Photo: Wikimedia Commons, gemeinfrei
Warum Deutschland dem Migrationspakt nicht beitreten sollte
Österreich wird dem »Globalen Pakt für eine sichere, geordnete und reguläre Migration« (Englische Originalfassung) nicht beitreten und befindet sich damit in Gesellschaft der traditionellen Einwanderungsländer USA und Australien. Auch Israel hat den Beitritt abgesagt, ebenso Ungarn, Tschechien, Polen, Bulgarien und die Slowakei. In der Schweiz, den Niederlanden, in Estland, Slowenien, Kroatien, Belgien und Japan wird noch darüber diskutiert.
In Deutschland stimmt die CDU auf ihrem Parteitag über den Beitritt ab, obwohl der Bundestag dem Pakt bereits zugestimmt hat. Eine Posse zwar, aber zugleich die letzte kleine Chance auf Umkehr. Denn spätestens die Analyse von Stefan Aust in der WELT hat öffentlich gemacht, dass »die Folgen des Regelwerks viel gravierender sein werden als die Entscheidung Angela Merkels 2015, die Grenzen nicht zu schließen«. Und diese Folgen werden wie 2015 nicht nur Deutschland betreffen, sondern ganz Europa.
Aust beschreibt die federführende Rolle Deutschlands beim Zustandekommen des Migrationspakts und des »Globalen Pakts für Flüchtlinge« (Global Compact on Refugees, GCR), der den Flüchtlingsschutz und die Teilung von Verantwortungen zwischen Staaten weltweit verbessern soll. Dem GCR ist Österreich bereits beigetreten, die USA haben sich auch daraus zurückgezogen. Aber zurück zum Global Compact on Migration. Aust zitiert ein bis dahin weitgehend unbekanntes Dokument des Auswärtigen Amtes vom August 2018, einem 144-seitigen Bericht mit der Überschrift »Flucht und Migration«. Deutschland habe die beiden Pakte durch Textvorschläge aktiv mitgestaltet, heißt es darin stolz, und weiter:
Beide Pakte sind als rechtlich nicht bindend, aber politisch verpflichtend konzipiert.
Dies ist der zentrale Satz. Er entlarvt das Mantra, die Unterzeichner würden sich zu nichts verpflichten, als bloße Nebelkerze. 87-mal ist auf 32 Seiten von »Verpflichtungen« die Rede. In 23 Punkten werden die »Ziele und Verpflichtungen« für eine »sichere, geordnete und reguläre Migration« definiert, jeder einzelne Punkt beginnt mit »Wir verpflichten uns, …«.
Völkerrechtlich ist der Pakt nicht bindend, aber die eingegangenen Verpflichtungen werden in den Zielländern der Migration von NGOs und Grünen umgehend politisch eingemahnt werden. Sobald Ziele in internationale Abkommen gegossen sind, verschwindet die Diskussion über deren Sinn. Jedes einzelne Ziel wird zum Maßstab, an dem Politik gemessen wird, jedes einzelne Ziel wird zur politischen Verhandlungsmasse bei Koalitionsverträgen und Regierungsprogrammen. Die Blaupause für den künftigen Umgang mit den 23 Zielen und Verpflichtungen sind die Klimaschutzabkommen: Die politischen Verpflichtungen von heute sind die gesetzlichen Verpflichtungen von morgen.
Der janusköpfige Charakter dieses Pakts – politisch verpflichtend aber völkerrechtlich nicht bindend – ist unabhängig von den darin formulierten Zielen sein größtes Manko. Denn es ist kein Pakt unter Gleichen, es ist ein Pakt zwischen Herkunfts- und Zielländern von Migranten. Für die Migration innerhalb der EU braucht es ihn nicht, USA und Australien treten von vornherein nicht bei, und in den »shithole countries« dieser Welt kann niemand dessen Einhaltung einfordern. Der Pakt verpflichtet die Herkunftsländer zu nichts, die begehrtesten Zielländer verpflichten sich selbst zu vielem. Um es mit den Worten von Thilo Sarrazin zu sagen:
»Wichtige Einwanderungsländer, wie die USA oder Australien, werden gar nicht unterschreiben. Andere Länder, wie Russland, China oder Indien, werden unterschreiben, sich dadurch aber in ihrem Handeln nicht gebunden fühlen. Für den allergrößten Teil der Herkunftsländer von Migration ist die Unterschrift unter den Migrationspakt sowieso nur eine erneute Übung in Zynismus. Sie haben bisher schon alles unterschrieben, was ihnen Vorteile brachte, und fühlten sich völlig frei darin, Deklarationen und Verträge zu beachten oder auch nicht.«
Stefan Aust beschreibt den gleichen Mechanismus mit zurückhaltender Eleganz: »Auf diese dialektische Weise wird auch in dem Pakt jeweils eine eher vage Erwartung an die Ausreiseländer mit einer konkreten Forderung und Verpflichtung an die Zielländer verbunden.«
23 Ziele und Verpflichtungen
Über den Inhalt des Abkommens, das in kaum verständlichem Bürokratendeutsch verfasst ist, wurde viel geschrieben, man muss die Einzelheiten an dieser Stelle nicht wiederholen. Nur zwei »Ziele und Verpflichtungen« seien hier exemplarisch hervorgehoben, um den Charakter des Pakts zu illustrieren.
Punkt 15 behandelt die »Gewährleistung des Zugangs von Migranten zu Grundleistungen«: »Wir verpflichten uns, sicherzustellen, dass alle Migranten ungeachtet ihres Migrationsstatus ihre Menschenrechte durch einen sicheren Zugang zu Grundleistungen wahrnehmen können«, heißt es dort. Zwar wird eingeräumt, dass »Staatsangehörige und reguläre Migranten möglicherweise Anspruch auf umfassendere Leistungen haben«. Doch alle grundsätzlichen Pflichten bestehen ausdrücklich auch gegenüber irregulären Migranten.
In der Folge werden detailliert die Maßnahmen aufgezählt, mit denen dieses Ziel erreicht werden soll, von der Einrichtung lokaler Servicestellen für einen barrierefreien Zugang zu Leistungen bis zum Ausbau des Bildungssystems. Auch den gesundheitlichen Bedürfnissen von Migranten ist im Rahmen der Gesundheitspolitik Rechnung zu tragen, und nicht zu vergessen, die »Leistungserbringer im Gesundheitswesen [sollen] in kultureller Sensibilität geschult werden«.
Nun könnte man sich an dieser Stelle fragen, wieviel kulturelle Sensibilität es braucht, um einen jungen Mann paktkonform zu behandeln, der irgendwo einen Zaun gestürmt und sich nach Deutschland durchgeschlagen hat, ob ihm beispielsweise eine Zahnbehandlung durch eine Ärztin gerade noch zumutbar wäre. Auch darf man wohl davon ausgehen, dass »Grundleistungen« in Deutschland nicht unter Hartz 4-Niveau liegen. In einem Land, in dem fast jede zweite Rente unter 800 Euro liegt, und immer mehr im Alter ihre Miete nicht mehr zahlen können, darf man gespannt sein, wie eine Regierung diesen Begriff von Gerechtigkeit ihren Wählern erklärt.
Glücklicherweise nimmt sich der Pakt dieses Problems in Punkt 17 an, der »einen auf nachweisbaren Fakten beruhenden öffentlichen Diskurs zur Gestaltung der Wahrnehmung von Migration« fördern soll. Das angestrebte Ergebnis des öffentlichen Diskurses nimmt man vorweg: die »realistischere, humanere und konstruktivere Wahrnehmung von Migration und Migranten«. Das ist verständlich, denn wird ein Diskurs ergebnisoffen geführt, weiß man nie, was dabei rauskommt. Also muss der Staat eine »objektive und hochwertige Berichterstattung durch die Medien, einschließlich Informationen im Internet« fördern – unter anderem durch »Investitionen in ethische Standards der Berichterstattung und Werbung und durch Einstellung der öffentlichen Finanzierung oder materiellen Unterstützung von Medien, die systematisch Intoleranz, Fremdenfeindlichkeit, Rassismus und andere Formen der Diskriminierung gegenüber Migranten fördern«.
So unverhohlen bekennen sich demokratische Gesellschaften selten dazu, die öffentliche Debatte mit Zuckerbrot und Peitsche in die gewünschte Richtung zu lenken. Mehr Geld für Medien, die bekräftigen, dass Migration »in unserer globalisierten Welt eine Quelle des Wohlstands, der Innovation und der nachhaltigen Entwicklung darstellt«, und Schluss mit lustig für alle, die das nicht so sehen. Der Native American (wäre Indianer auf Deutsch eigentlich noch korrekt?), mit dem ich mich vor ein paar Jahren in Chicago unterhalten habe, dürfte jedenfalls froh sein, dass die USA dem Pakt nicht beitreten. Der arbeitete nämlich für eine Community-Zeitung, die – aus durchaus auf historisch »nachweisbaren Fakten« basierenden Gründen – ausgesprochen migrationskritisch eingestellt war. Ein schwieriger Fall, den wohl nur ein eigenes Wahrheitsministerium lösen könnte.
Dass die Teilnehmer am Migrationspakt, der längst kein globaler mehr ist, nicht auf gleicher Augenhöhe agieren, ist offensichtlich. Was Thilo Sarrazin prägnant zusammenfasst: »Die unterentwickelten Herkunftsländer mit ihrem außer Kontrolle geratenen Bevölkerungswachstum geben einen Teil ihres jährlichen Bevölkerungsüberschusses an die Industriestaaten ab und werden dadurch mit Geldüberweisungen belohnt. Die Industrieländer wiederum verpflichten sich zum Unterhalt, zur sozialen Inklusion, zur Ausbildung und Beschäftigung des regelmäßig bei ihnen anlandenden Bevölkerungsüberschusses.«
Die Schlepper dieser Erde werden den Pakt noch kompakter auf den Punkt bringen: »Kommt!«
Last Exit Hamburg
Auf dem Bundesparteitag der CDU wird nicht nur über den oder die künftige Parteivorsitzende abgestimmt, sondern auch über den Migrationspakt.
Aus einem Abkommen in letzter Minute auszusteigen, das man in wesentlichen Punkten selbst mitgestaltet hat, ist keine einfache Entscheidung. Diplomaten werden gekränkt, Politiker brüskiert, das Gewicht der Verhandler wird geschwächt. So war es in Österreich, so wäre es in noch stärkerem Ausmaß in Deutschland. Dennoch war die österreichische Entscheidung die richtige. Kein Zielland für Migranten kann diesen Pakt erfüllen ohne sich selbst zu beschädigen. Und tritt es ihm mit dem Hintergedanken bei, ihn ohnehin nicht einzuhalten, verletzt das die Glaubwürdigkeit der Politik viel stärker als ein Rückzug die Befindlichkeit der Verhandler.
Natürlich haben die Befürworter des Paktes recht, wenn sie sagen, dass viele darin enthaltenen Punkte gut und richtig sind. Aber für keinen einzigen davon braucht es einen Pakt, an den sich Herkunfts- und Zielländer nach eigenem Gutdünken halten oder nicht. Daran finden nur Regierungen gefallen, die nicht fähig oder nicht willens sind, selbst eine klare Einwanderungspolitik zu formulieren und umzusetzen. Gestaltungsschwache Politiker verlagern ihre Aufgabe auf eine multilaterale Ebene, wo sie von anonymen Bürokraten verwaltet wird, anstatt sich selbst der Herausforderung zu stellen. Diese Feigheit rächt sich früher oder später, nicht zuletzt an der Wahlurne.
Niemand hat Deutschland in der Vergangenheit davon abgehalten, transparente Bedingungen für Einwanderer aus Drittländern zu formulieren (Stichwort Einwanderungsgesetz), Visa, Entwicklungshilfe und Investitionen an die Rücknahme illegaler Einwanderer und andere Auflagen zu binden, good governance mit Investitionen und Förderungen zu belohnen, mehr in Schulen, Bildung und Inklusion zu investieren und Zuwanderern faire Aufstiegschancen zu ermöglichen. Und niemand hält Deutschland ab, morgen damit anzufangen, wenn es dem Migrationspakt nicht beitritt.
In Hamburg haben 1001 CDU-Mitglieder die letzte Möglichkeit sich zu entscheiden: Verantwortung übernehmen oder delegieren. Um 100 Meter vor dem Gipfel umzukehren, braucht man am meisten Mut. Jeder Bergsteiger weiß, dieser Mut kann lebensrettend sein.
Epilog
Wenige Tage nach der Veröffentlichung dieses Texts, im Nachschau zur Konferenz in Marrakesch, befragte die Tagesschau Dr. Reinhard Merkel zu den Auswirkungen des Migrationspakts. Merkel bekräftigte im Kern die obige Analyse. Er ist emeritierter Professor für Strafrecht und Rechtsphilosophie an der Universität Hamburg und seit 2008 Mitglied im Deutschen Ethikrat.
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