ERMORDET. MOTIV: JUDENHASS

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Photo: Claude Truong-Ngoc (cropped), CC BY-SA 4.0

Ermordet, weil Sie Juden waren

Mireille Knoll kannte ihren Mörder, seit dieser sieben Jahre alt war. Zwanzig Jahre waren sie Nachbarn, bevor der 27-jährige Maghrebiner auf sie einstach, vermutlich mit Hilfe eines zweiten Täters, immer und immer wieder, elfmal insgesamt, und sie danach anzündete. Sie war als herzensgute Seele in der Nachbarschaft bekannt und hatte ihren Mörder »wie einen Sohn behandelt«, wie der Standard berichtet, der die alte und schwerkranke Frau so beschreibt:

»Mireille Knoll war vom Leben nicht verwöhnt. Die 85-jährige Französin lebte mittellos in einer Sozialwohnung im 11. Arrondissement von Paris und litt unter Parkinson. Als jüdisches Kind hatte sie im Zweiten Weltkrieg die Verfolgungen durch die deutschen Besatzer miterlebt; der größten Razzia der französischen Polizei im Vél‘ d’Hiv‘, dem Pariser Winter-Velodrom, aus dem im Juli 1942 mehr als 13.000 Juden in die Vernichtungslager deportiert wurden, entging sie ganz knapp durch die Flucht mit ihrer Mutter aus Paris.«

Eine Jüdin, die ihrer Ermordung im Holocaust als Kind durch Flucht entrinnen konnte, wurde erstochen und verbrannt, weil sie Jüdin war. Mitten in Frankreich, am 23. März 2018.

Ermordet, weil sie jüdisch war

Ermordet, weil sie jüdisch war, wie Sarah Halimi am 4. April 2017. Die Mutter dreier Kinder, pensionierte Ärztin und frühere Leiterin einer Vorschule, war 65 Jahre alt, als ihr Mörder über den Balkon in ihre Wohnung im Osten von Paris eindrang, sie schlug und unter »Allah-Akbar«-Rufen aus dem Fenster im dritten Stock warf.

Ermordet, weil sie jüdisch war, wie Yohan Cohen, Philippe Braham, François-Michel Saada und Yoav Hattab, die am 9. Januar 2015 von Amedy Coulibaly ermordet wurden, als dieser einen koscheren Supermarkt an der Porte de Vincennes in Paris überfiel, um die Attentäter auf die Redaktion von Charlie Hebdo freizupressen. Das Ziel war nicht zufällig gewählt, zurecht nannte der damalige Präsident François Hollande die Tat einen »erschreckenden Akt des Antisemitismus«. Eine der Hamas nahestehende Facebook-Seite bejubelte den Anschlag.

Ermordet, weil sie jüdisch war, wie der 30-jährige Rabbi Jonathan (Yonatan) Sandle am 19. März 2012, seine Kinder Aryeh und Gabriel, und die achtjährige Miriam Monsone. Ihr Mörder hatte bereits in Toulouse und Montauban einen Fallschirmjäger und zwei Luftlandepioniere getötet, bevor er in das jüdisch-orthodoxe ›Collège Ozar Hatorah‹ eindrang und den Rabbiner, dessen zwei kleine Kinder und die Tochter des Schuldirektors erschoss und einen 17-jährigen Schüler schwer verletzte.

Ermordet, weil sie jüdisch war, wie Ilan Halimi, der am 21. Jänner 2006 von einer ›Bande der Barbaren‹, wie sich die Gruppe aus Kindern muslimischer, nordafrikanischer Migranten nannte, entführt wurde. Ilan wurde gefoltert, sie zogen ihn nackt aus, fesselten ihn und stachen mit Messern auf ihn, drückten Zigaretten auf seinem Gesicht und seinem Körper aus, übergossen ihn mit einer brennbaren Flüssigkeit und zündeten ihn an. Das Martyrium des jungen Mannes dauerte 24 Tage lang. Nachbarn, Freunde und Bekannte wussten davon, bewachten das Opfer, einige kamen vorbei und sahen den Folterungen zu oder beteiligten sich sogar daran. Niemand von ihnen informierte die Polizei. Man fand Ilan Halimi am 13. Februar, nackt, mit Handschellen an einen Baum gefesselt, die Haut zu über 80% mit Säure verätzt, voller Stichwunden, ein Ohr und ein Zeh waren abgeschnitten. Er starb am Weg zum Krankenhaus.

Der damalige Premierminister Dominique de Villepin erklärte, dass das »abscheuliche Verbrechen« antisemitisch sei und Antisemitismus in Frankreich nicht akzeptiert werde.

Antisemitismus: nicht akzeptiert aber an der Tagesordnung

Die Worte von de Villepin klingen wie blanker Hohn. Zwischen 2005 und 2015 gab es in Frankreich 4.092 antisemitische Übergriffe, berichtet das Gatestone Institute, 60% der Juden in Frankreich gäben an, sie seien »besorgt darüber, auf der Straße als Juden körperlich angegriffen zu werden«. Mit gutem Grund, wenn man einen Blick auf die Anzahl der antisemitischen Attacken wirft. Das Gatestone Institute schildert drei Szenen vom Jänner dieses Jahres:

»Freitag, 12. Januar 2018. Sarcelles. Eine Vorstadt im Norden von Paris. Ein 15-jähriges Mädchen ist auf dem Heimweg von der Schule. Sie trägt eine jüdische Schuluniform und um den Hals eine Kette mit einem Davidstern. Ein Mann attackiert sie mit einem Messer, verpasst ihr dabei einen Schnitt im Gesicht und läuft weg. Für den Rest ihres Lebens wird sie entstellt sein.
Am 18. Januar 2018, sechs Tage nach der Messer-Attacke in Sarcelles, wurde einer der Leiter der jüdischen Gemeinde im östlich von Paris gelegenen Montreuil die ganze Nacht lang von zwei Männern, die ein Wohnungsfenster aufgebrochen und ihn im Schlaf angegriffen hatten, gefoltert.
29. Januar, abermals in Sarcelles: Ein 8-jähriger Junge, der eine jüdische Kippa trägt, wird von zwei Teenagern getreten und geschlagen.«

In den vergangenen Jahren richtete sich jede dritte rassistische Handlung gegen Juden, obwohl Juden nur ungefähr ein Prozent der Bevölkerung ausmachen. Seit dem Jahr 2000 schrumpfte die jüdische Gemeinde in Frankreich von geschätzten 500.000 auf 400.000. Wer es sich leisten kann, verlässt das Land. »Was hier vor sich geht, ist eine ethnische Säuberung, auch wenn man sich nicht traut, dies beim Namen zu nennen. In ein paar Jahrzehnten wird es keine Juden mehr in Frankreich geben«, meint Richard Abitbol, Vorsitzender des Verbands Französischer Juden und Israel-Freunde. Einst blühende jüdische Stadtviertel seien vom Aussterben bedroht.

Die Politik weiß nicht, wie sie reagieren soll. Denn sämtliche schweren antisemitischen Gewalttaten haben eines gemeinsam: Die Täter sind muslimisch und haben nordafrikanischen oder arabischen Migrationshintergrund, fast alle waren polizeibekannt, sind in der Vergangenheit bereits straffällig geworden oder waren als islamische ›Gefährder‹ geführt.

Da sieht man lieber weg, verharmlost und relativiert. Wer den religiösen Background der Täter und deren Herkunft benennt, muss sich umgehend gegen den Vorwurf von Rassismus und Islamophobie wehren. So folgen den Sonntagreden kaum konkrete Taten, zumal wahrscheinlich niemand genau weiß, worin die überhaupt bestehen sollen.

Hinschauen statt wegsehen

Nun, es wäre immerhin ein Anfang, würde man wenigstens Drohungen ernst nehmen. So war das Pariser Bataclan, in dem islamische Terroristen am 13. November 2015 neunzig Menschen ermordet haben, nicht zufällig als Ziel ausgewählt worden. Schon zuvor wurde das Theater, das bis kurz vor dem Massaker der Dschihadisten des IS jüdische Eigentümer hatte, massiv bedroht:

»Im Dezember 2008 bedrohte eine Gruppe von rund zehn mit Palästinensertüchern maskierten Demonstranten die Leitung der Konzerthalle, Anlass der Drohungen war die jährlich stattfindende Gala der jüdischen Organisation Migdal zur Unterstützung der israelischen Grenzpolizei Magav. Ein Mitglied der salafistischen Terrorgruppe Dschaisch al-Islam (Armee des Islam) drohte: ›Wenn das Bataclan und Migdal wie in den vergangenen Jahren eine Gala für Magav organisieren, die Grenzpolizei der israelischen Armee, werden das die Leute nicht mehr unterstützen, und ihr werdet die Konsequenzen eurer Taten tragen. Das nächste Mal kommen wir nicht zum Reden.‹
2009 sprach ein Mitglied des Dschaisch al-Islam (Armee des Islam) eine Drohung gegen das Bataclan wegen seiner ›zionistischen Besitzer‹ aus.
Im Jahr 2011 erklärte ein Mitglied der salafistischen Terrorgruppe Dschaisch al-Islam bei einem Verhör des französischen Inlandsgeheimdienstes: ›Wir planen einen Anschlag auf das Bataclan, weil die Eigentümer Juden sind.‘ Ein Anschlag konnte 2011 vereitelt werden. Im September 2015 wurde bekannt, dass sich Dschaisch al-Islam der Dschihadistenorganisation ›Islamischer Staat‹ angeschlossen hat.‹« (Wikipedia)

Mireille Knoll verbrachte die letzten Tage ihres Lebens in Angst. Der Tageszeitung Le Parisien zufolge war sie vor ihrer Ermordung mehrfach bei der Polizei erschienen, um sich über Morddrohungen eines Mannes aus ihrer Straße zu beschweren, der angekündigt habe, sie »zu verbrennen«. Mireille Knoll wurde das Opfer eines Judenhassers aus dem Maghreb, aber sie wurde auch das Opfer einer Politik des jahrelangen Wegsehens und Verdrängens.

Arik Brauer musste vor kurzem viel Kritik einstecken, als er sagte: »Es gibt eine Viertelmilliarde Araber, die wollen uns lieber sehen unter der Erd‘ oder am Grund vom Mittelmeer. Das ist so und ich weiß das. Und von denen gibt es viele, die hier einwandern. Und das ist eine Gefahr für Antisemitismus. Wenn mich jemand auf der Straße umbringt, dann ist das ganz bestimmt nicht einer von diesen Fechtern, die da so ein Lied singen.«

Er wurde auf schreckliche Weise bestätigt. So widerlich und abstoßend der rechte Antisemitismus in diesem Land auch ist, so furchtbar dessen Folgen in der Vergangenheit auch waren: in keiner einzigen Burschenschafterbude werden Pläne geschmiedet, wie man Juden oder sonst irgendwen ermorden könnte. Allein in Österreich leben 300 so genannte ›Gefährder‹ – ich würde nicht wagen, dasselbe von Moscheen und deren Hinterhöfen zu behaupten.

Zuerst erschienen auf mena-watch

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Über den Autor / die Autorin

Thomas M. Eppinger

Thomas Eppinger ist davon überzeugt, dass alle Menschen mit unveräußerlichen Rechten geboren sind, zu denen das Recht auf Leben, Freiheit und das Streben nach Glück gehören. Daraus ergab sich alles andere, auch diese Website.
Der Publizist ist 1961 in Vöcklabruck geboren, lebt heute in Graz und arbeitet in Wien als Lead Editor bei »Der Pragmaticus«. Davor leitete er den unabhängigen Nahost-Thinktank Mena-Watch.