WER DIE US-WAHLEN ENTSCHEIDET

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Über weiße Männer und Vorstadt-Frauen

2016, während der direkten Konfrontationen zwischen Trump und Clinton, versuchte es die Kandidatin der Demokraten mit der ›Frauen-Karte‹ und appellierte an die Wählerinnen, endlich einer Frau die Chance geben, Präsidentin zu werden. Da schien logisch und klang auch überzeugend, da Clinton ein Symbol für den Aufstieg einer Frau in der männlich dominierten Welt der amerikanischen Politik symbolisierte. Doch es kam anders. Die amerikanischen Frauen reagierten zögernd auf das Argument, dass es gut sei, eine Frau zu unterstützen. Nur Frau schien ihnen zu wenig, da fehlte das politische Programm, und viele, die keine Sympathien für Trump hatten, blieben zu Hause und gingen nicht wählen.

Mit dem überraschenden Wahlsieg von Donald Trump änderte sich die Situation. Frauen begannen sich zu organisieren, um ihre Anliegen bekannt zu machen, und veranstalteten am ersten Tag nach der Amtseinführung des Präsidenten, am 21. 1. 2017, den bisher größten Protest-Marsch in der Geschichte der USA. Auf Grund interner Streitereien der Organisatoren zerfiel die Bewegung, doch die Ideen zur Verteidigung und Thematisierung von Frauenrechten blieben erhalten und verbreiteten sich mit Aktionsgruppen vor allem in Vorstädten und ländlichen Gebieten, wo Frauen bisher kaum politisch aktiv waren. Die dramatische Verbreitung des Corona-Virus und die schlechte Vorbereitung durch die Regierung haben Frauen auf dem Arbeitsmarkt und in den Familien besonders getroffen. Es kam zu einer Politisierung unter Frauen, die nicht mehr von Ideologie dominiert wurde, sondern durch die Probleme des Alltags. 

›In the Know‹ ist ein Diskussionsforum für Frauen, das über YouTube und Facebook live verfolgt werden kann. Frauen rufen an und beschreiben ihr tägliches Leben, ihre Probleme und Sorgen. Die Corona-Katastrophe hat das Leben noch schwieriger gemacht. Das beginnt bereits bei der Arbeitslosigkeit. Fast 900.000 Frauen, im Vergleich zu 200.000 Männern, haben ihren Job verloren. Sie waren die ersten, die gekündigt wurden. Die Schließung der Schulen und Kindergärten brachten weitere Belastungen.

Eine Mutter beschrieb ihren Alltag:  Sie sei die erste, die am Morgen aufstehe, das Frühstuck mache und dem Ehemann, der noch Arbeit habe, Sandwiches für das Mittagessen vorbereite.  Dann versuche sie, die Kinder aus dem Bett zu holen, damit sie rechtzeitig für den online Unterricht bereit sind. Sie hätten nur einen Computer zu Hause, die Schule konnte keine Laptops zur Verfügung stellen, so gäbe es immer Probleme, welches der drei Schulkinder mit den Lehrern kommuniziere oder Aufgaben machen könne. Gleichzeitig müsse sie Einkaufen, Wäsche waschen, den Haushalt organisieren und das Abendessen vorbereiten. Von 22:00 Uhr abends bis 02:00 morgens, wenn endlich alle im Bett sind, erledige sie ihren Halbtags-Job für ein Immobilienbüro. 

Die ›Vorstadt-Frauen‹

Trumps verzweifelter Versuch, die Sympathien der Frauen für sich zu gewinnen, insbesondere die –wie er sie sie nennt – ›Surburban Women‹ (Vorstadt-Frauen) mit Warnungen, die Ausländer-Politik der Demokraten würde dazu führen, dass ihre Wohngegenden von Emigranten überrannt werden, kommt nicht gut an. Die Frauen haben andere, reale Probleme. Im Bundesstaat Connecticut haben sich sogar Vorstadt-Bewohnerinnen zu einer Gruppe mit dem martialischen Namen ›The SWAT Team‹ zusammengeschlossen – wie die Spezialeinsatzkommandos der US-Polizei. Das SWAT steht hier aber für Suburban Women Against Trump – Vorstadt-Frauen gegen Trump.

Die Zahl der Wahlberechtigten zeigt, wie entscheidend Frauen für einen Wahlsieg sind. Da es keine Meldepflicht in den USA gibt, ist die Registrierung als Wähler/Wählerin wichtig, um an den Wahlen teilzunehmen. Frauen lassen sich eher registrieren als Männer, das Verhältnis beträgt 53 zu 47 Prozent. 2016 lag die Beteiligung der Frauen um 9.8 Millionen höher als die der Männer. Sie machten 63,3 Prozent aller abgegebenen Stimmen aus. 95 Prozent der Frauen über fünfzig Jahren erklärten laut verschiedener Umfragen definitiv, wählen zu gehen. Damit sind sie mit 28 Prozent aller registrierten Wahlberechtigten die größte Gruppe.

Insgesamt führt Biden bei Frauen mit 14 Prozentpunkten vor Trump, in einem Verhältnis von 54 zu 40. Werden also Frauen diese Wahl entscheiden und hat das sexistische und frauenfeindliche Verhalten von Trump dazu geführt, dass er die Wahl verlieren könnte? Auf den ersten Blick gewinnt man diesen Eindruck. Doch ein genauerer Vergleich mit den Wahlen 2016 zeigt ein anders Bild. 

Das Gender-Problem

Auch bei den Wahlen 2016 bekam Clinton mehr Stimmen von Frauen als Trump. In den Umfragen 2016 teilte sich der Prozentsatz zwischen Männern und Frauen und ihrer Sympathie für Trump oder Clinton mit einem ähnlichen Verhältnis wie zwischen Biden und Trump. Wenn auch Frauen jetzt besser organisiert sind, ihre politischen Positionen und ihre Kritik an der Regierung verbreiten, konnte Biden zwar mehr Unterstützerinnen für sich gewinnen als Trump, doch dieser Umstand hat auch 2016 nicht gereicht, um Trump zu schlagen. Die große Mehrheit unter Männern für Trump entschied die Wahlen.

Woher kommt also der Vorsprung von Joe Biden, wenn man alle Wahlberechtigten berücksichtigt? Was bisher kaum für möglich gehalten wurde, weil es dem Vorurteil gegenüber dem typischen ›weißen, ungebildeten‹ Trump-Unterstützer widerspricht – Biden punktet seit ein paar Wochen bei weißen Männern, aber nicht nur bei diesen, bei allen Männern. Das ist ein Einbruch des Trump-Lagers, mit dem niemand gerechnet hatte. 49 Prozent der Männer unterstützen derzeit Biden. Clinton konnte nur 41 Prozent der Männer für sich begeistern. Selbst unter den schwarzen Männern ist Bidens Wert höher als er bei Clinton war. Vergleicht man die Werte zwischen Biden und Clinton, so scheint Biden wesentlich attraktiver für männliche Wähler zu sein – unabhängig von Herkunft, Religion oder Einkommen.

Eine genauere Analyse der ›White-Working-Class-Men‹, darunter versteht man weiße Männer ohne Uni-Abschluss, die 2016 Trump zum Sieg verholfen hatten, zeigt Bidens Wert um zehn Prozentpunkte über dem Wert, den Clinton für sich gewinnen konnte. Bei einem Vergleich der ›White-Working-Class-Women‹ zwischen Biden und Clinton erreichen beide annähernd die gleiche Unterstützung. In der Bevölkerung mit Uni-Abschluss liegen Demokraten gegenüber Republikanern wie auch bei der letzten Wahl weit in Führung, Biden konnte diesen Vorsprung sogar noch ausbauen. Nur 39 Prozent der Männer mit einem College Abschluss stimmten für Clinton. Die Unterstützung der gleichen Gruppe heute für Biden liegt bei 53 Prozent. 

Besonders enttäuschend schnitt Clinton bei gebildeten Frauen ab, obwohl sie damals hoffte, diese Gruppe würde die Basis ihres Sieges sein. Unter Frauen mit Uni-Abschluss ist Biden erfolgreicher, ihn unterstützen 62 Prozent der Frauen mit Uni-Abschluss. Das sind 11 Prozent mehr als für Clinton stimmten. Insgesamt konnte Biden jedoch gegenüber Clinton bei Frauen nur wenig zulegen, der entscheidende Unterschied liegt bei der Unterstützung durch Männer.

Vereinfachte, klischeehafte Erklärungen wie Männer und Frauen bei Wahlen sich entscheiden, entsprechen nicht immer der Realität. 2016 stimmten weniger Frauen für Clinton als die Demokraten hofften, und für den Milliardär Trump, der den Reichen Steuererleichterungen versprach, stimmten einfache Arbeiter. Vielleicht wird das ›Gender-Verhalten‹ einfach überschätzt und der politische Inhalt, das Programm und die Sympathie für einen Kandidaten/eine Kandidatin unterschätzt. 

2016 führte Clinton bei den Umfragen mit 11 Prozentpunkten vor Trump und verlor dennoch. Bidens Vorsprung ist nicht viel höher, aber dennoch besteht ein Unterschied zu den letzten Präsidentschaftswahlen. Bei einer kontinuierlichen, stabilen Unterstützung durch Frauen, konnte Biden mehr und mehr Männer für sich gewinnen. Doch das unberechenbare Wahlverhalten der Männer – wie auch das Ergebnis 2016 zeigte – ist die große Unbekannte im Duell Trump/Biden.

Zuerst erschienen in NEWS. 


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Über den Autor / die Autorin

Peter Sichrovsky

Klassische Dilettanten-Karriere, wenig von viel und viel von wenig zu wissen, zu können, nach Studium der Chemie Marketing in Pharmaindustrie, dann Journalist, Schriftsteller, Mit-Gründer des Standards, SZ/Stern Korrespondent in Asien, EU-Parlamentarier, die letzten zehn Jahre Industrie-Karriere in Süd-Ost-Asien, 23 mal übersiedelt und nach Wien, Berlin, New York, München, New Delhi, Singapur, Hong Kong, Manila, Los Angeles und Brüssel in Chicago gelandet. Seit September 2017 lebt Peter Sichrovsky in London.

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