JOHANNES VOGGENHUBER

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Photo: Johannes Voggenhuber, CC-BY-SA 4.0

Erinnerungen an eine Auseinandersetzung

Im Februar 2001 kam es im Immunitätsausschuss des Europäischen Parlaments zu einer kuriosen Auseinandersetzung.

Auf der Tagesordnung standen Diskussion und Entscheidung über die Aufhebung meiner Immunität als Abgeordneter des EU-Parlaments. Es ging um eine Klage des damaligen Präsidenten der Israelitischen Kultusgemeinde gegen mich wegen »Beleidigung« und »Übler Nachrede«. Grund war ein Interview in einer slowenischen Zeitung, das mir nie zur Korrektur vorgelegt worden war, und tatsächlich keine Sympathie erregenden Kommentare über den Präsidenten beinhaltete – die ich allerdings in der Form auch nie gesagt hatte.

Zu Beginn der Debatte, bei der zahlreiche Abgeordnete aus den verschiedenen Mitgliedsländern teilnahmen, wurde die Klage gegen mich vorgelesen, und die beleidigenden Formulierungen irritierten viele der Zuhörer. Anwesend waren auch Abgeordnete der SPÖ und der österreichischen Grünen, unter ihnen Johannes Voggenhuber.

Mir wurde als letzter die Möglichkeit gegeben, mich zu verteidigen, doch zuvor gab es eine Liste von Rednern, die natürlich meine Auslieferung, das heißt Aufhebung der Immunität, forderten. Die Abgeordneten der anderen Länder kannten mich kaum und schon gar nicht meine Mitgliedschaft bei der Jüdischen Gemeinde in Wien und daher auch nicht die besondere Beziehung, die ich zum Präsidenten hatte. Mit einem Wort, sie wussten nicht, dass ich Jude war, und sahen in mir den typischen rechtsextremen FPÖ-Politiker.

Das Interesse der Abgeordneten hielt sich allerdings in Grenzen, viele spielten mit ihren Mobiltelefonen und hörten kaum den einzelnen Rednern zu. Vorne saßen die Vorsitzenden des Ausschusses an einem Tisch und versuchten, den ganzen Zirkus einigermaßen unter Kontrolle zu halten.

Zu Wort meldeten sich vor allem Abgeordnete der SPÖ und eben auch Johannes Voggenhuber. Bereits die SPÖ-Vertreter verteufelten mich in ihren kurzen Reden als typischen Rechten, wie sie eben in der FPÖ herumlaufen würden, und verlangten von den Mitgliedern des Ausschusses, dass bei der Abstimmung meine Immunität aufgehoben werden solle, um mir eine Lehre zu erteilen über Beleidigungen. 

Doch die SPÖ-Vertreter hielten sich zurück mit dem Thema »Judentum« und warfen mir zumindest keinen Antisemitismus vor. Dennoch waren die Beiträge so formuliert, dass keiner der Anwesenden auch nur ahnen konnte, dass ich selbst Jude sei, sondern in ihren Augen war es eben die Beleidigung eines Präsidenten einer Jüdischen Gemeinde durch einen Rechtsextremen.

Bis dann Johannes Voggenhuber die Sache in die Hand nahm und die Zuhörer aufklärte, dass es sich um einen klaren Fall von rechtsextremem Antisemitismus handeln würde, wie dies durchaus üblich sei in der FPÖ, und dass ich völlig bewusst und absichtlich einen Vertreter der Juden in Österreich beleidigt hätte. Das sei sozusagen der Alltag unter Freiheitlichen, und dagegen müsste hier besonders scharf vorgegangen werden. Eine Aufhebung meiner Immunität sah er als Selbstverständlichkeit. Nichts anders sei zu erwarten.

Zuletzt durfte ich sprechen, und ich überraschte die Zuhörer mit meinen Aussagen. Ich erklärte ihnen, dass sie sich hier in einen innenjüdischen Konflikt einmischen würden. Ich sei selbst Mitglied der Gemeinde, und wie ich mit meinem Präsidenten kommunizieren würde, sei einzig und allein mein Problem und das der anderen Mitglieder der jüdischen Religionsgruppe. Die hier Anwesenden sollten sich aus diesem Konflikt heraushalten.

Für einen Moment war es ruhig im Saal. Selbst jene, die ihr Desinteresse durch Unterhaltungen mit ihren Nachbarn zeigten, hörten auf zu reden und konzentrierten sich auf meine Worte. Ich sprach weiter von den inneren Strukturen unserer Gemeinde, dem Verhältnis zwischen mir und – wie ich immer wieder betonte – meinem Präsidenten und bat die Anwesenden erneut, sich nicht einzumischen.

Von den österreichischen Abgeordneten hörte ich nichts mehr, sie schienen sich unter den Tischen verkrochen zu haben und mussten erkennen, dass die Nicht-Erwähnung meines Judentums und die Darstellung meiner Person als typisch antisemitischen Freiheitlichen diesmal nicht ganz funktionieren würde. Von einigen Abgeordneten anderer Länder kamen dann zaghaft die Vorwürfe, warum sie über diese besondere Form der Beziehung zwischen dem Präsidenten und mir nicht informiert worden wären, und wunderten sich über die Redner aus Österreich, warum dies keiner erwähnt hätte.

Man hätte sich die ganze Unterredung erspart, da man nicht die Absicht habe, sich in diesen Konflikt einzumischen. Die Abstimmung ergab dann eine Mehrheit für die Beibehaltung der Immunität – sehr zum Missfallen der österreichischen Abgeordneten von SPÖ und Herrn Voggenhuber. 

Es war eine dieser typischen Situationen im politischen Leben von Voggenhuber, die auch so gut zu seiner Vorstellung als Kandidat für die kommende EU-Wahl passt. Ein Geschwafel von moralischer Überlegenheit gegenüber dem politischen Gegner, mit ständigen Vergleichen der jetzigen Regierung zur Nazi-Zeit und einer Drohgebärde, als sei er die antifaschistische, männliche Joan d’Arc, die Österreich vor den Nazis retten würde. Für sein politisches Verständnis existiert kein Unterschied zwischen ÖVP und FPÖ, beide seien rechte bis rechtsextreme Parteien, die die Demokratie in Österreich gefährden würden. Da wird von »uralten Dämonen« aus der Vergangenheit gesprochen, die jetzt wieder auftauchen würden und mit üblich mystischer Formulierung spricht er vom »Abgrund des Holocaust«.

Ein selbstgefälliger, alt und schwerfällig gewordener Mann präsentiert sich als Retter der Demokratie, Retter der EU, Retter vor dem rechtsextremen Nationalismus und dem Abgrund des Holocaust – was immer er damit gemeint haben könnte. Wie seine ideale politische Struktur aussehen könnte, kann man auf Nebenschauplätzen erkennen, wie seine Bewunderung und Verteidigung von Putin, seine Kritik an den Sanktionen gegen Russland, der Verteidigung der Besetzung der Krim und an seinem Hass gegenüber den USA – dem eigentlichen Grund für das Böse in der Welt.

Alles kommt einem irgendwie bekannt vor, alles scheint man schon gehört und gelesen zu haben. Wiederholungen linker Positionen mit den üblichen Klischees von Putin-Verteidigung bis USA-Verteufelung und dem nahtlosen Übergang vom Faschismus zur österreichischen Regierung. Als hätte er sich selbst aus dem Hut gezaubert, in dem er schlummerte, versucht er mit Altgebackenem zu überraschen und verwechselt frisch und knusprig mit hart und spröde gewordener politischen Position.

Zur Sache sei noch erwähnt, dass der Präsident der Gemeinde darauf verzichtete, nach meinem Ausscheiden aus dem Parlament die rechtlichen Konsequenzen durchzusetzen, wozu er die Möglichkeit hatte, da ich nicht mehr durch Immunität geschützt war. Wir trafen uns zufällig vor einem Würstelstand in Wien und vereinbarten, dass wir die Sache einfach vergessen. Er war halt doch mein Präsident, auch wenn das ein Voggenhuber nie verstehen wird.


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Über den Autor / die Autorin

Peter Sichrovsky

Klassische Dilettanten-Karriere, wenig von viel und viel von wenig zu wissen, zu können, nach Studium der Chemie Marketing in Pharmaindustrie, dann Journalist, Schriftsteller, Mit-Gründer des Standards, SZ/Stern Korrespondent in Asien, EU-Parlamentarier, die letzten zehn Jahre Industrie-Karriere in Süd-Ost-Asien, 23 mal übersiedelt und nach Wien, Berlin, New York, München, New Delhi, Singapur, Hong Kong, Manila, Los Angeles und Brüssel in Chicago gelandet. Seit September 2017 lebt Peter Sichrovsky in London.

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