VAN DER BELLEN UND DIE STÜTZMAUER

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Photo: Peter Lechner/HBF, Öst. Präsidentschaftskanzlei

Protokoll einer Schande

Kennen Sie diese Wand in Jerusalem, in die man kleine Zettel mit seinen Wünschen reinsteckt? Die…, wie heißt sie doch gleich? Ich komm‘ gerade nicht drauf. Der österreichische Bundespräsident Alexander van der Bellen kennt sie jedenfalls, hat sich sogar eine Kippa aufgesetzt und ein Zettelchen reingesteckt. Und ein Video davon drehen lassen vor dieser Dings, mir fällt der Name einfach nicht ein, vor dieser Mauer eben. Manchmal bin ich ein wenig vergesslich, fragen Sie meine Frau. Zum Glück erklärt sie uns der Präsident: »Sie erkennen vielleicht im Hintergrund den Felsendom, die Mauer, die Stützmauer, …«

Das hat mich ein bisschen verunsichert. Welche Stützmauer? Die Mauer ist die Umfassungsmauer des Zweiten Jüdischen Tempels, der 70 n.Chr. von den Römern zerstört wurde. Wieso sagt der Herr Bundepräsident das nicht? Oder fällt ihm auch gerade der Name nicht ein? Kann ich mir irgendwie nicht vorstellen, er hat ja sicher genug Leute mit, die er fragen könnte. Da wird wohl einer dabei sein, der nicht so vergesslich ist wie ich. Das Video ist ja kein Selfie. So lange Arme hat er nicht, dass er sich dabei filmen kann, wie er einen Zettel in die Mauer steckt. Und Google geht auch in Israel, die haben sogar riesige Entwicklungszentren dort. Also will er uns was sagen damit. Bloß was?

Dass es sich um eine Stützmauer für den Felsendom handle, dürfte er kaum gemeint haben, auch wenn man das als Zuseher so verstehen könnte, denn ohne Stütze könnte der Felsendom ja umfallen. Dann hätte unser Präsident beim Filmen auch noch Angst haben müssen, dass ihm der Felsendom auf den Kopf fällt. Gott behüte. Doch die Araber waren nicht so vorausschauend, zur Zeit von Christi Geburt eine Stützmauer für den Dom einer Religion zu errichten, die erst 600 Jahre später gegründet worden ist. 

Warum sagt er dann »den Felsendom, die Mauer, die Stützmauer«? Warum vermeidet er jeden Bezug auf das Judentum und verbindet ihren Zweck, absichtlich oder nicht, auch noch mit dem Felsendom? »Es ist eine schöne Tradition, dass man in eine Ritze, die man findet, vielleicht einen kleinen Zettel oder einen Brief deponiert mit einem Wunsch.« Eh. Aber hat es mit dieser Mauer nicht noch irgendwas anderes auf sich, außer einer beliebigen Tradition wie jener, in den Trevi-Brunnen eine Münze zu werfen, auf dass man wieder nach Rom zurückkomme? Irgendwas mit Religion vielleicht, mit Juden und mit Beten? Scheut der Präsident jeden noch so kleinen Hinweis auf tausende Jahre jüdischer Geschichte in Jerusalem? 

Viele seiner Fans sind jedenfalls begeistert. »Jerusalem ist die Hauptstadt von Palästina«, schreiben sie unter das Video und malen gaaanz viele kleine Palästina-Flaggen und Victory-Zeichen dazu. Sieht süß aus. Sie erinnern ihn daran, dass »Jerusalem arabisch ist und für immer arabisch bleiben wird«, und hoffen, »es wird auch Kritik an Israels Regierung geben«. Aber sicher doch, vielleicht findet sich sogar ein Stündchen, um einen Kranz an Arafats Grab niederzulegen

Alles Palästina oder was? Mit Jerusalem als Hauptstadt. Warum nicht? Ein Staat für Juden ist eh irgendwie so 20. Jahrhundert, klingt schon ziemlich völkisch, finden Sie nicht? Van der Bellen trifft sich ja auch mit Mahmoud Abbas auf seiner Israel-Reise. Abbas sei auch in Wien immer willkommen, hat er davor gesagt. Sehr wichtig, nur nicht einseitig sein. Gerade als neutraler Staat darf man auf keinen Fall den Eindruck erwecken, man würde sich auf die israelische Seite schlagen. Was würde uns das schon bringen? Außer Ärger? Die Araber haben das Öl, und außerdem ist ja wirklich nicht alles fein, was die Israelis mit den Palästinensern machen. Der Landraub, die Siedlungen, die ganze Apartheid und all das. Sind ja inzwischen tootaaal rechts dort. Und Gaza ist schließlich auch nicht so viel was anderes als ein KZ. Gelernt haben sie nicht wirklich was aus dem Holocaust, da könnten sie sich schon noch was abschauen von uns. 

Van der Bellen hat das sehr gut gemacht, sehr diplomatisch. Ohne Judentum kommt die Gewaltspirale gar nicht erst in Gang. Also erwähnen wir es nicht. Aus den Augen, aus dem Sinn, hat schon meine Oma gesagt. Was bin ich froh, diesen Mann gewählt zu haben! Gleich doppelt, das hält bekanntlich besser. Oder waren es dreimal? Hab‘ ich leider vergessen. Van der Bellen findet einfach immer die richtigen Worte. Ob er uns empfiehlt, alle mal öfter Hijab zu tragen, oder jetzt vor dieser Mauer – wenn mir bloß der Name einfiele… 

Irgendwie macht das Dings nicht mehr richtig mit, Sie wissen schon, dieses Teil mit Augen, das dazu da ist, damit es nicht in den Hals regnet. 

Nachtrag

Den launigen Text hatte ich im unmittelbaren Ärger über das Video von Alexander van der Bellen aus Jerusalem verfasst. Am Tag danach dazu ein paar Ergänzungen und Klarstellungen. 

Natürlich ist die Bezeichnung Stützmauer oder Mauer sachlich nicht falsch, sondern die Konnotation. Er spricht vom Felsendom und von Traditionen – den Tempelberg, Gebete oder Judentum erwähnt er nicht. Die Mauer war die Stützmauer des Zweiten Tempels, der 70 n.Chr. zerstört wurde. Heute ist sie der letzte Teil, der davon übriggeblieben ist. Entsprechend groß ist ihre Bedeutung. Wenn VdB das Wort »Klagemauer« vermeiden wollte, hätte er sie »Mauer« oder »Stützmauer des Tempelbergs« nennen oder den hebräischen Namen »Ha Kotel«, »Westliche Mauer«, verwenden können, oder einfach nur Kotel. Hat er aber nicht. So gut wie niemand nennt sie im Deutschen einfach Stützmauer, schon gar nicht im Zusammenhang mit dem Felsendom.

Der Felsendom wurde an dieser Stelle errichtet, um den Tempel vergessen zu machen. Dabei muss ein österreichischer Präsident nicht noch Jahrhunderte später behilflich sein. 

Worte bekommen ihre Bedeutung im Kontext. Auch die unausgesprochenen. Und dieser Kontext ist es, der mich empört hat. Schon im Vorfeld hatte VdB betont, dass er auch Mahmoud Abbas treffen werde und dieser jederzeit in Wien willkommen sei. Warum tut er das? Hält er Abbas noch immer für einen Gesprächspartner, der irgendwas zum Friedensprozess beitragen könnte? 

Beim Empfang von Mahathir Mohamad, dem malayischen Regierungschef und Hardcore-Antisemiten, hat VdB »vergessen«, den Ausschluss des israelischen Teams von den Paralympics zu erwähnen. Sebastian Kurz hat den Antisemitismus während des Besuchs angesprochen. Auch der iranische Präsident Rohani wurde von VdB verhätschelt und umgarnt, während Kurz klare Worte zu dessen Auslassungen über Israel fand. Man kann also sehr wohl im Rahmen des diplomatisch Üblichen Haltung zeigen. Oder man lässt es eben sein. Und VdB lässt es immer sein, wo er am linken Mainstream anecken könnte. Position bezieht er »gegen rechts« und für das Kopftuch. Er rennt nur jene Türen ein, die in seinem Milieu sperrangelweit offenstehen. So sehr er sich bemüht nirgendwo anzuecken, sein Kompass ist nicht kalibriert.

VdB gibt sich vor Ort sicher alle Mühe und ist weder ein Antisemit noch ein Feind Israels. Aber er ist unklar und bleibt im Vagen, wo er klar sein müsste. Auch hier wieder. Schlimmer noch, indem er jeden Bezug zum Judentum peinlich vermeidet, hilft er durch seine Unterlassungen, den Anspruch Israels auf Jerusalem zu delegitimieren. 

Ich unterstelle ihm persönlich keine schlechte Absicht, aber damit setzt er ein Signal, ob bewusst oder unbewusst. Und das Signal kommt an. Entsprechend hemmungslos haben sich Israelhasser unter dem Video ausgetobt, ohne dass die Redaktion eingegriffen hätte – auf der offiziellen Seite des Bundespräsidenten, wohlgemerkt. Erst nach mehr als einem Tag begann man, an die 400 Kommentare zu löschen. Propaganda-Lügen von palästinensischen Aktivisten wie die gefakte Karte vom »Verlust Palästinensischer Gebiete 1946-2000« stehen zum Zeitpunkt des Verfassens dieser Zeilen immer noch dort.

Alles in allem ergibt das in meinen Augen ein entsetzliches Bild. Daher mein Ärger.

Epilog

Kaum hatte ich meinen Text um den obigen Nachtrag ergänzt, kam die Meldung, der Bundespräsident würde tatsächlich einen Kranz am Grab von Yassir Arafat niederlegen. 

Schon der Besuch bei Mahmoud Abbas ist kritisch. Israel ist eine rechtsstaatliche Demokratie, Abbas ist im 14. Jahr seiner 4-jährigen Amtszeit. Kein Staatsoberhaupt hätte bei einem Staatsbesuch den britischen Premierminister und die Führer der IRA aufgesucht, oder den spanischen König und die Spitzen der ETA. 

Besonders pikant: Abbas, Kampfname Abu Mazen, leugnet den Holocaust und beschuldigt in seiner Dissertation die Zionisten, mit den Nationalsozialisten gemeinsame Sache gemacht zu haben. Die Zionistenführer hätten gewollt, »dass Juden ermordet würden, weil mehr Opfer zu haben bedeutete, größere Rechte und stärkere Privilegien am Verhandlungstisch zu bekommen. Die Zionisten mussten die Zahl der Opfer erhöhen; mit diesen konnten sie dann bei der Abrechnung prahlen.« 

Nun kann man sich in der Politik seine Gesprächspartner nur begrenzt aussuchen. Welche Toten man ehrt, hingegen schon. 

Yassir Arafat war ein Mörder und korrupt bis in die Knochen. Er hat seinem Volk Milliarden gestohlen. Er war persönlich für die Ermordung hunderter, wenn nicht tausender Menschen verantwortlich. Seine Gefolgsleute haben Frauen und Kinder ermordet, Schulbusse und einen Flieger der Swiss Air in die Luft gesprengt, Flugzeuge und ein Schiff entführt und Mitglieder der israelischen Olympiamannschaft bei den Spielen 1972 in München gefoltert, verstümmelt und ermordet. 

Arafat hat die Gründung eines palästinensischen Staates in Camp David abgelehnt, um sein Geschäftsmodell, das aus Raub, Mord, Folter und Erpressung bestand, nicht zu gefährden. Danach hat er die zweite Intifada losgetreten, in der Palästinenser 20.406 Anschläge verübt haben, darunter 13.730 Schussüberfälle und 138 Selbstmordanschläge. 1036 Israelis wurden dabei getötet, darunter 715 Zivilisten, und 7045 verletzt.

Wie sein deutscher Amtskollege Frank-Walter Steinmeier ehrt Van der Bellen nun diesen Mann posthum. Als sei es legitim und ehrenwert, Israels Existenz mit allen Mitteln des Terrors zu bekämpfen.

Dafür gibt es nur ein Wort: Schande. 

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Über den Autor / die Autorin

Thomas M. Eppinger

Thomas Eppinger ist davon überzeugt, dass alle Menschen mit unveräußerlichen Rechten geboren sind, zu denen das Recht auf Leben, Freiheit und das Streben nach Glück gehören. Daraus ergab sich alles andere, auch diese Website.
Der Publizist ist 1961 in Vöcklabruck geboren, lebt heute in Graz und arbeitet in Wien als Lead Editor bei »Der Pragmaticus«. Davor leitete er den unabhängigen Nahost-Thinktank Mena-Watch.