dieses Texts erschien in englischer Sprache im Magazin Quillete. Thomas Eppinger hat den Text mit Genehmigung des Autors ins Deutsche übersetzt.
Hat Ihnen der Beitrag gefallen? Dann unterstützen Sie bitte die SCHLAGLICHTER!
Über den Autor
Sumantra Maitra ist Doktorand in »Internationale Beziehungen« an der Universität von Nottingham, UK, wo er über die Beziehungen von Großmächten im Lichte des Neorealismus forscht, mit einem speziellen Fokus auf Russland und die NATO. Maitra ist Master in »Journalismus und Massenkommunikation« und in »Internationale Beziehungen«, er schloss beide Studien mit Auszeichnung ab. Sie finden ihn auf Twitter @MrMaitra.
Sie erreichen den Autor am Besten auf Twitter @MrMaitra.
Der Artikel strotzt nur so von Fehlern. Die „Belagerung“ von Manila entpuppte sich als Casino-Raub. Der IS bekennt sich immer voreilig zu Schießereien, Explosionen etc, egal was die Ursache war. So war es schon bei dem Anschlag auf den Bus von Borussia Dortmund. Auch zu diesem Anschlag bekannte sich der IS und er entpuppte sich als ein Akt gewöhnlicher Kriminalität.
Mangel an Nationalismus ist kein Grund. Das könnte man annehmen, wenn man sich etwa Belgien ansieht, das durch den Sprachenstreit zerrissen ist, aber sicher nicht in Frankreich.