WAHLKRAMPF

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Die Wahl der Qual

„Reg den Onkel Dario bitte nicht auf“ weist mich meine Mutter zurecht. Der Onkel Dario ist 79 Jahre alt, trägt das typische Wamperl älterer Herren vor sich her, und nennt einen Blutdruck in schwindelerregender Höhe sein eigen. Dario, der Bruder meines verstorbenen Vaters, weilt gerade auf Besuch bei der Schwägerin, also meiner Mama. In den 70ern ist er gemeinsam mit dem Papa als Gastarbeiter am Südbahnhof angekommen und hat hier viele Jahre am Bau gehackelt, dann zog es ihn wieder zurück in die Heimat. Ich mochte Onkel Dario von klein auf, trotzdem er wie ein Häferl übergehen kann, wenn er sich ärgert.

Wobei, das sich ärgern ist sein liebstes Hobby. Vor allem bei Diskussionen über Politik, da geht er so richtig in Saft. Dann zeichnen sich auf seinem stets roten Blutzer wie zur Warnung blasslila Flecken ab. Und man weiß nicht, soll man mit dem Blutdruckmesser heraneilen, oder gleich mit dem Defibrillator.

Meine Mutter hat wegen der angegriffenen Gesundheit ihres Schwagers sämtliche heiklen Themen in die verbale Tabuzone verbannt. „Komm, Wukkerl“, zeigt dem Onkel Dario ein bissl die Stadt“, sagt sie, und schiebt meine Tochter Mimi und mich aus der Wohnungstüre hinaus. Ich nicke, obwohl ich weiß, dass den Onkel die City so ziemlich powidl ist, er will nur zu Aida in den Ersten, um dort eine fette Cremeschnitte zu verputzen. Mindestens. Vom Arzt hat er strengstes Cremeschnitten-Verbot, wegen Blutdruck und ungesunden Fetten und so. Für den Onkel schlichtweg unverständlich. Über die Dummheit der Ärzte könnte er sich schon wieder stundenlang aufregen und Flecken im Gesicht kriegen. „Der Doktor, der Deppate“, empört er sich dann, und klopft auf seinen Pljeskavica-Friedhof am Bauch, „der sagt, ich werde immer dicker. Gar nicht wahr. Das würde ich doch am Gewand merken. Mein Schal passt mir aber immer noch, und das seit 30 Jahren.“

Das ist halt Grün

Na dann auf zum Cremeschnitten-Ausflug. Mimi und ich verfrachten Onkel Dario ins Taxi. Er nimmt am Beifahrersitz Platz und für die nächsten fünf Minuten macht sich wohltuende Stille im Wagen breit. Mimi, die außerhalb der Ferienzeiten immer herumgrantelt, tippt nervös Botschaften in ihr Handy. So eine WhatsApp-Gruppe aus gefühlten 378 mitteilungsbedürftigen Mädels zu managen ist kein Kindergeburtstag.

„Was ist das für ein Plakat, ein deppates?“ will Onkel Darius plötzlich wissen, als wir an einer roten Ampel halten. Er zeigt zur gegenüberliegenden Hauswand, auf dem die Wahlwerbung der Grünen affichiert ist. „Sei ein Mann, wähle eine Frau“, liest Onkel Dario stockend ab. „Was ist das? Wofür?“

Wahlwerbung, sage ich knapp. Bloß keine Gespräche über Politik, Politik regt Onkel Darius auf. „Warum soll ich eine Frau wählen, nur weil ich ein Mann bin?“ Onkel Dario ist irritiert. „Na, wegen Gleichberechtigung und so“, erklärt ihm die Tochter vom Fonds aus, ohne den Blick von ihrem Endgerät abzuwenden. „Hä?“ Der Onkel schüttelt ungläubig den Kopf. Es ist nur noch eine Frage von Sekunden, bis sich der Zornes-Teint zeigt. „Und warum lacht die Frau so? Die macht dem Kind Angst, das sie da an sich quetscht. Sieht man doch.“ „Das ist halt Grün“, murmelt Mimi.

Feschaks und Cremeschnitten

Im wahlkämpfenden Wien sind es lediglich ein paar Meter bis zum Plakat des roten Konkurrenten. „Was ist das für ein Django?“, poltert Onkel Dario los, „warum zeigt der mit dem Finger auf mich?“ Erkläre das einmal einem fast 80-jährigen Serben, der mit seinem Bild über die Roten noch in der Ära Kreisky festhängt. Der Wahlslogan greift bei ihm auch nur mäßig. „Was soll ich mir holen, und von wem?“, fragt Onkel Dario mehrmals nach, aber so genau kann ich ihm das auch nicht erläutern. Was für ein Glück, dass die zweite rote Plakatwelle weichgespült ist, und einen Bundeskanzler im Designer-Anzug zeigt, der Lehrlingen und Pensionisten zulächelt. Da kennt man sich wenigstens aus.

Dann sind wir schließlich im Ersten angelangt, der Spaziergang zur Aida führt wenig überraschend an etlichen Kurz-Plakaten vorbei. „Tun, was richtig ist“ – ja, diese Aussage findet Onkel Darios Zustimmung. Er nickt versöhnlich. Auch der fesche junge Mann am Plakat gefällt. „Man hätte freilich auch „Kaum drahst Di um, schon stehst verkehrt“ aufs Plakat schreiben können“, lästere ich, „das wäre ebenso gehaltvoll.“

Jetzt ist Onkel Dario wieder verwirrt. „Aber Wukkerl, wen wählst Du denn dann, weißt Du das schon?“ „Die Kommunisten“, antworte ich, „weil bei diesem Test im Internet, welche Partei am besten zu mir passt, ist die KPÖ rausgekommen.“ Onkel Dario bleibt abrupt stehen, starrt mich fassungslos an: „Die Kommunisten? Bist Du verrückt, Wukkerl?“

„Geh Onkel, das ist eh nur Spaß. Alle, die ich kenne, haben auf dieser wahlkabine.at im Internet die Kommunisten als Ergebnis gehabt“ lacht Mimi: „Sogar ich. Wer weiß, vielleicht gewinnen die ja wirklich“. Die Wangen des Onkels ziert bereits ein Hauch lila. „Komm, gemma Aida“, meint Mimi schnell, und zieht Dario in Richtung Konditorei. „Gemma Aida, das wäre endlich einmal ein realistisches Wahlprogramm für Österreich“, denke ich, während ich den beiden folge. Tu Felix Austria, Cremeschnitte.

Über den Autor / die Autorin

Walter Vukovic

Walter „Wukkerl“ Vuković, 44, ist Taxifahrer. Mitten in Wien und zwischen den Welten. Wukkerl hat Migrations-Hintergrund (Vater aus Serbien, in den 70ern als Gastarbeiter nach Wien gekommen, Mutter Österreicherin), ist geschieden und Vater einer Tochter (15).

Von Walter Vukovic