Gedenkrede von BP Steinmeier am Denkmal für die Helden des Warschauer Ghettos
am 19. April 2023 (© Imago Images / ZUMA Wire)
Am 80. Jahrestag des Aufstands des Warschauer Ghettos hielt Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier als erster Deutscher eine Gedenkrede am Denkmal für die Helden des Warschauer Ghettos. Doch seine Rede wird durch seine Politik konterkariert.
Wir schreiben den 19. April 1943, es ist der Vorabend des Pessach-Fests. Die SS umstellt in der Nacht das Warschauer Ghetto. Als am nächsten Morgen um sechs Uhr SS- und Polizeieinheiten einmarschieren, werden sie beschossen. Ein Panzer wird mit Molotowcocktails in Brand gesetzt, zwölf Deutsche werden verwundet. Die Deutschen ziehen sich zurück. Auch ein zweiter Angriff am selben Tag endet mit dem Rückzug der SS. Die Juden waren vorbereitet.
Von Juli bis September 1942 waren etwa 265.000 Juden aus dem Ghetto in das Vernichtungslager Treblinka deportiert und dort ermordet worden. Als die Deutschen am 18. Januar 1943 eine weitere Deportation durchführen wollten, wehrte sich der jüdische Untergrund und leistete bewaffneten Widerstand.
Die etwa 1.400 Kämpfer, von denen nur jeder Zehnte eine Pistole hatte, konnten die Soldaten nach vier Tagen aus dem Ghetto vertreiben, verloren dabei aber 80 Prozent ihrer Leute. Im Frühjahr 1943 lebten noch knapp 60.000 Juden im Ghetto. Die Widerständler wussten, dass sie die SS nicht auf Dauer zurückgeworfen hatten. Mordechai Anielewicz und Pawel Frenkiel gelang es, die verschiedenen Jugend- und Widerstandsgruppen zu einigen. Viele schlossen sich dem Untergrund an, versteckten sich in Kellern und Bunkern, besorgten Waffen.
Und so kommt es, dass die Juden an diesem Tag auf den Kampf vorbreitet sind. Rund 800 Männer und Frauen nehmen es mit den deutschen Truppen auf. Fast vier Wochen lang können sie den Widerstand aufrechterhalten. Die deutschen Einheiten gewinnen die Kontrolle erst, als sie das gesamte Ghettogelände niederbrennen. Fast alle Bewohner sterben während der Kämpfe oder werden später in den Vernichtungslagern Treblinka oder Majdanek ermordet. Wenige Tausend entkommen und überleben im polnischen Widerstand. Am 16. Mai meldet SS-Gruppenführer Jürgen Stroop die Niederschlagung des Aufstands und lässt zum Zeichen des Siegs die Große Synagoge sprengen. Am 6. März 1952 wird er in Warschau hingerichtet.
80 Jahre danach ist Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier als erster Deutscher eingeladen, eine Gedenkrede am Denkmal für die Helden des Warschauer Ghettos zu halten. Er bittet »um Vergebung für die Verbrechen, die Deutsche hier begangen haben«, spricht vom »Wunderwerk der Versöhnung«, das man bewahren und in die Zukunft führen müsse und kommt auf Russlands Überfall auf die Ukraine zu sprechen: »Nie wieder, das bedeutet, dass es in Europa keinen verbrecherischen Angriffskrieg wie den Russlands gegen die Ukraine geben darf.« Nichts an dem, was Steinmeier sagt, ist falsch. Falsch ist, dass er seit Jahren entgegengesetzt handelt.
Das politische Sündenregister
Derselbe Frank-Walter Steinmeier hat als Außenminister jahrelang Russlands Aggression im Nahen Osten und in der Ukraine ignoriert und gegen alle Warnungen die Zusammenarbeit mit Russland in einem Ausmaß intensiviert, das sein Land in Abhängigkeit gebracht hat. Er ist der Architekt jener Politik, die Deutschlands politischen Handlungsspielraum gegenüber Russland auf einen überaus schmalen Grat begrenzt hat.
Derselbe Frank-Walter Steinmeier hofiert seit Jahren das Mullah-Regime in Teheran, das keinen Hehl daraus macht, Israel vernichten zu wollen. 2016 hieß er als Außenminister Mahmud Alavi willkommen, damals Irans Minister für Nachrichtenwesen und Staatssicherheit. Alavi ist für eine Reihe von Verbrechen verantwortlich, darunter Auftragsmorde an Regimegegnern in Berlin. Im selben Jahr lachte er mit Massoumeh Ebtekar in Berlin in die Kamera, damals iranische Vize-Präsidentin, die 1979 als Sprecherin der Geiselnahme in der Teheraner US-Botschaft bekannt wurde. Er empfing extremistische schiitische Organisationen und gratulierte als Bundespräsident der Islamischen Republik wiederholt zum Jahrestag der Revolution.
Derselbe Frank-Walter Steinmeier hält es für das größte Friedenshindernis zwischen Palästinensern und Israel, dass Juden in jenem Stadtteil ihrer Hauptstadt, in dem ihr wichtigstes Heiligtum steht, Wohnungen bauen.
Derselbe Frank-Walter Steinmeier hat meiner Erinnerung nach keinen einzigen palästinensischen Terroranschlag verurteilt, ohne gleichzeitig Israel zu ermahnen, nicht an der Gewaltspirale zu drehen – was nichts anderes ist als eine »diplomatische« Täter/Opfer-Umkehr.
Derselbe Frank-Walter Steinmeier brüstete sich damit, dass Deutschland der größte bilaterale Geber der Palästinensischen Autonomiebehörde sei.
Derselbe Frank-Walter Steinmeier hat sich als Bundespräsident vor dem Grab des Judenmörders Jassir Arafat verbeugt und einen Kranz niedergelegt. Dies tat der österreichische Bundespräsident später auch, aber das macht es nicht besser.
Derselbe Frank-Walter Steinmeier ignoriert den Friedensprozess zwischen Israel und der arabischen Welt, der sich in den Abraham-Abkommen manifestiert.
Derselbe Frank-Walter Steinmeier ließ sich auf einem Staatsbesuch in Israel ausgerechnet von einem Autor begleiten, der sich einen Namen gemacht hat, indem er in deutschen Zeitungen Israel als Apartheidstaat verleumdet.
Kurz: Derselbe Frank-Walter Steinmeier, »der Holocaust-Leugnern aus dem Iran den roten Teppich ausrollt, der sich posthum vor dem Judenmörder Arafat verneigt, der dem Mörderregime, das Israel auslöschen möchte, Glückwunschtelegramme schickt, der kein Machtwort spricht, wenn Islamisten auf deutschen Straßen ›Tod den Juden‹ fordern«, wie die Aktivistin Malca Goldstein-Wolf auf Facebook zusammengefasst hat.
Rücktrittsreif
Obige Aufzählung erhebt keinerlei Anspruch auf Vollständigkeit. Sie veranschaulicht nur, wie sehr sich in der Gestalt des amtierenden deutschen Bundespräsidenten die kognitive Dissonanz der Gedenkkultur manifestiert: Man trauert um die toten Juden und hofiert gleichzeitig die Todfeinde der lebenden. In diesem Punkt unterscheidet er sich kaum von der deutschen – und in weiten Teilen auch europäischen – Politik: Wort und Tat klaffen weit auseinander. Steinmeiers Auftritt stach aus einem anderen Grund aus der Reihe seiner Mitredner hervor.
Wie alle anderen Redner auch, trug Steinmeier eine stilisierte gelbe Narzisse am Revers, die dem »Judenstern« ähnelte. Die Blume soll den letzten überlebenden Kommandeur des Aufstands würdigen, den 1919 geborenen Marek Edelman, der zum Jahrestag des Aufstands nach dem Krieg von einem anonymen Absender regelmäßig eine gelbe Narzisse erhielt. An Steinmeiers Revers wirkt diese ehrenhafte Geste wie eine Chuzpe. Nicht zuletzt deshalb ist dieser Präsident für die Bundesrepublik Deutschland untragbar.
Zuerst veröffentlicht auf MENA-WATCH.
Hat Ihnen der Beitrag gefallen?
Dann unterstützen Sie bitte die SCHLAGLICHTER