Photo: Hashomer Hatzair Archives Yad Yaar, CC BY 2.5
Ein Fest zu Ehren eines Aufstands
Lange vor dem ersten Weihnachtsfest ging es bei dem jüdischen Chanukka-Fest um die Erinnerung an den Aufstand der Makkabäer, 167 bis 164 v.d.Z., gegen die Seleukiden-Dynastie aus Syrien, die unter dem König Antiochos IV. Epiphanes versuchte, das Judentum zu »hellenisieren«. Der Kampf endete mit dem Sieg der »traditionellen« Juden und der Wiederherstellung des Jerusalemer Tempel. Diese eindrucksvolle Geschichte findet sich allerdings nicht im jüdischen Tanach, sondern nur in der griechischen Übersetzung der Bibel und in der katholischen Ausgabe des sogenannten »Alten Testaments«. Im Talmud wird von dem bekannten Chanukka-Wunder berichtet, einem einzigen Krug mit reinem Öl, der statt einem Tag, acht Tage lang brannte.
Viele Jahrhunderte lang hatte Chanukka neben den anderen jüdischen Festen keine besondere Bedeutung. Es wurden zwar acht Tage lang die Lichter angezündet, doch gab es weder einen Fast- noch einen Festtag, der den Alltag in irgendeiner Weise beeinträchtigt hätte.
Die Wiederbelebung von Chanukka
Erst im 19. Jahrhundert kam es zu einer »Wiederbelebung«. Die Zionisten bewerteten den Sieg der traditionellen Juden über die »hellenistischen« als ein Symbol des Zionismus und der »jüdischen Befreiung« über die Assimilierung und drohende Auflösung der jüdischen Identität.
Theodor Herzl schrieb in seinem Werk Judenstaat: »Darum glaube ich, dass ein Geschlecht wunderbarer Juden aus der Erde wachsen wird. Die Makkabäer werden wieder auferstehen.«
Zionistische Gruppen änderten den Namen von Chanukka zu »Chag ha-Makkabim«, dem Fest der Makkabäer. Der Kampfgeist der Makkabäer wurde auch auf andere politische, nicht-religiöse Ereignisse übertragen. Die Begeisterung für den Ersten Weltkrieg zum Beispiel ging so weit, dass einer der wichtigsten Philosophen des modernen Judentums, Martin Buber, in seiner Chanukka-Rede 1914 die Beteiligung Deutschlands in diesem Krieg mit dem Kampf der Makkabäer verglich und die Teilnahme der Juden als eine »befreiende national-jüdische Erfahrung« beschrieb.
Viele Jahre vor der Gründung des Staates Israel entwickelte sich Chanukka zum Symbol für die Befreiung der Juden als unterdrückte Minderheit in den verschiedensten Ländern und die Bildung einer eigenen jüdischen Nation und nicht durch Anpassung an die Traditionen der Mehrheit.
Wegen der geringen Bedeutung des Feiertags war seine Umdeutung leichter als die eines der großen religiösen Feste. Die Makkabäer boten sich geradezu an für die Schaffung einer heroischen nationalen Tradition. Das göttliche Wunder des Lichts als zentrales Element der Chanukka-Geschichte trat in den Hintergrund, dagegen betonte die zionistische Lesart das Vorbild für Aufstand und Selbstbefreiung, den Kampf der Nationalisten gegen Assimilation und das großartige Ziel: eine unabhängige jüdische Nation!
Michael S. Friedlander
Später in Israel wurde allerdings der nationale Feiertag »Jom Ha‘atzmaut« geschaffen und die Makkabäer findet man nur mehr selten, wie bei der Basketball-Mannschaft Makkabi Tel Aviv und der Makkabiade, der jüdischen Olympiade.
Generationskonflikt junger Zionisten
Ein weiterer Grund für die Wiederbelebung des Chanukka-Festes war im 19. Jahrhundert die Rebellion vieler junger Zionisten gegen ihre Eltern, die sich mehr und mehr vor allem im deutsch-jüdischen Bürgertum assimilierten und auf die Idee kamen, Chanukka und Weihnachten zu verbinden. Daraus wurde entweder »Weihnukka«, oder wenn Familien das christliche Wort völlig vermeiden wollten, nannten sie es »Deutsches Volksfest«. Die Bewegung der jungen Zionisten organisierte in deutschen Städten einen sogenannten »Makkabäerball«, der jungen Männern und Frauen die Gelegenheit gab, ein Fest zu feiern, ohne bei den Weihnachtsfeiern der Eltern mitzumachen.
Das aufstrebende jüdische Bürgertum sah in Weihnachten kein religiöses Fest und veränderte es zu einem säkularen Ereignis. Fanny von Arnstein, 1758 in Berlin als Vögele Itzig geboren, später eine der wichtigsten Vertreterinnen der feinen Gesellschaft in Wien, organisierte hier 1814 das erste Weihnachtsfest mit einem Weihnachtsbaum.
»Bei Arnsteins war vorgestern nach Berliner Sitte ein sehr zahlreiches Weihbaum- oder Christbaumfest. Es waren dort Staatskanzler Hardenberg, die Stadträte Jordan und Hoffmann, Fürst Radziwill, Herr Bartholdy, alle Anverwandten des Hauses. Alle gebetenen, eingeladenen Gäste erhielten Geschenke oder Souvenirs vom Christbaum. Es wurden nach Berliner Sitte komische Lieder gesungen … Fürst Hardenberg amüsierte sich unendlich.« (Hilde Spiel)
Gershom Scholem schrieb in seinen Erinnerungen, dass er von seinen Eltern als Jugendlicher zu Weihnachten ein Bild von Theodor Herzl bekommen hatte. Es sei schön verpackt unter dem Weihnachtsbaum gelegen und seine Mutter meinte dazu, dass sie dieses Foto extra ausgesucht hätte, weil er sich doch so sehr für den Zionismus interessiere. Von diesem Tag an verließ er jedes Jahr zu Weihnachten das Haus, um der Feier zu entgehen, bei der Hasen- und Gänsebraten zubereitet wurde, und ein voll behängter Baum das Wohnzimmer schmückte. Die Eltern hätten die Feierlichkeiten als »Deutsches Volksfest« verteidigt, das man als deutsche Juden feiern könne. Nach dem üppigen Abendmahl habe sich seine Tante ans Klavier gesetzt und Weihnachtslieder gespielt, zu denen die Angestellten, die Köchinnen und das Servierpersonal gesungen hätten.
Doch mit dem Erfolg der zionistischen Bewegungen wuchs die Ablehnung der Weihnachtsfeiern durch die jüngere Generation. Sie sahen es mehr und mehr als einen Verrat der zionistischen Idee, wobei religiöse Gründe weniger Rolle spielten. Das Weihnachtsfest sei der Anfang eines Assimilationsprozesses, der zur Aufgabe der jüdischen Traditionen führen würde, und sie beklagten, dass in Familien, die Weihnachten feiern würden, Pessach und Yom Kippur keine Bedeutung mehr hätten. Man lebe in der trügerischen Fantasie, dass eine Aufgabe der eigenen Tradition und der Annäherung an christliche Feste auch den Antisemitismus verschwinden lassen würde.
Manche Jüdische Zeitschriften versuchten es mit Humor. Eine Karikatur um die Jahrhundertwende 1899/1900 zeigt ein Mädchen, das an der Hand seiner Mutter durch die Stadt geht, auf eine Auslage mit einem Weihnachtsbaum, einem Engel und dem Jesuskind, und sagt: »Mutti, schau, die Christen haben auch einen Weihnachtsbaum!«
Herzl feierte Weihnachten
Verwirrend für die neue Identität der zionistischen Bewegung war allerdings das Verhalten ihres Gründers, Theodor Herzl, der darauf bestand, auch weiterhin mit seiner Familie Weihnachten zu feiern. In seinen Erinnerungen schreibt er über einen Vorfall, als ausgerechnet am Weihnachtsabend der Wiener Oberrabbiner Mords Güdemann ihn besuchte:
Eben zündete ich meinen Kindern den Weihnachtsbaum an, als Güdemann kam. Er schien durch den christlichen Brauch verstimmt. Na, drücken lasse ich mich nicht. Na, meinetwegen soll’s der Chanukka-Baum heißen – oder die Sonnwende des Winters!
Theodor Herzl
Mit der sprachlichen Kombination von »Chanukkamann« bis zur Umbenennung des Festes in »Christmukka« versuchten jüdische Familien dem Dilemma auszuweichen, einerseits ein familiäres Fest zu veranstalten mit Geschenken und gutem Essen, doch gleichzeitig die Distanz zur christlichen Religion zu bewahren.
In den letzten Jahrzehnten kam noch ein zusätzliches Problem dazu. In den USA zum Beispiel sind etwa die Hälfte der fünf Millionen Juden mit christlichen Partnern verheiratet. Viele wollen ihren Kindern beide Kulturen weitergeben und versuchen die Feste nicht getrennt zu feiern, sondern in Form einer Kombination. Die Industrie hat auf diese Veränderungen schnell reagiert und bietet zusätzlich zu den Adventskalendern auch »Chanukka-Kalender« mit nur acht statt 24 kleinen Öffnungen, hinter denen Davidsterne aus Schokolade versteckt sind. Aus dem Weihnachtsbaum wurde der »Chanukka-Bush« mit jüdischen Symbolen, mit denen der Baum geschmückt werden kann, und aus den Jelly-Beans wurden die »Maccabeans«.
Symbolischer Höhepunkt der rasanten Entwicklung von Assimilation und Vermischung von Religion, Traditionen und Identitäten ist die Tatsache, dass das wohl berühmteste Weihnachtslied »White Christmas« von Irving Berlin komponiert wurde – Sohn eines russischen Kantors und geboren im jiddischen Shtetl in Tolochin.
Quelle: David – Jüdische Kulturzeitschrift
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