VOM QUERSCHREIBER ZUM QUEREINSTEIGER (1)

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Mein erstes Jahr als Abgeordneter: Ernüchterung und Höhepunkte

Die Angelobung als Abgeordneter des Nationalrates ging mir viel mehr unter die Haut als ich dachte. Nicht nur, dass es ein besonders feierlicher Akt ist, der offensichtlich auch einen 57-jährigen berühren kann. Es war noch viel mehr: Sie fand just am 9. November statt, dem Jahrestag der Novemberpogromnacht. Also am Jahrestag jener Nacht, als 1938 die Synagogen in Wien brannten und hunderte jüdische Menschen ermordet oder in den Tod getrieben wurden. Hier stand ich also und gelobte – als erstes aktives Mitglied der jüdischen Gemeinde Wiens seit der dunklen Zeit des Nationalsozialismus – der Republik Österreich unverbrüchliche Treue. Meine Eltern und Großeltern, sehr traditionell jüdische und zugleich überzeugte Österreicher, hätten es wohl kaum glauben können, wären aber jedenfalls sehr stolz gewesen.

Viele Jahre hindurch hatte ich dafür plädiert, dass sich die junge Generation in der jüdischen Gemeinde in der österreichischen Politik engagieren solle. In Österreich hat sich, insbesondere in den vergangenen 30 Jahren seit der Waldheim-Zeit, viel zum Positiven verändert. Es gibt ein ganz neues Bewusstsein gegenüber der Nazi-Zeit und der aktiven Beteiligung so vieler Österreicher an deren Verbrechen. Der »klassische« Antisemitismus ging deutlich zurück.

Mir schien es für uns Juden hoch an der Zeit die »Seitenout-Linie« zu verlassen und uns am politischen Prozess zu beteiligen, egal in welcher der bestehenden Parteien – und nicht nur in Bezug auf »jüdische Themen«. Durch die Einladung des jetzigen Bundeskanzlers auf der Bundesliste und auch auf der Wiener Landesliste zu kandidieren, konnte ich schließlich selber einmal die Pionierrolle übernehmen.

Gerade von jüdischer Seite kam schnell die Ernüchterung. Dass meine Fraktion, die ÖVP, mit der FPÖ eine Koalition einging, wollten mir einige nicht verzeihen. Wenn mir auch eine große Mehrheit der jüdischen Gemeinde gratulierte, gab es einige sehr lautstarke Kritiker, die mich ganz persönlich angriffen, ja mobbten. Noch ein Jahr später begegne ich Menschen, die mich oft seit meiner Kindheit kennen, die mich nicht einmal mehr grüßen wollen.

Nur einem kleinen Teil von ihnen nehme ich ihre ehrliche Besorgnis ab, angesichts der Regierungsbeteiligung der FPÖ. Schließlich hatte ich selber vor einigen Jahren in einem Zeitungskommentar vor der FPÖ gewarnt. Wichtig war für mich, dass diese Regierung – auf bisher präzedenzlose Art und Weise – in der Regierungserklärung ein ganz klares Statement gegen jede Form von Antisemitismus abgegeben hat, und Bundeskanzler Sebastian Kurz ein mehr als verlässlicher Garant dafür ist, dass dies auch eingehalten wird. Manchmal machte ich mir den Spaß und fragte Empörte, ob sie mich genauso aggressiv angegangen wären, wenn ich bei der SPÖ kandidiert hätte, und diese mit der FPÖ eine Koalition eingegangen wäre. Zumeist bekam ich auf dieses Argument keine Antwort.

Das Verhalten der FPÖ drückt einem dennoch immer wieder aufs Gemüt. Einmal einen großen Schritt nach vorn, zum Beispiel die bemerkenswerte Rede von HC Strache am Burschenschafter-Ball gegen jede Form von Antisemitismus. Dann wieder ein großer Schritt zurück, wie in der Liederbuch-Affäre. Wer hätte gedacht, dass im Österreich des Jahres 2018 noch immer Nazi-Lieder der übelsten Sorte gesungen werden. In den letzten Wochen fand einerseits wieder Vizekanzler Strache die richtigen Worte bei der Geburtstagsfeier der Republik. Andererseits fanden sich doch wieder eine ganze Handvoll scheinbar völlig Unbelehrbarer zu einer Kranzniederlegung am Grab von Walter Nowotny ein. Dabei wird eines Kriegshelden der Nazizeit gedacht. Diese Zeremonie, an der FPÖ Funktionäre teilnehmen, wird bekanntlich auch immer von Neonazis besucht. Befriedigend ist die Tatsache, dass dieses Verhalten von der gesamten ÖVP-Spitze und auch im ÖVP-Parlamentsklub ganz klar abgelehnt wird.

Ein ganz besonderer Höhepunkt war die Israel-Reise des Bundeskanzlers im Juni 2018. Monate intensiver Vorbereitungen machten sich bezahlt: Sebastian Kurz, der Bundeskanzler der Republik Österreich, sprach in der Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem klare Worte zur Verantwortung Österreichs und von Österreichern am Holocaust. Er übertraf damit sogar den damaligen Bundeskanzler Franz Vranitzky, der vor 30 Jahren zum ersten Mal der bis dahin gängigen »Opferthese«, wonach Österreich selber das erste Opfer des Nationalsozialismus war, widersprach.

Vor einem Forum von über 1.000 internationalen Delegierten des American Jewish Committees, der wichtigsten amerikanisch-jüdischen Organisation, betonte der Bundeskanzler das Eintreten Österreichs für die Sicherheit Israels und dessen Existenzrecht als jüdischer Staat und erklärte dies zur Staatsräson Österreichs. Eine historische Aussage, die mit langanhaltenden stehenden Ovationen gewürdigt wurde.

Bist Du enttäuscht – ist die häufigste Frage, die mir dieser Tage nach einem Jahr in der Politik gestellt wird. Erstens nein, ist meine Antwort. Ich bin ja nicht erst gestern auf die Welt gekommen und habe mir naiv, weiß Gott welche großen Vorstellungen gemacht. Ja, natürlich sind 14-stündige Plenarsitzungen verdammt lang. Ist es frustrierend, stundenlang der fast stupiden Wiederholung der immer gleichen Argumente zuzuhören. Wünschte ich mir, dass ab der jeweils zweiten Rede auf die Argumente der Vorredner eingegangen würde und dies möglichst in freier Rede. Das wird es nicht werden.

Sehr viel spannender sind die Beratungen und Diskussionen in den Ausschüssen und noch vielmehr im Parlamentsklub. Im Übrigen arbeiten dort ganz hervorragende Experten für die unterschiedlichen Fachgebiete mit einer unglaublich großen Sachkompetenz und Erfahrung. Ein ganz großer Gewinn! Höchst interessant und hilfreich bei der Umsetzung von politischen Vorhaben, ist der sehr direkte und persönliche Zugang zum Bundeskanzler und den Ministern sowie deren Kabinettsmitarbeiter. Hier lassen sich so manche Ideen ganz direkt und unbürokratisch einbringen.

Was waren also die Schwerpunkte des ersten Jahres meiner Tätigkeit als Nationalratsabgeordneter?

Teil 2: Persönliche Schwerpunkte

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Über den Autor / die Autorin

Martin Engelberg

Mag. Martin Engelberg ist Abgeordneter zum Nationalrat (ÖVP), Psychoanalytiker, Consultant und Coach. Er ist Lehrbeauftragter an der Wirtschaftsuniversität Wien und war viele Jahre Kolumnist der Tageszeitung ›Die Presse‹ sowie Herausgeber der jüdischen Zeitschrift ›NU‹. Darüber hinaus war er lange Zeit Mitglied des Vorstandes der Israelitischen Kultusgemeinde Wien.