Covid-19: Lückenhaftes Contact-Tracing in Wien

C

Die Kontaktpersonen eines Erkrankten wurden nicht verständigt – Einzelfall oder Systemfehler? 

»Alle Personen, die direkten Kontakt zu einem Covid-19-Infizierten hatten, werden getestet – egal ob sie Symptome haben oder nicht.« Verlautbarte der Krisenstab der Stadt Wien am 12. August angesichts der steigenden Infektionszahlen. 

Klingt gut, ist aber nicht wahr. Ich hatte einige Tage vor diesem Statement einen langen, direkten Kontakt in Wien mit einem Covid-19-Infizierten – und wurde von der Gesundheitsbehörde nicht einmal verständigt, geschweige denn getestet. Aber der Reihe nach. 

Ein Meeting und ein positiver Covid-19 Test

Meeting in Wien mit fünf Teilnehmern. Einer davon zeigte am selben Abend eindeutige Symptome: hohes Fieber, Atemnot. Wir hatten also genau zu dem Zeitpunkt, an dem Infizierte nach aktueller Studienlage am ansteckendsten sind – ungefähr einen halben Tag vor den ersten Symptomen – ungefähr eineinhalb Stunden miteinander verbracht. Am Tag darauf wurde er auf Covid-19 getestet, zwei Tage danach bekam er das Ergebnis. Positiv. Nach seinen Kontakten hat ihn nie jemand gefragt. 

Schon am Morgen nach der Besprechung, zeitig in der Früh, hatte er alle Teilnehmer selbst verständigt, wir haben uns freiwillig in Quarantäne begeben und uns innerhalb von fünf Tagen zweimal privat testen lassen (alle Tests waren negativ). Meine beiden PCR-Tests fanden jeweils am Vormittag statt, den Befund bekam ich beide Male am selben Nachmittag. Bei den behördlichen Tests wartet man derzeit bis zu drei Tage, bis man das Ergebnis erfährt.

Im konkreten Fall gab es keinerlei Contact-Tracing durch die Gesundheitsbehörde. Die wohlmeinendste Annahme wäre, der Fiebernde hätte den Testern gesagt, er würde seine Kontakte selbst verständigen, und erinnert sich jetzt nicht mehr daran. Doch selbst das wäre inakzeptabel. Man darf die Verständigung der Kontaktpersonen nicht dem Erkrankten überlassen, schon gar nicht einem Mann im Pensionsalter mit hohem Fieber. 

Ein Einzelfall? Vielleicht. Doch Einzelfälle neigen in Österreich zum notorischen, und dieser verheißt für den Herbst nichts Gutes. 

Der Schildbürgerstreich der Stopp Corona App

»Sie werden anonym und automatisch in der App benachrichtigt, wenn eine Ihrer Kontaktpersonen erkrankt ist.« Verspricht die Stopp-Corona App des Roten Kreuzes. Doch das tut sie nur nur in ganz bestimmten Fällen. 

Verständigt werden nämlich nur die Kontakte der letzten zwei Tage, bevor man Symptome in die App einträgt. Trägt man jedoch ein positives Testergebnis ein, gilt erst das Datum des Eintrags als Stichtag. Die beiden Tage davor verbringt man zurzeit normalerweise schon in Quarantäne und wartet auf das Ergebnis – wen soll die App da verständigen?

An unserem Beispiel: 
Tag 1: Kontakt + erste Symptome
Tag 2: Test
Tag 4: Testergebnis

Hätte der Erkrankte sein Testergebnis in der App erfasst, wären nicht einmal mehr wir benachrichtigt worden (Tag 1), geschweige denn die Kontakte der beiden Tage davor. Warum fällt so ein Schildbürgerstreich niemandem auf? Hat sich die App niemand in der Praxis angesehen? 

Junge Menschen zeigen, wenn überhaupt, oft nur leichte Symptome. Dass sie in der Erkältungssaison bei jedem Halskratzen ihr ganzes Umfeld in Quarantäne schicken, darf man getrost bezweifeln. Und wenn sie erst den Test eintragen, wird so gut wie niemand mehr verständigt. Kein Wunder, dass man kaum mehr was von der App hört. Dabei wäre sie ein äußerst hilfreiches Tool zur Kontaktverfolgung – schließlich kennt man nicht immer alle namentlich, mit denen man im selben Raum zusammen ist oder erinnert sich nicht an alle.

Alles richtig gemacht?

Fast fünf Monate nach dem Shutdown und Milliarden von Steuergeldern strotzen die öffentlichen Erklärungen vor Eigenlob über das Erreichte. Und tatsächlich steht Österreich im internationalen Vergleich ziemlich gut da. Also alles richtig gemacht?

Die Stopp-Corona App leistet nicht, was sie eigentlich könnte, in Wien wartet man noch immer bis zu drei Tage auf das Testergebnis, und das Contact-Tracing funktioniert erwiesenermaßen nicht ohne Lücken. Eine eher mäßige Performance. Und eine Nachlässigkeit, die all die Opfer, die jeder einzelne in diesen Zeiten bringt, konterkariert. 

Dabei wären die meisten Unzulänglichkeiten ziemlich einfach zu beheben. 

»Der Krisenstab der Stadt Wien hat bereits versucht, die Testungen zu beschleunigen. … Das Testteam des Roten Kreuzes kommt nachhause, nimmt die Probe. Es ist allerdings nicht die einzige Probe, die das Testteam an diesem Tag nimmt. Es muss weiter zum nächsten Verdachtsfall. Erst am Abend werden alle Proben gesammelt im Labor abgegeben. Das Ergebnis liegt somit erst am nächsten Tag vor. Bis es den Familien und den Betreuungseinrichtungen kommuniziert wird, kann dann noch ein Tag vergehen. Soweit das derzeitige Prozedere, wie es in Wien praktiziert wird.« Schildert der STANDARD wohlwollend den Ablauf der Tests. 

Warum bringt man die Proben nur einmal am Tag ins Labor? In einer Großstadt klingt die Logistik für einen Vier-Stunden-Rhythmus ohne nennenswerten Zeitverlust der Testteams nicht gerade nach Raketenwissenschaft. Und dann noch mindestens ein weiterer Tag für die Verständigung? Wird jeder Befund persönlich per Fiaker zugestellt?

Für einen Covid-19 Test braucht ein Labor 4-6 Stunden. Zwischen Test und elektronischer Übermittlung des Resultats dürften im urbanen Raum maximal 24 Stunden vergehen. Für jede Stunde mehr gibt es keinen Grund, sondern höchstens Ausreden. 

Auch das App-Problem ließe sich einfach lösen: Ein Datumsfeld, in das man den Tag des Tests oder der ersten Symptome einträgt – davon drei Tage rückgerechnet, und schon wäre man mit der Verständigung auf der sicheren Seite. 

Die Inkubationszeit bei Covid-19 beträgt bis zu zehn Tage. Jeder Tag kann Dutzende Ansteckungen bedeuten. Im konkreten Fall wären wir über eine richtig designte App immerhin am vierten Tag nach unserem Kontakt verständigt worden statt gar nicht, bei schnellerem Testablauf sogar schon am dritten. Zu diesem Zeitpunkt sind viele Infizierte noch symptomfrei und können andere anstecken. 

Auch wenn sich Fehler nie zu hundert Prozent ausschließen lassen: Unser Fall ist Anlass genug, die Abläufe und Kommunikationswege zu prüfen und zu optimieren. 

Es gibt auch eine gute Nachricht: Abstand halten und lüften funktioniert. Unser Besprechungszimmer war perfekt gelüftet, alle haben mindestens 2 Metern Abstand gehalten. Zur Nachahmung empfohlen!

Die Infektionszahlen steigen, und das Erlebte lässt einen nicht gerade optimistisch der kalten Jahreszeit entgegensehen. Wir alle werden wieder sehr viel achtsamer sein müssen. Doch in den letzten Monaten hatten sämtliche Akteure Zeit, sich auf die Situation einzustellen, und wir dürfen von Politik und Behörden verlangen, ja erwarten, Schlampereien abzustellen und Inkompetenz zu beseitigen. Ankündigungen haben wir genug gehört, jetzt ist es Zeit, sie umzusetzen. 


Hat Ihnen der Beitrag gefallen?
Dann unterstützen Sie bitte die SCHLAGLICHTER


Über den Autor / die Autorin

Thomas M. Eppinger

Thomas Eppinger ist davon überzeugt, dass alle Menschen mit unveräußerlichen Rechten geboren sind, zu denen das Recht auf Leben, Freiheit und das Streben nach Glück gehören. Daraus ergab sich alles andere, auch diese Website.
Der Publizist ist 1961 in Vöcklabruck geboren, lebt heute in Graz und arbeitet in Wien als Lead Editor bei »Der Pragmaticus«. Davor leitete er den unabhängigen Nahost-Thinktank Mena-Watch.