RECHTE JUDEN

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Was Juden dürfen. Und was nicht.

Als ob die Empörung über die AfD nicht schon genug Wirbel und reflexartige Verurteilungen auslösen würde, kam diese Woche noch die Nachricht, dass einige Juden in Deutschland vorhaben, eine eigene jüdische Gruppe innerhalb der AfD unter dem Namen JAfD zu gründen.

Einer der Gründungsväter ist Dimitri Schulz, ein Stadtverordneter in Wiesbaden, der im Alter von zwei Jahren mit seinen Eltern aus der damaligen Sowjetunion nach Deutschland kam. Früher, sagte er einem Interview, habe er die CDU gewählt, wegen der christlichen und jüdischen Traditionen und Werte in der Partei. 2014 rief er jedoch die Deutsch-Russen auf, die AfD zu wählen, und begründete seinen Wechsel zur AfD mit der Links-Wende der Deutschen Kanzlerin. Er bestreite nicht, dass es das Problem des Antisemitismus in Deutschland und vor allem in der AfD gäbe, er selbst sei jedoch immer ehrlich und offen bezüglich seiner Religion gewesen und die habe ihm in der Partei nie geschadet. Mehrere Vertreter der AfD begrüßten die Gründung und versicherten, dass die AfD ein »sicherer Platz für Juden in Deutschland sei«.

Die jüdischen Vereinigungen reagierten entsetzt über die Ankündigung und veröffentlichten ein Statement nach dem anderen, dass für Menschen mit jüdischem Glauben kein Platz in dieser Partei sei und begründeten es mit zahlreichen antisemitischen Aussagen von Vertreten der AfD.

So weit so gut, könnte man zusammenfassen, und sich selbst schockiert zeigen, denn wer kann sich schon für eine Partei begeistern, die das Holocaust Mahnmal in Deutschland als »Schande« bezeichnete, um nur eine der vielen unappetitlichen Bemerkungen zu wiederholen.

Koscher-Stempel und Feigenblätter

Versucht man die Situation etwas genauer als nur auf der Oberfläche zu analysieren, könnte man allerdings zu ganz anderen Ergebnissen kommen. Wenn hier einige Vertreter jüdischer Organisationen von »Feigenblatt für die AfD« sprechen und andere davon, dass man der »AfD keinen Koscher-Stempel geben sollte«, so muss die Frage erlaubt sein, für wie wichtig sich diese Sprecher jüdischer Organisationen halten. Glauben sie wirklich, dass ein paar »Vorzeige-Juden« – wie sie sie nennen – der ganzen Organisation den Freibrief für rassistische und antisemitische Behauptungen geben könnten oder sie von den Vorwürfen befreien würden? 

Jüdische Mitglieder oder Funktionäre einer rechts- oder linksextremen Partei oder Gruppierung machen weder den Judenhass »koscher« noch sind sie ein »Feigenblatt«. Genau so wenig wie die jüdischen Mitglieder und Vertreter der SPD, SPÖ, CDU, der Grünen und der ÖVP diese Parteien von Vorwürfen befreien, wenn einer ihrer Vertreter die Grenze des Antisemitismus überschreiten würde. Juden sind nicht dazu da den Antisemitismus zu entschuldigen, egal in welcher Partei. Wer eine Gruppierung kritisiert, durch Integration von Juden sich vor Vorwürfen schützen zu wollen, reduziert den politisch aktiven Deutschen oder Österreicher zu einem Juden und nichts anderem. Der Vorwurf des »Feigenblatts« und des »Hausjuden« ist daher in sich antisemitisch, auch wenn das Gegenteil damit gemeint ist, und beleidigt nicht die Organisation, sondern den Deutschen, der plötzlich nur mehr Jude ist. Man verweigert ihm seine Persönlichkeit und reduziert ihn zu einem Symbol.

Juden haben sich schon immer für radikale Parteien und Bewegungen interessiert. Es gab eine Periode in der Kommunistischen Partei Österreichs nach dem Krieg, da war das halbe Zentralkomitee (ZK) jüdisch. Als Stalin mit den antisemitischen Säuberungen begann, die bis ins Nachbarland Ungarn reichten, meinte ein Mitglied im ZK der KPÖ, wie viel wohl vom ZK noch übrig wären, hätte die Sowjetunion auch Österreich besetzt.

Auf der anderen Seite des politischen Spektrums begeisterten sich Verbände ehemaliger Soldaten des 1. Weltkriegs in Deutschland für die NSDAP in den Anfangsjahren und konnten es nicht fassen, als der Judenhass der Nationalsozialisten auch vor ihnen nicht haltmachte.

Seit dem Holocaust gibt es allerdings ein ungeschriebenes Gesetz, dass Juden bei rechten Parteien nicht aktiv mitarbeiten sollten. Bei linken Parteien ist man da weniger streng. Diese radikale Reduzierung der politischen Vielfalt wird allerdings nur in Deutschland und Österreich von Juden verlangt. In Frankreich, Italien und anderen Ländern Europas ist die Aktivität von Juden in rechten Parteien kaum ein Thema. Es sind zwar nur wenige in diesen Parteien, aber es gibt auch keine Diskussion, ob er oder sie als Jude oder Jüdin diesen Entschluss fällen dürfen.

Verrat am Judentum

Die aggressivsten Vorwürfe gegen Juden in rechten Parteien kommen meist von linken Juden, denen die Religion gleichgültig ist, und die das Judentum eher als politische Organisation definieren. Einst als Studenten in den kommunistischen Studentenbewegungen bei Angriffen auf Israel in diesen – wie sie es nannten – »antiimperialistischen Kriegen« immer auf Seiten der arabischen Aggressoren, flüchteten sie, als ihnen die Ideologie wie Sand zwischen den Fingern zerrann, zum Judentum und stülpten sich die Religion über wie die Großmutter das Nachthemd. Statt der Internationalen singen sie jetzt jiddische Lieder und rennen nicht mehr mit roten Fahnen am ersten Mai, sondern tragen Halsketten mit Davidsternen.

Martin Engelberg wurde auf Facebook attackiert, weil er für eine Partei kandidierte, die mit der FPÖ eine Koalition bildete, und wurde – so wie ich einst – als »Verräter« am Judentum kritisiert. Wenn es stimmt, dass er mit einer politischen Entscheidung sein Judentum verraten könnte, müsste er gleichzeitig seine österreichische Identität als freier Staatsbürger schützen. Denn wenn es einen Unterschied zwischen jüdischen und nicht-jüdischen Österreichern gäbe, entspräche die freie Entscheidung seiner österreichischen Identität, während ihn seine jüdische »unfrei« machte, weil er als Verräter eben nicht dieselbe Freiheit wie ein Österreicher hätte. 

Ist er jetzt der jüdische Abgeordnete, der das Judentum verriet, oder der österreichische, der eine falsche politische Entscheidung fällte? Machen Juden in Deutschland, die bei der AfD mitarbeiten, einen Fehler als Juden oder als Deutsche, oder am Ende zwei Fehler? Als Deutsche begehen sie vielleicht einen politischen Fehler, da sie sich einer Gruppierung anschließen, deren Programm nicht dem Konsens der Demokratie entspricht. Als Jude machen sie jedoch keine Fehler, sondern werden als Verräter denunziert und als »Hausjuden« beleidigt.

Hier beginnt das Problem, weil es im Judentum den Verrat nicht gibt. Wer mit einer jüdischen Mutter geboren wurde, bleibt sein Leben lang Jude, egal ob er sich taufen lässt, zum Islam übertritt, sich den Nazis oder den Kommunisten anschließt. Wie kann also ein Jude das Judentum »verraten«? Der Begriff verrät eher den politisch denkenden Juden, für den der Holocaust ein Mittel zur Disziplinierung politischer Gegner wird, und den Nicht-Juden, der mit Begeisterung die Verurteilung des Juden durch Juden übernimmt. 

Was darf ein Jude heute, und was darf er nicht? Mein Freund Ronny Scheer definierte es einst so: Nur weil sie uns jetzt auf einer Parkbank sitzen lassen, bedeutet das nicht, dass sie uns vorschreiben können, zu welcher Partei wir gehen.

Anders ausgedrückt, auch wenn man davon ausgeht, dass jede Zusammenarbeit mit der AfD ein Fehler sei, muss es möglich sein, als Jude einen politischen Fehler zu machen. Wenn man die Normalisierung ernst nimmt, sollte die politische Entscheidung eines Juden nicht anders beurteilt werden als die eines Christen, Moslems, Hindus oder Buddhisten. Reduziert man ihre politischen Möglichkeiten mit dem Argument der Geschichte der Juden, verweigert man ihnen diese Normalisierung. Man könnte überspitzt formulieren, dass eine völlige Normalisierung des Lebens der Juden in Deutschland erst dann stattfindet, wenn ein Jude auch Vorsitzender der AfD werden könnte.

Die Normalisierung findet ihren Weg zum Erfolg nicht durch Klezmer Musik, jüdische Museen und Holocaust-Gedenktage. Das ist Erinnerungskultur und hat wenig mit dem Alltag der Juden in der deutschen und österreichischen Gesellschaft zu tun. Im Gegenteil, es reduziert sie zu einem Museums-Leben mit wechselnden Ausstellungen.

Das soll alles nicht den Entschluss der Juden, bei der AfD mitzuwirken, verharmlosen oder entschuldigen. Dennoch, auch sie haben es verdient, wie alle anderen in der AfD auf der Grundlage des politischen Programms und der Aktivitäten der Partei kritisiert zu werden – und nicht als Juden. Wer die Kritik – wie einige Witzbolde auf Facebook – mit dem »Stockholm Syndrom« begründet und damit in Juden nur hilflos reagierende Opfer sieht, benutzt eine schlimmere und aggressivere Erniedrigung als alle Attacken der Rechtsextremen.

Jeder Jude hat in der Demokratie das Recht, seine eigene politische Entscheidung zu treffen und seine eigenen politischen Fehler zu machen; keiner hat das Recht, ihn bei seiner Kritik dieser Entscheidung auf den Juden zu reduzieren. Einen »jüdischen« Fehler macht ein Jude, wenn er ein Schweinsschnitzel isst oder sich zu Yom Kippur die Zähne putzt, aber auch das wäre im Judentum kein Verrat.

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Über den Autor / die Autorin

Peter Sichrovsky

Klassische Dilettanten-Karriere, wenig von viel und viel von wenig zu wissen, zu können, nach Studium der Chemie Marketing in Pharmaindustrie, dann Journalist, Schriftsteller, Mit-Gründer des Standards, SZ/Stern Korrespondent in Asien, EU-Parlamentarier, die letzten zehn Jahre Industrie-Karriere in Süd-Ost-Asien, 23 mal übersiedelt und nach Wien, Berlin, New York, München, New Delhi, Singapur, Hong Kong, Manila, Los Angeles und Brüssel in Chicago gelandet. Seit September 2017 lebt Peter Sichrovsky in London.

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