WIEVIEL HUMOR IST ZUMUTBAR?

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Foto: Franziska Schrödinger (cropped), CC BY 2.0

Lisa Eckhart über Schwarze und Juden

Im Feuilleton herrscht Kriegsstimmung mit Lob und Kritik der Provokationen der Kabarettistin Lisa Eckhart. Damit die Meinungsbildung sich nicht nur auf Vorgekautes stützt, hier eine der kontroversen Textstellen, der die Ausladung der Künstlerin vom Harbour Front Literaturfestival in Hamburg folgte:

»Es ist ja wohl nur gut und recht, wenn wir den Juden jetzt gestatten, ein paar Frauen auszugreifen. Mit Geld ist ja nichts gutzumachen. […] Was tun, wenn die Unantastbaren beginnen, andere anzutasten? […] Am meisten enttäuscht es von den Juden, da haben wir immer gegen den dummen Vorwurf gewettert, denen geht es nur ums Geld, und jetzt plötzlich kommt raus, denen geht es wirklich nicht ums Geld, denen geht es um die Weiber, und deswegen brauchen sie das Geld.«

Darauf reagierten Medien, Fachleute für Kunst und Kultur und offizielle Vertreter für Rassismus und Antisemitismus mit Verurteilen, Verteufeln und Verteidigen der Kabarettistin, die sich mit einem einzigen Auftritt ins Zentrum der Aufmerksamkeit katapultierte. Die Absage provozierten angeblich zwei Kollegen/Innen, die sich weigerten, mit ihr gemeinsam am Literaturfestival aufzutreten.

Vielleicht ist es sinnvoll, ihren jüdischen Spuren zu folgen, um zu verstehen, warum sie als einzig Verbindendes bei diesen alten, geilen Männern das Judentum entdeckte. Aufgewachsen ist sie bei ihren Großeltern in der steirischen Ortschaft St. Peter-Freienstein, einem Dorf mit etwa zweitausend Einwohnern.  Eine halbe Stunde entfernt liegt Judenburg, im 12. Jahrhundert von jüdischen Kaufleuten gegründet. Zu Beginn des 16. Jahrhunderts nach Pogromen und Vertreibung war die Gegend allerdings nahezu judenfrei. Während der NS-Zeit vollendete die steirische Bevölkerung die Säuberung ihrer Heimat, sodass Klein-Lisa in wahrscheinlich rein arischer Umgebung aufwachsen konnte.

In St. Peter-Freienstein wohnten keine Juden, es gab auch keine Synagogen, in der Schule keine jüdischen Kinder, und zu Kuchen am Sonntag Nachmittag kamen keine Schwarzen zu Besuch. Ihr Kontakt zum Judentum beschränkte sich auf den ans Kreuz genagelten Juden in Klassenzimmer und Kirche. Jede andere als die eigene Kultur musste ihr fremd gewesen sein. Die Normalität der Vielfalt des Alltags von Großstädten fehlte, das  Wissen über Fremdes konnte nur gelehrt, gelesen und erlernt, doch nicht erlebt werden. 

Dennoch wagt sie sich auf die Ebene des jüdischen Humors, der aggressiv, rücksichtslos und bösartig über Juden herzieht, und gleitet aus wie ein Kind, das zum ersten Mal mit Schlittschuhen das Eis betritt. 

Es gibt kaum ein zweites Volk, das eine derart zynische Respektlosigkeit auch noch als Humor erlebt. Selbst über Konzentrationslager gibt es Witze:

Shlomo und Itzig sitzen in Auschwitz auf dem erdigen Boden außerhalb der Baracke und kauen an ihrer Tagesration, einem Stück Brot und etwas Wurst, als ein anderer Häftling plötzlich von hinten Itzig über die Schulter greift, ihm das Brot aus der Hand reisst und wegläuft. 
»Du musst ihm nach, Itzig«, schreit Shlomo, »du überlebst den Tag nicht ohne zu essen!«
»Ach, reg dich nicht auf«, antwortet Itzig, »ich hab mir seine Nummer gemerkt.«

Und hier der bessere Witz als der von Lisa Eckhart über Geiz und Sex:

Madam öffnete die Tür des Bordells und Hyman, ein älterer Mann in billiger, abgenutzter Kleidung stand draußen.
»Was wünschen Sie?« Fragte Madam und Hyman antwortete: »Ich möchte Natalie.«
Mein lieber Herr, Natalie ist eine unserer teuersten Frauen, vielleicht eine andere?«
»Nein, ich muss Natalie sehen«, sagte Hyman.
Sie führten ihn zu Natalie, die verlangte 1000 Dollar, und Hyman griff in die Tasche und legte zehn 100-Dollar-Scheine auf den Tisch.
Am nächsten Abend kam Hyman wieder, verlangte auch diesmal Natalie und zahlte den geforderten Preis.
Er kam ein drittes Mal und nach der Stunde, die er mit Natalie im Zimmer verbrachte, fragte sie ihn: »Noch nie hat jemand drei Nächte hinter einander nach mir verlangt, von wo kommen Sie eigentlich?«
»Aus Minsk«, antwortete Hyman.
»Wirklich«, sagte Natalie, »meine Schwester kommt aus Minsk!«
»Ich weiß«, sagte Heyman, »sie hat mir 3000 Dollar gegeben, die ich ihnen bringen soll.«

Verhöhnung der Umgebung

Ähnlich wird über alte, geile Frauen gescherzt, über Geiz und Gier der Reichen, Männer, denen Sex mit ihren Frauen zur Qual geworden ist, und Mädchen, die ihre zukünftigen Ehepartner nur nach dem Gehalt aussuchen. Warum also die Aufregung über Lisa Eckhart? Vielleicht kann das ein anderes Beispiel erklären. 

Chris Rock, einer der bekanntesten schwarzen Schauspieler, überschreitet in seinen Shows jede nur denkbare Grenze der ›Politischen Correctness‹. Er verspottet dicke schwarze Frauen, schwarze Männer, die mit Lügen ihre Frauen um Alimente betrügen, und schwarze Richter, die in lächerlichen schwarzen Roben herumsitzen. Wie im jüdischen Humor geht es um Anekdoten, Gleichnisse und Beobachtungen aus dem eigenen Kulturkreis, um das Verhalten von Menschen, die den Eltern, Ehepartnern, Kindern, Geschwistern, Verwandten und Freunden gleichen, und er verhöhnt zu einem gewissen Grad auch sich selbst. So wie Woody Allen, wenn er dem Publikum eine Uhr zeigt und sagt, die habe er seinem Großvater am Totenbett billig abgekauft.

Lisa Eckhart vermeidet ihre eigene Umgebung, scherzt lieber über die der anderen, oft mühsam zusammengebastelt in einem Outfit wie Pipi Langstrumpf aus dem Vogue-Magazin. Warum macht sie keine Witze über Bauern in St. Peter-Freienstein, die betrunken im Gasthaus mit der Vergewaltigung ihrer Mägde prahlen, über Alters-Sex der Großmütter, die mit langen Röcken und Kopftüchern auf Holzbänken vor ihren Häusern sitzen, den schwulen Lehrer im Dorf und seine heimliche Beziehung zum Pfarrer, oder die Grazer SS-Leute, die den Rabbiner David Herzog 1938 aus seiner Wohnung zerrten und in die Mur warfen.

Die spießbürgerliche Tradition des Kleinstadtmilieus mit Lisa Eckharts Erfahrungen und Erlebnissen würden eine Fülle an Material für eine rücksichtslose Verarbeiten bieten – wie ihr jüdische und schwarze Kollegen/Innen es vormachen. Vielleicht fehlt ihr Fantasie, sprachliche Begabung oder der Mut für eine schonungslose Überdrehung der eigenen Vergangenheit und Gegenwart, denn selbst in ihrem neuen Buch Omama über ihre Großmutter klingt alles eher harmlos.

Ist Lisa Eckhart eine Antisemitin? Wer kann das schon beurteilen, wenn es über die Definition ganze Bibliotheken mit Fachbüchern gibt. Ist sie eine Rassistin, wenn sie sagt, dass Schwarze sieben Liter Blut brauchen, um ihr Glied zu füllen? Auch diese Entscheidung überlasse ich anderen. Ihr Tabubruch ist durchschaubar, und die Provokationen sind inhaltlich und örtlich begrenzt. Würde sie den Witz über Schwarze in Chicago erzählen oder muslimische Männer verhöhnen, die zehnjährige Mädchen zur Ehe zwingen, und ihre Schwestern der Ehre halber umbringen, müsste sie Polizeischutz beantragen.

Dennoch, ein schlechter Witz reicht nicht zur Charakterstudie, die Empörung ist allerdings eine notwendige intellektuelle Fleißaufgabe. Wo wären wir heute ohne Empörung. Es gäbe keine Diskussion über Klima, keine autofreien Zonen in Städten, keinen Rabatt für Pensionisten in öffentlichen Bädern und keine Neuwahlen nach der Ibiza-Affäre. 

Völlig unlogisch ist dagegen die Forderung nach Verbot, sie widerspricht der kreativen Kraft der Empörung. Die sektenartig organisierten Strukturen von Spießern, die Verbote fordern, verhalten sich wie junge Männer, die statt Verhütung die Kastration wählen und dann gemeinsam als Chor der Eunuchen die Befreiung von der Sexualität feiern. 

Gegen die Cancel Culture (Verbots-Kultur) hilft nur eine Empör-Kultur. Keine langweiligen Erklärungen, die ein paar ›Wichtige‹ unterzeichnen, sondern ein kollektiver Aufschrei gegen die drohende Langweile der verbissen erkämpften kleingeistigen Einfalt. Verbote sind keine Verhinderung von rassistischen oder diskriminierenden Beleidigungen, sondern die Voraussetzung für das absolute intellektuell-kulturelle gesellschaftliche Flachland.

Zuerst erschienen in NEWS. 


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Über den Autor / die Autorin

Peter Sichrovsky

Klassische Dilettanten-Karriere, wenig von viel und viel von wenig zu wissen, zu können, nach Studium der Chemie Marketing in Pharmaindustrie, dann Journalist, Schriftsteller, Mit-Gründer des Standards, SZ/Stern Korrespondent in Asien, EU-Parlamentarier, die letzten zehn Jahre Industrie-Karriere in Süd-Ost-Asien, 23 mal übersiedelt und nach Wien, Berlin, New York, München, New Delhi, Singapur, Hong Kong, Manila, Los Angeles und Brüssel in Chicago gelandet. Seit September 2017 lebt Peter Sichrovsky in London.

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