DER JUDE UNTER DEN STAATEN

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Photo: Rudi Weissenstein 

70 Jahre Israel

70 Jahre nach seiner Staatsgründung ist Israel der Jude unter den Staaten. Die Weltgemeinschaft arbeitet sich mit ungezählten Resolutionen an der kleinen Demokratie im Nahen Osten ab. Welches Maß auch immer an jedes andere Land angelegt wird, man kann sicher sein, für Israel gilt ein eigenes. Künstler, Politiker und Intellektuelle formulieren den Schlachtruf der Nationalsozialisten »Kauft nicht bei Juden« neu und rufen dazu auf, das Land zu boykottieren, Investitionen abzuziehen und mit Sanktionen zu belegen. Die meisten Medien übernehmen kritiklos die Inszenierungen von Pallywood-Akteuren und ergreifen Partei gegen Israel. Mal mehr, mal weniger offen. Kein Wunder, dass die Zahl der »Israelkritiker« in der Bevölkerung nur mehr von jener der »Fußballtrainer« übertroffen wird.

Kurz: »Antizionisten« sind allgegenwärtig, während die Antisemiten auf wundersame Weise verschwunden sind. Antisemitismus ist out. Niemand mag mehr Antisemit sein; man könnte sagen, der Antisemitismus ist in ein schlechtes Licht geraten, seit die Nationalsozialisten und ihre willigen Helfer ihn vor achtzig Jahren übertrieben haben. Auschwitz war dann doch zu viel, »vergasen« geht einfach nicht.

Und so sind die Antisemiten nach dem Krieg auch irgendwann ausgestorben, schon weil die Latte für Antisemitismus seither so hoch liegt, dass man sogar dann noch unten durch läuft, wenn man eine Synagoge anzündet. Da mag man es zwar mit der »Israelkritik« ein wenig übertrieben haben, aber ein Antisemit ist man deswegen noch lange nicht.

Solange sich nicht herausstellt, dass einer »sechs Juden eigenhändig erwürgt hat«, gibt es kein Problem, das hat Michael Graff schon während der Waldheim-Affäre erkannt. Und selbst wenn jemand ein paar Juden auf dem Gewissen hat, der richtige Antisemitismus beginnt erst beim Völkermord, das haben wir aus der Geschichte gelernt. Darum kann ein deutscher Präsident einen Kranz am Grab von Arafat niederlegen, ohne mit Schimpf und Schande aus dem Amt gejagt zu werden. Denn eigentlich war Arafat ja auch nur ein Israelkritiker, manchmal ein wenig grob vielleicht, aber wo gehobelt wird, fallen eben Späne.

»Der Antisemitismus ist der Sozialismus des dummen Kerls«, hat August Bebel einmal den Wiener Reichsratsabgeordneten Ferdinand Kronawetter zitiert. Der Antisemitismus der dummen Kerle, die dazugelernt haben, ist der Antizionismus. »Ich habe nichts gegen Juden, viele meiner besten Freunde sind Juden«, sagen sie, bevor sie über den Staat der Juden herziehen. Die jüdischen Freunde sind unverzichtbar, quasi der Kosher-Stempel des legitimen Israelkritikers.

Antizionisten haben also nichts gegen Juden, sondern nur was gegen Israel, also dagegen, dass Juden in einem eigenen Staat leben. Das kennt man ja von vielen Völkern, man hat nichts gegen Belgier, sondern nur was gegen Belgien, nichts gegen Franzosen, sondern nur was gegen Frankreich. Na gut, das Beispiel war jetzt nicht so toll, ich kenne auch niemanden, der das sagt. In Wahrheit gibt es diese Unterscheidung nur bei Israel. Und bei den USA, der Anti-Amerikanismus ist ja die kleine Schwester des Antizionismus, man sieht sie oft Händchen halten. Bei Russland wiederum ist es üblicherweise eher umgekehrt. Oder kennen Sie jemanden, der die Russen mag und Russland nicht?

Egal, zurück zum Thema. Antizionisten haben nicht nur nichts gegen Juden, sie sind auch antirassistisch, immer. Per definitionem, sozusagen. Definitionskünstler wie der Wiener Gemeinderat und Integrationsbeauftragte der IGGÖ, Omar Al-Rawi, können ihre Zuhörer dazu aufhetzen, »Terrorist« zu brüllen, und ihnen gleichzeitig bescheinigen, dass sie »ehrliche Menschen [sind], die klar gegen Antisemitismus, Rassismus und Islamfeindlichkeit auftreten«. Da sag‘ noch einmal wer, dass Bildung nichts bewirkt. Diesen Spagat hätten Bebels »dumme Kerle« sicher nicht geschafft.

Andererseits, nur so unter uns: haben sich die Juden das nicht auch irgendwie selbst zuzuschreiben? Nach all dem, was sie erlebt haben – machen sie nicht mit den Palästinensern irgendwie das Gleiche, was man ihnen angetan hat? Wie sie mit den Palästinensern umspringen, das Freiluftgefängnis und all das. Fein ist das nicht. Da sterben Kinder, und die Israelis geben ihnen nicht einmal genug Wasser. Überhaupt. Irgendwer hat in dem Land ja schon gewohnt, bevor die Juden gekommen sind. Sie haben den Arabern ihr Land gestohlen und ihre Olivenhaine. Warum geben sie es nicht zurück? Die Millionen, die sie vertrieben haben, müssen heute noch in Lagern leben. Und wenn sie dagegen demonstrieren, werden sie erschossen. Sieht man ja gerade. Haben die Juden aus ihrer Geschichte denn gar nichts gelernt?

Bullshit. Von vorne bis hinten. Ich weiß, dass Sie das wissen. Aber wissen Ihre Freunde und Bekannten das auch? Mindestens bis Mitte Mai – solange dauern die Aufstände in Gaza mindestens an – werden wir wieder all diese und noch mehr Plattitüden hören und lesen, wie immer sie auch formuliert sein mögen.

Der Nahost-»Experte« Jürgen Todenhöfer hat Anfang April ein Video produziert und auf Facebook gestellt, in dem er beklagt, dass die Israelis 11.011 Palästinenser getötet hätten, während nur 1.663 Israelis von Palästinensern getötet wurden. Das Video wurde bis um Zeitpunkt der Verfassung dieses Texts 227.774 Mal aufgerufen und 4.175 Mal geteilt, 8.201 Todenhöfer Fans haben darauf reagiert. (Kein Link an dieser Stelle, jeder Aufruf ist einer zu viel.) Mit wie vielen toten Juden Todenhöfer zufrieden wäre, sagt Todenhöfer nicht.

Die Todenhöfers dieser Welt überzeugen zu wollen, ist ein sinnloses Unterfangen. Aber für alle, die nicht faktenresistent sind, werden wir an dieser Stelle in den nächsten Tagen und Wochen einige der häufigsten Mythen aufgreifen und ihnen historische Fakten gegenüberstellen. Weil dieses große kleine Land heuer 70 Jahre alt wird. Und weil auch dumme Kerle, die dazugelernt haben, noch immer dumme Kerle sind.

Zuerst erschienen auf mena-watch


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Über den Autor / die Autorin

Thomas M. Eppinger

Thomas Eppinger ist davon überzeugt, dass alle Menschen mit unveräußerlichen Rechten geboren sind, zu denen das Recht auf Leben, Freiheit und das Streben nach Glück gehören. Daraus ergab sich alles andere, auch diese Website.
Der Publizist ist 1961 in Vöcklabruck geboren, lebt heute in Graz und arbeitet in Wien als Lead Editor bei »Der Pragmaticus«. Davor leitete er den unabhängigen Nahost-Thinktank Mena-Watch.