SEX AND GUNS

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Hängen Amokläufe mit sexueller Frustration zusammen?

Nach der Ermordung von 17 Schülern und Mitarbeitern einer Schule in Florida durch einen 19-Jährigen kam es in den USA zu den üblichen Reaktionen wie nach jedem Massenmord, bei dem ein völlig ausrastender, meist weißer Mann wild um sich schießt, um mögliche viele Menschen zu töten.

Wie bei einer Sinus-Kurve wiederholt sich auf und ab mit Aufregung, Protest, Blumen am Tatort und verzweifelt weinenden Angehörigen, denen Politiker als Trost ihre Gebete anbieten. Dann beruhigt sich die Situation wieder, der Anschlag gerät in Vergessenheit, strengere Waffengesetze werden mehrheitlich in Parlamenten abgelehnt und nach ein paar Wochen spricht keiner mehr darüber. Bis zum nächsten Attentat.

Ein US Sender zeigte eine Dokumentation mit einer nicht sichtbaren Kamera in der Kappe des ‚Helden‘, in der ein 17 Jähriger Schüler versucht, verschiedene Produkte zu erwerben. Er beginnt mit Zigaretten, doch der Verkäufer verlangt einen Ausweis und weigert sich, ihm die Packung zu geben. Dann geht es weiter in der Alkoholabteilung eines Supermarktes. Auch dort misslingt der Kauf einer Flasche Wodka aufgrund seines Alters. Also versucht er es mit einem Lottoschein und scheitert auch hier, denn unter 21 ist jede Form von Glücksspiel verboten.

Um diesem eingeschränkten Dasein doch einen Sinn zu geben, betritt er ein Waffengeschäft und diskutiert mit dem Verkäufer, welche der Pistolen und Gewehre er trotz seiner Unreife bezüglich Zigaretten, Wodka und Lottoschein erwerben könnte. Nach einer halben Stunde ist er stolzer Besitzer von zwei Pistolen und einem Gewehr plus der notwendigen Munition, um mindestens 200 Menschen zu töten.

Natürlich konzentriert sich die Auseinandersetzung auf die Waffengesetze. Doch ausgerechnet die NRA (National Riffe Association), die machtvolle Gun-Lobby, die durch ein geschicktes Netzwerk von politischer Einflussnahme jede gesetzliche Einschränkung der Waffenverkäufe verhindern konnte, lenkt durch ihren einfachen und nachvollziehbaren Slogan – Guns don‘t kill people, people kill people – die Diskussion in eine ganz andere Richtung.

Plötzlich beginnen sich Psychiater, Soziologen und Wissenschaftler aus anderen Bereichen zu Wort zu melden und konfrontieren die amerikanische Gesellschaft mit Theorien, dass es bei diesem Problem nur zum Teil um die Freizügigkeit des Waffenverkaufs gehe, man jedoch tiefer in das Seelenleben vor allem der amerikanischen Männer blicken sollte.

Das Ende des Datings

Amerikaner zeigen im Vergleich zu anderen Nationen in allen Altersgruppen die geringste sexuelle Aktivität. Fünfzig Jahre nach der sexuellen Revolution kommt es zu einer Konter-Revolution, die so wie in den 1960-iger Jahren wieder von der jungen Generation ausgeht und die Aktivität auf diesem Gebiet scheinbar noch weiter reduziert. In den Jahren zwischen 2012 und 2016 hat sich der Anteil der Amerikaner in der Altersgruppe von 18 bis 30, die in den letzten 12 Monaten keinen sexuellen Kontakt hatten, von 7 auf 18 Prozent mehr als verdoppelt (University of Chicago’s General Social Survey).

Natürlich gibt es genügend Studien, die der Notwendigkeit der Häufigkeit widersprechen und immer wieder von Paaren und Singles schreiben, die ein glückliches und zufriedenes Leben auch ohne Sex führen. Doch geht es hier nicht um die freie Entscheidung, sondern um Veränderungen im Sexualleben und dem Einfluss auf das Bedürfnis, eine Partnerin zu finden, es geht um die Formen des Zusammenlebens und vor allem um den Mangel an Möglichkeiten und auch Interesse der Männer, Schritt für Schritt ein sexuelles Verhältnis zu einer Frau aufzubauen – dem unübersetzbaren Wort des Datings.

Ohne jetzt den Verdacht zu erregen, man verherrliche die guten alten Zeiten, war es für 85 Prozent der Baby Boomer völlig normal, mit ihrem Date ein Kino oder Café zu besuchen, einen Spaziergang durch die Stadt zu machen, in Buchhandlungen zu stöbern oder in ein Pop-Konzert zu gehen. Miteinander auszugehen, das Haus, die Wohnung zu verlassen, die Freundin zu treffen und etwas gemeinsam zu erleben, war meist der erste Schritt, um jemanden besser kennenzulernen, sich näher zu kommen und eventuell eine Beziehung zu beginnen. Im Jahr 2015 sank der Wert von einst 85 auf etwa 50 Prozent.

Festgeklebt an ihre Mobil-Telefone und Laptops verlagern sich bei den Jungen die Kommunikation und Kontaktaufnahme in den gefahrlosen, virtuellen Raum – ohne Risiko der direkten Berührung, der möglichen Ablehnung oder des Scheiterns, wenn man einmal seine Kleidung ablegt hat. Eine vereinsamte Generation mit durch Bildschirme hell erleuchteten Gesichtern, oft inmitten anderer, die ebenfalls nicht um sich schauen. Diese Männer sehen die junge Frau neben sich auf der Busstation nicht mehr und lächeln auch nicht mehr die gegenüber Sitzende in der U-Bahn an. Die Worte, die Gesten, mit einem Wort der tägliche Flirt ging verloren, der oft der Beginn einer Freundschaft, eines Verhältnisses und einer sexuellen Beziehung war.

Da jedoch Sex ein weitaus größeres Tabu in den USA als Waffengewalt ist, haben bisher erst wenige Wissenschaftler versucht, einen Zusammenhang zwischen dem plötzlichen Ausbruch von Hass und Gewalt vor allem junger, weißer Männer und ihrem verklemmten und sexlosen Leben zu finden.

Erst seit kurzem wagen einige Theoretiker, in diesem Zusammenhang auf die Ähnlichkeiten zwischen radikalen Moslems und weißen Gewalttätern zu verweisen. Schon im Buch The Looping Tower über die Vorbereitungen des 9/11-Attentats beschreibt der Autor Lawrence Right den sexuell motivierten Hass der Vertreter des radikalen Islams gegenüber amerikanischen Frauen. Einer der Theoretiker des islamischen Terrors, Sayyid Qutb, der 2 Jahre in den USA lebte, konnte sich in seinen Schriften endlos über die seelenlose ‚Fleischeslust‘ der amerikanischen Frauen auslassen, die sich aufreizend ihm gegenüber zeigten, gleichzeitig jedoch unerreichbar wären.

Der Sprung vom radikalisierten Moslem zum isolierten jungen Mann in der amerikanischen Kleinstadt, dessen Frust nur die pornographischen Online-Portale zur Verfügung hat, ist kleiner als man bisher annahm.

Chat-Rooms der Frustrierten

Die Soziologin Siyanda Mohutsiwa untersuchte drei Jahre lang die Chat-Rooms junger Moslems und junger weißer Männer und fand irritierende Ähnlichkeiten. Immer mehr Chat-Rooms, die als harmloser Gedankenaustausch beginnen, wie man als junger Mann am besten zu einer Freundin käme, entwickeln sich zu Hassattacken gegen Frauen, denen die Verantwortung für den ‚Verlust der westlichen Zivilisation‘ gegeben wird. Aus dem Mangel an Flirts und Beziehungen zu Frauen werden Verschwörungstheorien und Vorurteile gegen ganze Bevölkerungsgruppen.

Die Mitglieder der Chat-Rooms schreiben – laut der Autorin – über eine ‚Feminisierung‘ des amerikanischen Schulsystems und der amerikanischen Gesellschaft. Es sei die Schuld der Lehrerinnen, warum ihre Resultate so schlecht wären. Sie würden als Männern diskriminiert und missachtet, es gäbe keinen Respekt mehr und weibliche Schüler würden bevorzugt werden. Das alles werde von den Betroffenen noch überlagert mit der Abscheu vor Liberalen, Linken, Anti-Rassismus Aktivisten, Juden, Moslems, Schwarzen, Demokraten usw., die in den Augen der ‚jungen Weißen‘ die wahren Faschisten seien und eine Gefahr für Amerika darstellen würden.

Es sei der ‚Feminismus‘, der letztendlich auch daran schuld sei, dass sie keine Freundin bekommen könnten. Die Frauen seien unzugänglich, würden sich durch Kleidung und Gehabe scheinbar sexuell anbieten, jedoch auf die Versuche der Männer, auf sie zuzugehen, nur abwehrend reagieren. Das alles spiele sich allerdings in einer theoretischen Online-Debatte ab, da jene, die sich hier beteiligen, es längst aufgegeben hätten, in der Realität die Kontaktaufnahme mit Frauen zu versuchen.

Dass sie selbst eine Situation schaffen, in der sie jedem Risiko des Datings ausweichen, würden die Männer allerdings nicht sehen. Die Angst abgewiesen zu werden und die Unsicherheit, sich offen und ehrlich gegenüber Frauen zu verhalten, schafft einen gefährlichen Kreis von Verhaltensstörungen, in dem sich der Mann mit seinem Ärger und seiner Wut immer mehr bestätigt fühlt. Der sexuelle Frust verbunden mit dem Hass auf das unerreichbare ‚Objekt‘ schaffen eine Situation, in der Moslems und junge Weiße ähnlich reagieren und ähnlich leicht zu radikalen Reaktionen neigen.

Der amerikanische Schriftsteller Wayne Pick formulierte es mit dem einfachen Satz: ‚We need to talk about Kevin‘ (Wir müssen über Kevin sprechen) und sprach damit den scheinbar einfachen, normalen Jungen an, der als Sohn des Nachbars bisher nie besonders auffällt. Ja, sicher, wie in vielen Fällen, sprechen nach den Katastrophen jene, die den Täter kannten, über ‚sonderbares Verhalten‘, über Wutausbrüche und rassistische Bemerkungen. Doch habe man das nie so ernst genommen, da doch viele so reden würden.

Doch für Wayne Pick ist ‚Kevin‘ nur ein Symbol, es könnte auch Dexter, Paul oder Wayne sein. Dieser scheinbar einfache Junge, der die meiste Zeit in seinem Zimmer vor dem Computer verbringt, nicht trinkt, nicht raucht und noch nie beim Schnellfahren von der Polizei gestoppt wurde. Er geht nicht aus am Samstagabend, bringt keine Freundin nach Hause, und die Eltern finden auch kein benutztes Kondom hinter der Couch, wenn sie den Sohn einmal ein Wochenende allein im Haus lassen.

Eines Tages jedoch geht er in eine Schule, in einen Supermarkt, oder verschanzt sich in einem Hotelzimmer und tötet wahllos Frauen, Männer und Kinder, die er nicht persönlich kannte, noch nie mit ihnen gesprochen hatte, nichts von ihnen wusste.

Den Zugang zu Waffen für diese Männer zu kontrollieren, ist nur ein Teil der Lösung. Der wichtigere scheint zu sein, die Motive dieser Männer besser zu verstehen, die Gründe für ihren Hass und inneren Ärger. Sich auf die Problematik der sexuellen Frustration der jungen weißen Männer einzulassen, könnte jedoch in den USA auf mindestens so viel Widerstand stoßen wie die Forderungen nach Einschränkungen des Waffenverkaufs.

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Über den Autor / die Autorin

Peter Sichrovsky

Klassische Dilettanten-Karriere, wenig von viel und viel von wenig zu wissen, zu können, nach Studium der Chemie Marketing in Pharmaindustrie, dann Journalist, Schriftsteller, Mit-Gründer des Standards, SZ/Stern Korrespondent in Asien, EU-Parlamentarier, die letzten zehn Jahre Industrie-Karriere in Süd-Ost-Asien, 23 mal übersiedelt und nach Wien, Berlin, New York, München, New Delhi, Singapur, Hong Kong, Manila, Los Angeles und Brüssel in Chicago gelandet. Seit September 2017 lebt Peter Sichrovsky in London.

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1 comment

  • Immer mehr Erwachsene wegen psychischer Probleme in Behandlung, Jugendliche sind genau so betroffen!