Das Mädchen und der Islam

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Foto: Instagram / Le Parisien

Eine 16-jährige Französin bekommt 50.000 Morddrohungen 

Es begann völlig harmlos auf einem Instagram Diskussions-Forum. Die Sechzehnjährige Mila, die inzwischen ihren Namen ändern musste, berichtete von einer Freundin, die sich öffentlich als lesbisch ›outete‹ und offen und freimütig über ihre Freundinnen schrieb. Sie verbringe gern Zeit mit den einen, weniger mit anderen, und nannte als Beispiel Afrikanerinnen, die ihr nicht besonders gut gefallen würden. Das klang zu Beginn eher heiter, ohne Beleidigung oder Verletzung. Manche antworteten, sie würden die Schönheit der Afrikanerinnen bewundern und hätten wenig Freude mit verwöhnten Französinnen und andere betonten, dass ihnen die Herkunft völlig gleichgültig sei und nur der Charakter zähle.

Bis ein junger Mann sich in das Gespräch einmischte und die diskutierenden Frauen als Rassisten und ›Dreckige Lesben‹ beschimpfte. Der Streit eskalierte. Die Frauen verteidigten sich mit ebenso wenig freundlichen Worten, Freunde des jungen Mannes meldeten sich zu Wort, aus der Diskussion wurde ein aggressiver Streit mit Hass, Wut und Verachtung, bis der junge Mann sich als Moslem zu erkennen gab und die strengen Gesetze der Religion gegenüber Homosexualität – so wie er sie interpretierte – als Argumente einbrachte. 

Mila reagierte auf diese Vorwürfe mit ihrer eigenen Meinung über die Homophobie der radikalen Vertreter des Islams und kritisierte – was viele vor ihr taten, selbst Liberale unter den Muslimen – dass die Diskriminierung der Homosexuellen inakzeptabel sei, und eine Religion, die das vorschreibe … nun, man könnte, ohne Milas Worte zu wiederholen, es als eine recht deftige Formulierung ihrer Ansichten beschreiben.

Privater Dialog

Es ging weiter als privater Dialog zwischen mehreren jungen Menschen, die sich ziemlich rücksichtslos und offen ihre Meinungen sagten. Worte fielen von beiden Seiten, die Reaktionen provozierten, und es entwickelte sich ein heftiger Streit, jedoch auch eine interessante Debatte mit unterschiedlichen Ansichten über Religion, Werte und Freiheiten. Keiner dachte, dass andere, die diese Diskussion verfolgten und weder Mila noch den muslimischen Jungen kannten, den Dialog verbreiteten und weiterleiten würden. Unterschiedliche Ansichten, Deutungen und Interpretationen wurden jedoch in kurzer Zeit durch Beleidigungen, ›Hate-Speech‹ und Bedrohungen ersetzt. Selbst der muslimische Junge, der vehement den Ansichten Milas widersprach, erschrak darüber.

Das Streitgespräch zwischen zwei Jugendlichen explodierte regelrecht, verbreitete sich schneller als die beiden sich jemals vorgestellt hatten, mit Tausenden Kritikern und Unterstützern. Nach einem Jahr hatten 35 Millionen Menschen das Video gesehen, mit mehr Kommentaren als zum World Cup 2018.

Das ursprüngliche Gleichgewicht der Meinungen verschob sich im Laufe der Zeit, bis Mila mehr als 50.000 Morddrohungen bekam, ihre Schule in Villefointaine in der Nähe von Lyon verlassen musste und mit ihren Eltern unter Polizeischutz lebt. Milas Anwalt verglich die Hetze gegen sie mit der Fatwa, die der Iranische Geistliche Ayatollah Khomeini gegen den Schriftsteller Salman Rushdie 1989 ausgesprochen hatte, der Jahrelang versteckt leben musste.

Letzte Woche gab Mila der Zeitschrift Le Point  ein Interview und beschrieb ihr Leben als das einer Toten, die nur aus dem Bett steige, um abends wieder zurückzukehren. Sie verstehe nicht, wie all ihre Freunde und Freundinnen ein normales Leben führen könnten und sie jeder Freiheit beraubt sei, wie im heutigen Frankreich eine derartige Bedrohung gegen sie und ihre Eltern durch Fanatiker einer religiösen Minderheit möglich wäre.

In ihrer alten Schule schätzte man sie als talentierte Autorin und Sängerin. Sie fiel auf mit ihrem ›funky‹ Haarschnitt und ihrer bunten Kleidung. Nachdem sie in einem TV-Interview ihr Recht verteidigte, eine Religion kritisieren zu dürfen, übertrafen die hasserfüllten Reaktionen alle Befürchtungen. Es ging nicht mehr um Meinungen über ausgefallene Kleidung und provokante Frisur, es ging um Einschüchterung und Morddrohungen.

Die Polizei verhaftete bisher 50 Personen, die versuchten hatten, sie zu finden, und ihr drohten, sie umzubringen. Letzten August, während einer Reise nach Malta mit ihren Eltern, erkannte sie ein Franzose, dessen Eltern aus Algerien kamen. Er drohte, sie zu vergewaltigen und zu töten und wurde verhaftet. Einen 23-jähriger Mann verurteile das Gericht zu drei Jahren Gefängnis, weil er ein Video veröffentlichte, in dem er den Mord an Mila ankündigte.

Frankreichs Präsident Macron verteidigte die 16-jährige Schülerin, wich jedoch der Aufforderung aus, sie zu treffen. Seine Regierung diskutiert derzeit ein Kommuniqué mit den Repräsentanten der muslimischen Gemeinden. Es geht um die Unterzeichnung eines Dokuments zur ›Vereinbarkeit des muslimischen Glaubens mit den Prinzipien der Republik Frankreich‹. Vor wenigen Tagen gab eine große Mehrheit der muslimischen Vertreter bekannt, der Vereinbarung zuzustimmen. 

Moderner Islam

Macrons Ziel, einen modernen Islam mit Unterstützung liberaler Bewegungen unter den Muslimen durchzusetzen, scheiterte bereits mehrere Male am internen Streit zwischen verschiedenen Gruppen des muslimischen Dachverbandes. Radikale Imame warnten, dass eine Anlehnung an die ›Werte‹ des Staates den ›Werten‹ des Islams widersprechen würden. 

Trotz schwieriger Verhandlungen setzten sich letzendes die fortschrittlichen Repräsentanten durch, und ein Kompromiss wurde akzeptiert, der den ›politischen Islam‹ von der Religion trennt. Als ›politischer Islam‹ bezeichnet die Vereinbarung Strömungen wie Salafismus, Wahhabismus, die Moslembruderschaft und die Tablighi Jamaat. Die Einmischung fremder Staaten soll ebenfalls verboten werden. Die französische Regierung hat dem türkischen Präsidenten wiederholt vorgeworfen, die Radikalisierung von Vertretern des Islams in Frankreich zu fördern.

Das Dokument gilt als revolutionär in der Entwicklung eines modernen Islams in einer demokratischen Gesellschaft. Auf der Grundlage dieser Vereinbarung akzeptieren die Unterzeichner, Kritiker des Islams weder zu bedrohen noch zu verfolgen. Apostasie, der Austritt aus einer Religionsgemeinschaft und der Wechsel zu einer anderen, werde akzeptiert und damit Religionsfreiheit garantiert. Jede Form von Rassismus, Diskriminierung werde abgelehnt, vor allem Antisemitismus, Homophobie und Diskriminierung von Frauen. Weiters einigte man sich auf das Verbot der weiblichen Genitalbeschneidung und der Zwangsehe. 

Mohammed Moussaoui, der Präsident des Dachverbandes muslimischer Gemeinden Frankreichs, CFCM, erklärte nach einem Treffen mit Regierungsvertretern, dass die Vereinbarung beweise, dass Muslime in einer westlichen Demokratie gleichberechtigte Staatsbürger sein können wie Mitglieder anderer Religionen. Macron betonte, dass der Islam zu Frankreich gehöre, wenn Muslime sich in die Gesellschaft mit Respekt vor den demokratischen Werten der Republik Frankreichs integrieren.

Anders der Kommentar des türkischen Präsidenten Erdogans, der erklärte, das Dokument sei der endgültige Beweis, dass der französische Präsident Macron geisteskrank sei. In arabischen Ländern und Pakistan gab es Demonstrationen und aufgebrachte Menschenmengen versuchten französische Botschaften zu stürmen. Macron und die französische Regierung wollen einen französischen Islam durchzusetzen, der den Regeln und Gesetzen der Religion widersprechen würde, waren die Vorwürfe.

Der französische Staatspräsident verteidigte das Prinzip des Säkularismus. Es bedeute, zu glauben oder nicht zu glauben, die Möglichkeit, seine Religion auszuüben, solange die öffentliche Ordnung gewährleistet sei und versicherte den 5.4 Millionen Muslimen, dass Säkularismus die Neutralität des Staates garantiere, und keineswegs die Auslöschung der Religionen in der Gesellschaft und im öffentlichen Raum bedeute. Den Aufbau von Parallelgesellschaften mit eigenen Wertvorstellungen werde Frankreich jedoch nicht dulden.

Zuerst veröffentlicht in NEWS.


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Über den Autor / die Autorin

Peter Sichrovsky

Klassische Dilettanten-Karriere, wenig von viel und viel von wenig zu wissen, zu können, nach Studium der Chemie Marketing in Pharmaindustrie, dann Journalist, Schriftsteller, Mit-Gründer des Standards, SZ/Stern Korrespondent in Asien, EU-Parlamentarier, die letzten zehn Jahre Industrie-Karriere in Süd-Ost-Asien, 23 mal übersiedelt und nach Wien, Berlin, New York, München, New Delhi, Singapur, Hong Kong, Manila, Los Angeles und Brüssel in Chicago gelandet. Seit September 2017 lebt Peter Sichrovsky in London.

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