Foto: Präsidentschaftskanzlei, Carina Karlovits/HBF und Peter Lechner/HBF
Das Rumpelstilzchen-Syndrom
Schon ab dem Beschluss über Verhandlungen zwischen Türkis und Grün begann die Unruhe in den heimatlichen Medien. Mit einer durchschaubaren Mischung von In-Haus-Kommentaren und Gastbeiträgen wechselten sich die kritischen Stimmen ab, als ob sie auf einander abgestimmt worden wären und nur mehr auf ihren Einsatz durch ein Zeichen des Dirigenten warteten.
Die links-der-Mitte Medien stolperten von einer Prophezeiung in die andere. Am Anfang hieß es noch, die Verhandlungen zwischen Kurz und Kogler hätten nur den Sinn, sie nach kurzer Zeit von Seiten der ÖVP als gescheitert zu erklären, um dann mit den Freiheitlichen zu sprechen, was sie ohnehin immer vorgehabt hätten.
Als nach ein paar Wochen die beiden Parteien immer noch verhandelten, änderten die Fachleute ihre Strategien und publizierten in täglichem Rhythmus Beiträge, in denen gewarnt wurde, die Grünen dürften ihre Grundsätze nicht aufgeben und müssten die eine oder andere Forderung auf jeden Fall durchsetzen – dies alles nicht mit der Erwartung, gewisse Eckpunkte auch im Regierungsprogramm vertreten zu sehen, sondern mit der Hoffnung, dass durch solche ›Erinnerungen‹ ein Teil der grünen Verhandler die Sache platzen lassen würden.
Auch das nützte nichts, also wurde man etwas aggressiver. Nun ging es gegen die ÖVP los. Plakative Metaphern mit Volksschul-Niveau wie zum Beispiel der tausend Mal verwendete Ausdruck ›über den Tisch ziehen lassen‹ und andere Weisheiten wurden eingesetzt, um die ›machtsüchtigen‹ Konservativen zu beschreiben, die daran interessiert wären, in Form einer Alleinregierung die Grünen einfach zu überrumpeln.
Kurz wurde immer öfters als der Egomane beschrieben, der ähnlich wie ein Thronfolger alles an sich reißen und mit seinem kleinen Stab an Vertrauten auch die übrigen Ministerpositionen besetzen möchte. Ein medialer Zirkus, natürlich bis weit hinein in deutsche Medien, versuchte, Sand ins Getriebe zu streuen, und zumindest gegenüber der Öffentlichkeit den Eindruck entstehen zu lassen, als sei diese Koalition schon aufgrund der gegensätzlichen Persönlichkeiten der Parteiführer undenkbar.
Es näherte sich dann langsam die Erklärung über eine Einigung der beiden Parteien, die jenen gewissen Teil der Medienlandschaft, der seine Zeitungs-Seiten und Nachrichten-Sendungen mit der Mission füllte, die Koalition zu verhindern, völlig ausrasten ließ. Die letzte Chance sah man im Parteikongress der Grünen, die der Koalitionsvereinbarung zustimmen mussten. In den Tagen vor der Abstimmung ging es um nichts anderes als um die Verhinderung einer Mehrheit, oder zumindest um den lautstarken Protest, der es der grünen Spitze unmöglich machen würde, die Vereinbarung zu unterzeichnen.
Selten zuvor konnte man beispielsweise in der Tageszeitung ›Der Standard‹ derart falsche und manipulierte Meldungen über ein Thema lesen wie über den Kongress der Grünen. Eine Stimmung wurde getrommelt, als stehe es dort 50:50 um die Zustimmung, und es könnte sich knapp für die eine oder andere Seite ausgehen. Kritikern innerhalb der Grünen bot man genügend Platz in der Zeitung, und Befürworter kamen praktisch nicht zu Wort.
Dann kam die Nachricht mit der 94%-gen Zustimmung der Grünen zum Koalitionsabkommen – als nächster Schock. Was nun, mussten sich die Chefredakteure fragen, wie nun mit einer Tatsache umgehen, die man verhindern wollte und falsch angekündigt hatte. Wieder flüchteten sich so manche Schreiber in absurde Spekulationen.
Das ging dann nach folgendem Prinzip: Es könnte ja im Laufe der Regierungszeit die Situation A eintreten, dies würde eine Reaktion B zur Folge haben, auf die dann wieder mit C reagiert werden müsste – und dann würde die Koalition scheitern, oder einfach nicht überleben.
Mit bewundernswerter Fantasie wurden Situationen erfunden und die jeweiligen Reaktionen darauf, als Denkmodelle sozusagen, nicht wirklich realistisch, aber doch ausreichend, um sich ein frühzeitiges Scheitern der Koalition vorstellen zu können. Das alleine schien bereits Spaß zu machen.
Rückblickend ist die negative Berichterstattung eines Teils der Medien über die Koalitionsverhandlungen und das Ergebnis schwer nachvollziehbar. In einer eigenartigen Gemeinsamkeit drückten Rechte und Linke ihren vergleichbaren Unmut aus. Doch Letztendes ging es nicht um Inhalte.
Der eigentlich Zorn konzentrierte sich auf die Person Sebastian Kurz, dem die Rechten Verrat vorwarfen und die Linken Machtgier und Manipulation der grünen Verhandler. Einen Kanzler Kurz einer Türkis/Grünen Regierung wollten sich so manche nicht vorstellen. Es sollte doch nicht wirklich alles so glatt laufen, wie Kurz es nach seinem Sturz durch FPÖ/SPÖ angekündigt hatte. Seine Selbstsicherheit und Gelassenheit gegenüber Wahlkampf und Koalitionsbildung trieb einige zu Sprachblüten, die weit mehr über die Schreiber aussagten als über den Kritisierten.
Als das Regierungsprogramm veröffentlicht wurde, setzte sich der Zirkus fort, wieder mit kritischen Gastkommentaren und mit Warnungen der Journalisten, was alles passieren könnte in den nächsten Jahren.
Der Fairness halber muss erwähnt werden, dass es diesmal eher die angeblich niveaulosen Kleinformate waren, die relativ ausführlich und sachlich über die Verhandlungen und das Regierungsprogramm berichteten. Sogenanntes Niveau hatte sich diesmal undemokratisch verteilt zugunsten der Publikationen, die auf Propaganda verzichteten und anderen den Vorrang bei Polemik und Denunzierung ließen.
Die neue Regierung Türkis/Grün zeigt neben einer modernen, unerwarteten Regierungsbildung auch die Schwäche der heimatlichen Medien, mit ungewöhnlichen politischen Entwicklungen umzugehen, darauf entsprechend zu reagieren und den Lesern eine unabhängige Information zu bieten. Informationsverantwortung wurde zum Teil ignoriert, verantwortliche Chefredakteure reduzierten unabhängige Blätter zur Irreführung über politische Prozesse.
Das klassische links-rechts Denken scheint einen Teil der Medien immer noch derart zu beeinflussen, dass ein Erfolg der ÖVP gemeinsam mit den Grünen als unerträglich empfunden wurde. Auf die Regierung Türkis/Blau konnte man sich einschießen, oft völlig zurecht und die Position der einzelnen Medien war eine klare Entscheidung der Verantwortlichen. Die neue Koalition provoziert die Medienmacher und Journalisten und verlangt von ihnen neue Qualitäten. Wir werden als Leser einfach nur beobachten, wer diese auch bieten kann.
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