SILICON-VALLEY DEMOKRATIE

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Photo: Ed Uthman, CC BY-SA 2.0

Wie Google & Co. Wahlen entscheiden

Wer von Demokratie oder auch nur von demokratisch spricht, der meint damit äußerst selten die ehemalige Deutsche Demokratische Republik (DDR). Ebenso selten wird die Wahl zum Obersten Sowjet gemeint sein, wenn von demokratischen Wahlen gesprochen wird. Und schon gar nicht will der Begriff „Demokratie“ den Prozess veranschaulichen, der – um das andere Ende des ideologischen Regenbogens aufzuspannen – in einer Aktiengesellschaft den Aufsichtsrat durch Mehrheitsvotum ernennt. „Demokratie“ bedeutet wesentlich mehr als die bloße Mehrheitsfindung durch Wahlen.

Ein Land ist demokratisch, wenn das Volk das Recht hat, in regelmäßig stattfindenden geheimen, allgemeinen und gleichen Wahlen in einem Mehrparteiensystem seine Regierung zu wählen.

Francis Fukuyama

Damit drückt der Historiker Francis Fukuyama in seinem Bestseller Das Ende der Geschichte die Notwendigkeit von Wahlen aus, verknüpft sie aber gleichzeitig mit dem Vorhandensein von Bürgerrechten und der Existenz eines freien Marktes. Erst aus diesem Goldenen Dreieck heraus entsteht eine freie Demokratie im westlichen Sinne, geschultert auf den Säulen der Aufklärung, der amerikanischen und der französischen Revolution.

Informationsfreiheit: der Schlüssel zur Demokratie

Mit allergrößter Wahrscheinlichkeit hat der Leser dieser Zeilen den Weg zu diesem Text mittels einer Suchmaschine oder über einen Link aus den Sozialen Medien gefunden. Möglicherweise vermittelte auch ein Newsletter, doch auch der war wiederum nur ein Ergebnis eines Findungsprozesses, der über eine Suchmaschine oder über einen Link aus den Sozialen Medien verlief.

Der einflussreiche Medienkritiker und „Vater des modernen Journalismus“ Walter Lippmann prägte schon Anfang des 20. Jahrhunderts den Begriff Gatekeeper für diesen Selektionsprozess. „Jede Zeitung ist, wenn sie den Leser erreicht, das Ergebnis einer ganzen Serie von Selektionen.“ Oder anders ausgedrückt: Täglich passiert mehr, als in 15 Minuten Tagesschau hineinpassen. Der Gatekeeper entscheidet über die relevante Nachricht. Er ist es, der zwischen relevanten und irrelevanten Informationen unterscheidet. Ein Gatekeeper kann sowohl als Journalist, als auch als eine mediale Plattform fungieren. Einer der ersten modernen Gatekeeper der Menschheit war der Buchdruck, später der Buchverlag. Relevant ist, was gedruckt und gelesen wird. Doch sollte es nicht genau anders herum sein? Sollte nicht vielmehr relevant sein, was für den Leser von Relevanz ist – und nicht das, was ein Gatekeeper für relevant, also berichtenswert, hält?

Bill of Rights

Die amerikanische Verfassung bildet die Blaupause für westliche Demokratien bis zum heutigen Tag. Nicht zuletzt auch deshalb, weil dem Beschluss im Jahr 1789 nicht wie in Frankreich ein zentralistisches, jakobinisches Terrorregime folgte, sondern eine föderale Republik, die mit Kontinuität glänzte. Beide Verfassungen zeichnet aber aus, dass sie ein und derselben aufklärerischen Traditionslinie gefolgt sind und diese letztlich perfektionierten haben: Der Virginia Declaration of Rights (1776), der Englischen Bill of Rights von 1689, und letztlich der Magna Carta (1215). Dahinter stand immer die Forderung, dass allen Bürgern aristokratische Freiheits- bzw. Grundrechte in der Verfassung zu gewähren seien, unabhängig von Geburt und Stand.

In den USA bezeichnet man diese Bürgerrechte namensgleich als „Bill of Rights“, und man formulierte sie nach ihrer Wichtigkeit gereiht als so genannte Amendments, Verfassungszusätze. Somit war das First Amendment zuvorderst und ist am bedeutsamsten zu erachten, alle anderen folgerten „bloß“ daraus. Die für unser Thema wichtigsten Zeilen lauten:

Der Kongress darf kein Gesetz erlassen, das … die Rede- oder Pressefreiheit … einschränkt…

Auf diesen Zeilen basiert ein im Jahr 1996 beschlossenes Gesetz, das die Grundlage bildet für alles, für wirklich alles, was Google, Facebook & Co gedeihen lässt: Der Section 230 of the Communications Decency Act of 1996.

Warum Provider nicht für den Inhalt haften

No provider or user of an interactive computer service shall be treated as the publisher or speaker of any information provided by another information content provider.
(§230 Communications Decency Act of 1996)

Wie bemerkt das Wired-Magazin so treffend: “In a nutshell, Section 230 is the statutory glue behind everything you love and hate about the internet.”

Um die gesamte Tragweite dieses Paragraphen in aller Ausführlichkeit zu behandeln, fehlt hier der Platz. So viel sei aber gesagt, die Zeilen bedeuten nichts anderes, als dass kein Anbieter von Informationen (Provider) dafür bestraft werden darf, was ein Dritter auf diesem Provider veröffentlicht. Dies ist der Grund dafür, dass Facebook, Google, WhatsApp, Airbnb etc. als ein Intermediär nicht für etwaigen illegalen Content belangt werden dürfen. Oder in anderen Worten: Facebook & Co. werden von Gesetzeswegen behandelt wie ein jeder Handy-Anbieter oder der Briefzusteller Post. Sie sind nicht für den Inhalt der Informationen verantwortlich zu machen, da sie nur „vermitteln“ und damit der verfassungsgemäß geschützten Redefreiheit dienen.

Diese strikte Auslegung der Bürgerrechte im Geiste James Madisons und Thomas Jeffersons schafft de facto nicht nur den Gatekeeper ab, sondern ermöglicht überhaupt erst die Umsetzung der Redefreiheit im digitalen Zeitalter. Die Krux daran: Eine derartig konsequente Auslegung der Rede- und somit der Pressefreiheit ist in deutschsprachigen Ländern nicht möglich, weil hierzulande die Verfassungen bloß die Meinungsfreiheit schützen.

Der Staat zensiert Zuckerberg

Man braucht nicht viel Fantasie um zu ahnen, wann die formell absolute, digitale Redefreiheit an ihre Grenzen stößt. Etwa dann, wenn dieses Grundrecht mit anderen Grundrechten kollidiert. So entsteht zwangsläufig ein Spannungsfeld zwischen dem Recht auf freie Rede und dem Recht auf (soziale) Sicherheit. Sobald etwa die freie Rede im Sinne der institutionalisierten Pressefreiheit politische Themen aufgreift, allerspätestens dann wird der Ruf nach staatlicher Regulierung laut. Anstatt dieser legitimen Forderung mit dem Vertrauen auf den Rechtsstaat zu antworten, der mit seinem Straf- und Zivilrecht ohnehin schon diesem Grundrechtskonflikt offen Rechnung trägt (zB mit den Tatbeständen der Beleidigung, Verleumdung oder Kreditschädigung, bis hin zum Wiederbetätigungsverbot hierzulande etc.), anstatt sich also auf bewährte Strukturen und Verfahren zu verlassen, entwickelt der Gesetzgeber Regularien, die an Absurdität kaum zu überbieten sind.

Beim Schreiben dieses Artikels werden gerade wieder zwei sprichwörtliche Säue durchs Dorf getrieben, die dies veranschaulichen: Jenseits des Atlantiks die Legende von Cambridge Analytica, die sowohl Trump, als auch den Brexit verursacht haben soll, und diesseits des Atlantiks das Netzwerkdurchsetzungsgesetz, das auch auf EU-Ebene Schule machen will. Mit beiden künstlich entfachten Debatten soll vom eigentlichen Problem abgelenkt werden. Denn nicht der Bürger, der seine Meinung öffentlich kundtut, ist das Problem, das Problem sind die Eingriffe des Staates durch Gesetze in die Intermediäre wie Facebook oder Google – oder besser gesagt in deren Algorithmen.

Wer manipuliert und wozu?

Facebook hat etwa 2,1 Milliarden aktive Nutzer. Eine Milliarde nutzen die Plattform jeden Tag, davon fast 4 Millionen Österreicher. Das sind etwa 45% der heimischen Bevölkerung. Bei Google wirken die Zahlen fast schon grotesk. Die Anzahl der Google-Anfragen lag im Jahr 2016 bei 3,29 Billionen, das sind rund 100.000 Anfragen pro Sekunde. In Österreich vertrauen rund 97% aller Internetuser dieser Suchmaschine. Im Klartext bedeutet das, dass jeder Österreicher Google verwendet um Informationen einzuholen. Dagegen machen sich einheimische „Big Player“ wie der ORF oder der Standard wie Mücken aus, wenn sie etwa zusammen von 50% Marktanteil sprechen.

Prof. Robert Epstein, Harvard Absolvent und Gründer des Cambridge Center for Behavioral Studies, untersuchte in einer breit angelegten Studie bereits 2015 den nun nach ihm benannten search engine manipulation effect (SEME). Er wies nach, dass bei nationalen, demokratischen Wahlen, egal in welchem Land dieser Erde sie stattfinden, bereits heute die Reihenfolge der Suchergebnisse bei Google ausreichen, um 20% der unentschlossenen Wähler in die eine oder andere Richtung zu „lenken“. Bei spezifischen Zielgruppen gelang das sogar zu 80%. Mit anderen Worten: Jede Debatte, die sich um etwaige „Fake-News“ durch Facebook oder andere Social Media dreht, ist eine Scheindebatte, was die Meinungsbeeinflussung der Massen betrifft. Die Algorithmen der Global Player sind der Schlüssel in die Köpfe der Menschen – und diese werden durch staatliche und nichtstaatliche Gatekeeper beeinflusst. Fake-News-Debatten dienen der Ablenkung und der Beschneidung der Redefreiheit. Manipuliert wird schon längst. Die entscheidende Frage lautet nur: Von wem und wozu?

Der Google Test

„Don’t be evil“ lautete einst das Motto des wertvollsten Unternehmens der Welt. Seit 2015 änderten Google bzw. Alphabet Inc. ihren corporate code of conduct (Verhaltenskodex) in “Do the right thing”. Nur ein Schelm denkt da an böse Absichten.

Dabei hält Google volle Transparenz in seinem Gebaren. Je nachdem, ob die Suchergebnisse erwünscht oder unerwünscht sind, werden sie dort als “gut” oder als “böse” (toxisch) zertifizieren. Auf der Google-Website www.perspectiveapi.com dürfen Entwickler und auch der Otto-Normal-User Texte in das Formularfeld tippen und Google bewertet daraufhin den eingegebenen Satz. „0“ bedeutet nicht-toxisch, „1“ als Ergebnis bedeutet „toxisch“ – sprich: „erwünscht“ oder „unerwünscht“. (das Eingabefeld ist gleich neben: “Writing Experiment – What if you could see the potential impact of your writing?”)

Folgende Sätze seien als Selbst-Test vorgeschlagen: „Trump is bad“ vs. “Obama is bad”, “I don’t like heteros” vs. “I don’t like gays” oder “I like jews” vs. “I like muslims”. Achten Sie auf die Punkte. Der Vergleich macht Sie sicher.

Es geht um Algorithmen, nicht um Fake News

Sowohl Google als auch Facebook beeinflussen unser Leben und unsere Demokratie schon heute mehr und direkter, als demokratisch legitimierte Kleinparteien. Das gelingt ihnen aber nicht durch “Fake-News”, sondern durch ihre quasi unsichtbaren Algorithmen, “secret sauce” genannt. Durch die Selektion der Information entsteht ein so genannter confirmation bias, der manipulativ wirken kann: der Gatekeeper ist zurück.

Bei einem Beeinflussungsgrad von 20% bis 80% entscheiden Firmen aus Silicon Valley über den Ausgang von Wahlen genauso mit wie über die nächste persönliche Kaufentscheidung. Das sollte nicht nur uns, sondern auch diese Weltkonzerne selbst stutzig machen, um es vorsichtig auszudrücken. Doch das Aussperren von Zukunftstechnologien, die uns im Grunde nur ruhende Bürgerrechte zurückbringen, kann nicht die richtige Antwort sein.

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Über den Autor / die Autorin

Otto Laber

Otto Laber leitete zehn Jahre lang als Techniker das Mozart-Kino in Salzburg und arbeitete danach bei der zweitgrößten Buchhandelskette Österreichs im Online Marketing. Nebenbei war er in den letzten zehn Jahren selbstständig für den einen oder anderen Buchverlag tätig.

Von Otto Laber