BIDONOMICS

B

Wirtschafts-Revolution der Demokraten?

Fast unbemerkt unter der medialen Decke von Corona und den absurden Auftritten des US-Präsidenten Trump legte das Team von Joe Biden einen Plan für die Wirtschaftsreform der USA vor, der die ökonomische Struktur der Vereinigten Staaten grundlegend verändern könnte.

Anlehnend an die Theorien des britischen Ökonomen John Keynes (1883 – 1946) in seinem 1936 veröffentlichten Buch „Allgemeine Theorie der Beschäftigung, des Zinses und des Geldes“ planen die Demokraten einen Wiederaufbau der amerikanischen Wirtschaft wie ihn Präsident Roosevelt während und nach dem Zweiten Weltkrieg durchsetzte. 

Keynes Theorie zeigt, dass Angebot und Nachfrage auf den Märkten nicht automatisch zu einem Gleichgewicht führen, das Vollbeschäftigung garantiert. Danach gäbe es in marktwirtschaftlichen Wirtschaftsordnungen häufig Arbeitslosigkeit, ohne dass die Marktkräfte allein einen Aufschwung bewirken könnten. Nach Keynes liegt der Grund für konjunkturelle Einbrüche begleitet von Arbeitslosigkeit in einer zu geringen Nachfrage nach Gütern. Sinkt die gesamtwirtschaftliche Nachfrage, wird weniger produziert und die Unternehmen entlassen einen Teil der Arbeitnehmer. Das verringerte Einkommen verursacht einen weiteren Rückgang im Umsatz von Konsumgütern, und die Folgen sind eine noch höhere Arbeitslosigkeit. 

Zum Keynesianismus gehören ökonomische Ansätze, die Nachfrage nach Gütern und Dienstleistungen politisch zu steuern und die Wirtschaft durch vermehrte Staatsausgaben und expansive Geldpolitik zu beleben. Die Ideen Keynes brachten nicht nur den USA nach 1945 ein jahrzehntelanges Wirtschaftswachstum, sondern waren auch die Grundlage des sogenannten ›Wirtschaftswunders‹ in Deutschland in den Sechziger und Siebziger Jahren.

Nach Meinung führender Wirtschafts-Forschungsinstitute wie Moody’s Analytics könnte der Plan Bidens mit steigenden staatlichen Investitionen ein ährliches Wachstum von 4,8 Prozent garantieren, sieben Millionen neue Arbeitsplätzen schaffen und das Jahreseinkommen der Mittelklasse um etwa 5.000 US-Dollar erhöhen. Grundlage von Bidenomics sind staatliche Investitionen in alternative Energieversorgung, Bildung und Infrastruktur. Um den linken Flügel der Partei für sich zu gewinnen, versprach Joe Biden den Bau von Sonnenkollektoren, Windrädern und flächendeckend Aufladestationen für Elektroautos einzurichten, den Mindestlohn zu erhöhen, eine staatliche Krankenversorgung und Studienkosten zu reduzieren. Er macht zwar oft den Eindruck eines ›Sleepy Joe‹, seine Maßnahmen zur Restrukturierung der Amerikanischen Gesellschaft erinnern jedoch eher an die Kriegs-Rhetorik von Ex-Präsident Roosevelt.

Die Reichen wurden reicher

Der entscheidende Unterschied zur Wirtschaftspolitik von Trump ist die Forderung, dass Wirtschaftswachstum der gesamten Bevölkerung eine Verbesserung der Lebensbedingungen garantiert, und nicht nur die Reichen immer reicher machen sollte. Auch unter Trump und seinen Vorgängern gab es ein positives Wachstum, das jedoch nur einem kleinen Prozentsatz der US-Bevölkerung nützte. Hohe Börsenwerte und Gewinne brachten zwar Eigentümern und Top-Managern eine Vermehrung ihres Vermögens, hatten jedoch kaum einen Einfluss auf das Lohnniveau und damit auf Kaufkraft und Lebensstandard der Mehrheit der Bevölkerung.

Anders erklärt: Wenn ein Investor mit einem Vermögen von 20 Millionen in Form von Aktien durch Steigerung der Werte an den Börsen nach ein paar Jahren 30 Millionen besitzt, wird er dennoch seinen Konsum kaum ändern. Er hat schon eine Villa in Chicago, eine Wohnung für den Winter in Florida, zwei Autos, 20 Paar Schuhe, 15 Anzüge, etliche teure Uhren, eine neue Küche und einen umgebauten Wintergarten. Sein Reichtum hat ein Niveau erreicht, wo jede Vermehrung des Vermögens keinen Einfluss auf das Konsumverhalten hat, daher die Produktion nicht steigert und keine neuen Arbeitsplätze mit fairen Löhnen schafft.

Die Wirtschaftspolitik von Trump bedeutet Vermehrung des Vermögens der Wohlhabenden mit Steuererleichterungen für Unternehmen, hohe Einkommen und Gewinne bei gleichzeitiger Reduzierung der staatlichen Ausgaben für Infrastruktur, Krankenversorgung, Bildung, und Pensionen. Diese Maßnahmen führten zwar zu einem Wirtschaftswachstum in Form von Gewinnvermehrung, die von Trump angekündigten Investitionen durch Steigerung des Reichtums der Oberschicht blieben jedoch aus. Sie bunkerten ihre Millionen ohne sie auszugeben, scheuten das Risiko und saßen auf ihrem Vermögen wie eine Henne auf Eiern, aus denen weder eine Eierspeis noch neues Leben entsteht – bis die Eier eines Tages nutzlos verfaulten.

Rettet die Mittelklasse, um Amerika zu retten

Kurz bevor ich Chicago verließ, ging ich zu einem Frisör bei uns in der Straße, ein reiner Männerfrisör, der mir beim Haarschneiden immer wieder erklärte, dass seit Trump die Regierung übernommen hätte, sein Einkommen durch Steuererleichterungen im Laufe der Jahre sich fast verdoppelt habe. Bei meinem letzten Besuch erzählte ich ihm, dass ich nach England übersiedeln wollte. Er hörte zu, reagierte nur mit Kopfnicken sagte nichts. Ich fragte ihn, was los sei, er mache einen betrübten Eindruck.

»Jetzt verlassen sie mich auch noch«, sagte er, »es kommen immer weniger. Die lassen sich alle von ihren Frauen die Haare schneiden, um sich die 20 Dollar zu sparen.«

Dann beschrieb er mit wenigen Worten das Problem der Wirtschaftspolitik Trumps, obwohl er immer zu seinen Unterstützern gehörte. Er zahle immer weniger Steuer, es bliebe ihm immer mehr übrig von dem, was jeder Kunde für das Haarschneiden zahle, aber es würden immer weniger kommen, so dass er jetzt bald weniger verdienen werde als früher.

In der Umgebung des Frisörs verschwanden Restaurants wie ein ›Diner‹, das Pendant zum Wiener Gasthaus, wo es ein hervorragendes Frühstück mit knusprigem Speck und Eiern gab und als Abendessen das klassische ›Meatloaf with Mashed Potatos‹, ähnlich einem faschierten Braten mit Kartoffelpüree. Die griechischen Besitzer, die es drei Generationen führten, verkauften an einen Mexikaner, wo es jetzt billigst Tachos und Enchiladas gibt. Während in den teuren Steak-Restaurants Chicagos kein Platz zu bekommen ist, wo ein Pfund halb durchgebratenes Stück Rindfleisch bis zu 80 Dollar kostet, verschwinden Gaststätten mit guter Qualität für erschwingliche Preise. Neben dem Luxus-Chinesen mit einem zehngängigen Menü für 100 Dollar bietet ein Familienbetrieb einen Mittagstisch mit süß-saurem Fleisch plus Suppe für acht Dollar auf billigen Plastiktellern in einem kalten, schmucklosen Raum mit wackeligen Stühlen und zusammenklappbaren Metalltischen.

Der Konsum teilt sich mehr und mehr in extrem teuer und extrem billig. Bekleidung in Designer-Shops oder Massenware »Made in Bangladesh«. Hotels wie das Four Seasons in Jackson Hole direkt an der Piste ab 700 Euro/Nacht bieten einen Ski-Concierge, der Schi plus Stöcke zum Lift trägt und dort wartet, bis die Schifahrer zurückkommen, während kostengünstige Drei- oder Vier-Stern Hotels aus dem Zentrum in die Umgebung verdrängt werden.

Die Einkommens- und Vermögensunterschiede sind dramatisch gestiegen und erinnern eher an eine feudale Struktur aus vor-demokratischen Zeiten, als an eine moderne, sozial gerechte Gesellschaft. Dem ›Kriegsplan‹ Roosevelts für eine Wirtschaft mit staatlichen Eingriffen folgte die Reduzierung der Ungleichheit der Einkommen der Amerikaner wie nie zuvor und nie danach. Der Begriff ›American Dream‹ wurde oft missverständlich als die Chance interpretiert, sich vom ›Tellerwäscher zum Millionär‹ hoch zu arbeiten, beschrieb jedoch den Aufstieg der unteren Mittelklasse und Arbeiterschaft, ein eigenes Haus zu besitzen, ihre Kinder studieren zu lassen und genügend Ersparnisse für die Pensionszeit zu haben. Einen ähnlichen Plan legen nun die Demokraten für die Post-Trump-Corona Zeit vor. Bidenomics könnte zusammengefasst werde mit dem Slogan: Rettet die Mittelklasse, um Amerika zu retten.

Zuerst erschienen in NEWS. 


Hat Ihnen der Beitrag gefallen?
Dann unterstützen Sie bitte die SCHLAGLICHTER


Über den Autor / die Autorin

Peter Sichrovsky

Klassische Dilettanten-Karriere, wenig von viel und viel von wenig zu wissen, zu können, nach Studium der Chemie Marketing in Pharmaindustrie, dann Journalist, Schriftsteller, Mit-Gründer des Standards, SZ/Stern Korrespondent in Asien, EU-Parlamentarier, die letzten zehn Jahre Industrie-Karriere in Süd-Ost-Asien, 23 mal übersiedelt und nach Wien, Berlin, New York, München, New Delhi, Singapur, Hong Kong, Manila, Los Angeles und Brüssel in Chicago gelandet. Seit September 2017 lebt Peter Sichrovsky in London.

Curriculum Vitae

Publications