Vielleicht der Beginn einer neuen Ära in der Politik
Die Kommentare der Tageszeitungen und auch anderer Medien nach den letzten Nationalratswahlen strotzen nicht unbedingt vor Optimismus. Der Großteil der Tages- und Wochenzeitungen stand dem ehemaligen Bundeskanzler Sebastian Kurz eher kritisch gegenüber, und aus der »rechten« Ecke wurde ihm Wortbruch aufgrund der Beendigung der Koalition mit der FPÖ vorgeworfen. Auf die Ankündigung, mit den Grünen über eine Koalitionsregierung zu verhandeln, reagierten die meisten mit Hohn oder Zynismus.
Als wollten Journalisten ihm einen Erfolg mit diesem Experiment nicht gönnen, diesem jungen Polit-Aufsteiger, der die zahlreichen Niederlagen in den letzten Monaten einfach wegsteckte. Zusammenbruch der Koalition, Abwahl der Übergangs-Regierung durch eine FPÖ/SPÖ Zusammenarbeit, erneute Wahlen, alles scheint jetzt angesichts der Einigung zwischen Grün und Türkis wie die langfristig geplante Theater-Uraufführung eines geheim gehaltenen Theaterstücks.
Die Unruhen, beginnend mit dem Video aus Ibiza und der bisher in der heimatlichen politischen Geschichte wohl einmaligen Blamage einer Regierungspartei, erscheinen plötzlich gar nicht mehr so zufällig und unerwartet. Vielleicht musste sie kommen, vielleicht zeigte Kurz nur Geduld mit einer FP/VP Regierung, die irgendwann stolpern sollte, um dann seine Vorstellung einer modernen Regierung umzusetzen, gemeinsam mit den Grünen. Ein Umweg, der notwendig war, da zu Beginn die Regierungs-Unfähigkeit einer FPÖ nicht so klar schien, und das Experiment im Sinne des Auftrags der Wähler zumindest gewagt werden musste.
Blau/Türkis hatte seine Anhänger und wurde völlig zurecht begonnen. Die FPÖ Führung konnte sich ihrer Anhängerschaft sicher sein, die Wahlergebnisse lagen konstant über zwanzig Prozent, und ein Viertel der Wahlberechtigten sollte auch in den Augen der ÖVP nicht einfach übergangen werden. Als Alternative ergab sich damals nur Rot/Türkis, eine nicht wirklich realistische Möglichkeit für Sebastian Kurz. Blau/Türkis wurde von einer Mehrheit in der Bevölkerung willkommen geheißen. Die Konservativen im Lande sahen in der Strache-FPÖ aufgrund zahlreicher Aussagen von Strache gegen Antisemitismus trotz aller störenden Vorfälle zumindest auf der Führungsebene der Partei ein gewisses respektables Verhalten – zu Beginn zumindest.
Doch die masochistische Zerstörungswut dieser Partei in gerader Linie der Tradition von Knittelfeld, wenn führende Funktionäre ihr Ego über die Partei und über den Koalitionsvertrag stellen, eingebildet und sich selbst überschätzend Entscheidungen treffen, Interviews geben, ohne sie in der Partei oder mit dem Koalitionspartner abzusprechen, plus der infantilen Gier nach Bedeutung, Geld und Ruhm, verhinderte eine Zusammenarbeit und eine funktionierende Regierung. Die Parteiführung zertrümmerte in wenigen Wochen, was sie über viele Jahre aufgebaut hatten, ganz abgesehen von einer absurden Selbstbedienungsmentalität in finanziellen Belangen.
Danebenstehend konnte man Sebastian Kurz beobachten, wie er in aller Ruhe die nächste Wahl vorbereitete, als ginge es um die Buchung eines Mittagessens in einem bekannten Restaurant, wo man zwar nicht leicht einen Tisch bekommt, aber was ist schon unmöglich, wenn man jung und erfolgsverwöhnt ist. Während des Wahlkampfs unterbrachen auch keine warnenden Kommentare in den Medien den Optimismus der ÖVP, die selbstsicher und ohne Umwege auf den Wahlsieg zusteuerte, als sei er eine Selbstverständlichkeit. Das Ausmaß des Erfolgs schien selbst die Gewohnheits-Optimisten in der ÖVP zu überraschen und zeigte, wie strategisch richtig die Beendigung der VP/FP Koalition war, die Türkis mit der Ablehnung des FPÖ-Innenministers bereits damals eine Tür zu Grün geöffnet hatte.
Nach der Nationalratswahl mit dem sensationellen Ergebnis für Türkis und Grün wartete das Land gespannt auf die Verhandlungen für eine neue Regierung. Und das Ergebnis kam völlig sensationslos, fast schon als Normalität, professionell verhandelt, ohne Querschüsse und peinliche Interviews, sehr zur Enttäuschung sogenannter »kritischer« Stimmen. Die linken und links-liberalen Medien und manch selbst ernannte »Intellektuelle« und »Fachleute« versuchten weiter, Sebastian Kurz in die rechte Ecke zu stellen und schrieben fast täglich, aus welchen Gründen eine Koalition mit den Grünen nie zustande kommen könnte, sprachen von »enttäuschten« Grünen und einem »Verrat« grüner Prinzipien, doch die Pragmatiker der beiden Gruppen blamierten die medialen Profis mit all ihren warnenden Prophezeiungen.
Noch während der Koalition mit der FPÖ wurde Sebastian Kurz immer wieder vorgeworfen, er habe kein anderes Programm als die Fremdenfeindlichkeit, seine kritische Haltung gegenüber Zuwanderung und seine Hetze gegen Asylsuchende. Der Rechtsruck habe ihn angeblich populär gemacht, außer dieser Polemik hätte er kein anderes politisches Profil.
Als während der Verhandlungen mit den Grünen seine Popularität weiter stieg, wussten die Kritiker keine Antworten darauf. Wie konnte ein Politiker, der mit angeblich »rechts-extremen« Argumenten im rechten Segment nach Stimmen »fischte«, plötzlich mehr und mehr Unterstützung bekommen, wenn er mit dem politischen Gegenteil eine Einigung findet? Die Spezialisten für Interpretationen politischer Verschiebungen und Bewegungen stolperten über einen Politiker, der so gar nicht ihren eigenen Vorurteilen und Denk-Mechanismen entsprach.
Ich schrieb es schon vor einiger Zeit, als Sebastian Kurz zum ersten Mal Bundeskanzler wurde, dass er nicht in eine der üblichen ideologischen Schubladen passe. Ziemlich unbekümmert scheint er nach Lösungen zu suchen, die von möglichen Ergebnissen her beurteilt werden und weniger von einer ideologischen Grundeinstellung. Er gleicht eher einem Manager in der Privatindustrie, der nach dem Ergebnis beurteilt wird und nicht nach dem Weg zum Gewinn. Seine geistige und praxis-bezogene Flexibilität bietet ihm einen Verhandlungsspielraum, der einen gewissen Vorsprung garantiert und realisierbare Kompromisse möglich macht.
Falls die neue Koalition erfolgreich arbeitet, würden die beiden Parteien, Grün und Türkis, europäische Geschichte schreiben. Sie könnten beweisen, dass die Zukunft erfolgreicher politischer Arbeit rein ergebnisorientiert ist und sich vom traditionellen links-rechts-Denken gelöst hat. Dagegen sehen FPÖ und SPÖ wie Antiquitäten aus dem Trödlerladen aus. Die einen verbeißen sich in die Angst vor Überfremdung und die anderen in die Vorstellung, immer noch die einzig »anständige« Partei des Landes zu sein.
Sebastian Kurz, aber auch Werner Kogler, ist ein Erfolg zu wünschen, denn die neuen Probleme Europas sind nur zu lösen, wenn Ideen verschiedenster politischer Denk-Modelle übernommen werden. Gelingt das Experiment, werden Parteien in Zukunft gegenüber den Wählern mehr inhaltlich argumentieren müssen, da die Zeit der verlässlichen »Stammwähler« zu Ende geht.
Sebastian Kurz hat hier eine Richtung vorgegeben, die seine Gegner erst einmal verarbeiten müssen, bevor sie versuchen, mit ihm zu konkurrieren. Er könnte das Zeitalter der inhaltlosen, ideologischen Sprachblasen-Politik beendet haben und das gesamte politische Spektrum zu mehr konkreten und lösungsorientierten Angeboten gegenüber den Wählern zwingen.
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