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Der romantisierte Konsum

Der israelische Autor Noah Harari beschrieb in seinem Bestseller »Eine kurze Geschichte der Menschheit« recht zynisch das verzweifelte Bedürfnis des modernen Menschen nach Reisen und Urlaub und der Sehnsucht nach Erlebnissen, die als Erinnerungen aufbewahrt erzählt werden können. Doch den Grund für die in der Menschheit wohl einmalige Sucht nach Bewegung konnte er ebenso wenig liefern wie andere Psychologen und Soziologen, die immer wieder mit neuen Theorien kommen, die einander jedoch widersprechen und keine logische Einheit bieten.

Es kann nicht an den Möglichkeiten liegen, denn schon vor Hunderten von Jahren reisten die Adeligen und Wohlhabenden, auch wenn es länger dauerte, und Goethe war ein begeisterter Besucher Italiens, wenn auch für ihn diese Besuche mehrere Monate in Anspruch nahmen. Den reichen Pharaonen des alten Ägypten wäre es nicht eingefallen, die Strände in Nord-Afrika zu besuchen und dort Urlaub zu machen.

Das Reisen in der Jetzt-Zeit hat eine andere Dimension erreicht, das sich vom Bedürfnis nach Erholung längst gelöst hat, es wurde zum absoluten unerreichbaren Statussymbol. Man erinnere sich nur an eine zufällige Begegnung mit jemandem, den man schon einige Zeit nicht gesehen hat, und auf der Straße oder in einem Café begegnet. Nach einer kurzen Begrüßung versucht man einander zu erinnern, was man getan hat, seit man sich das letzte Mal begegnete, und es dauert nur wenige Momente bis man sich anhören muss, wo und wann der oder die gewesen ist, und wo und wann er oder sie vor hat hinzufahren. Da werden keine persönlichen Informationen angeboten, kein Gesundheitszustand des Partners oder der Studienerfolg der Kinder, keine Eheprobleme oder der drohende Verlust des Arbeitsplatzes, dass die monatlichen Raten für Wohnung und Auto kaum mehr zu bezahlen sind, oder der neue Freund der Tochter einfach unerträglich sei. Das erzählbare Leben hat sich reduziert auf die Bewegung, auf das wie weit, wie oft, wie exotisch, wie gefährlich, wie luxuriös, und natürlich mit dem Zusatz wie geschickt und intelligent diese Bewegung ausgesucht, geplant und auch durchgeführt worden ist.

Nicht selten kommt noch ein Zusatz zur Beschreibung der Reise, wie man sich als Reisender – im Gegensatz zu allen anderen Millionen, die unterwegs sind – besonders erfolgreich bewegte. Hat man doch trotz Buchung einer einfachen Kabine auf dem wassertauglichen Bewegungsklo (auch Kreuzschiff genannt) ein Zimmer mit Balkon ergattert, obwohl nur die einfachste Kategorie bezahlt wurde. Hat man doch im Hotel trotz Buchung des einfachsten Zimmers eine Suite bekommen mit Aussicht und Espresso-Maker, und noch ein freies Frühstück dazu. Hat man doch trotz Buchung eines Economy-Tickets ein Upgrade ergattert und dann in den bequemen Sesseln der Business-Class genüsslich über die anderen Passagiere gelächelt, die ein Vermögen für den gleichen Sitz bezahlt hatten.

Bevor noch der Ort und das Erlebnis der Reise beschrieben werden, kommt es zu eitlen Erfolgsmeldungen, wie man das System austrickste oder sich so überzeugend an der Rezeption des Hotels oder vor den Mitarbeitern der Airline am Check-In-Schalter benahm, dass den naiven Unwissenden an den Entscheidungs-Positionen gar nichts anders übrig blieb, als die gewünschte Aufbesserung der Reservierung durchzuführen. Meist lächeln die Erzähler dabei und reißen ihre Augen auf, die Stimme wird etwas lauter, und man setzt sich waagrecht im Sessel des Kaffeehauses auf, als habe man etwas ganz Wichtiges zu berichten.

Als Zuhörer, der eigentlich der zufälligen Begegnung nur Guten Tag sagen wollte, sitzt man verzweifelt und wartet auf den Augenblick der Flucht, der nur durch Höflichkeit und Mitleid ständig verschoben wird, denn es ist mit diesem Teil der Rede noch lange nicht erledigt. Kaum ist das Gegenüber mit der Geschicklichkeit fertig, wie konsumiert was nie bezahlt wurde, kommt der Bericht über das Restaurant, das keiner kannte, und wo keine Touristen hingehen würden. Man habe es durch den Taxifahrer erfahren, er würde dort mit seiner Familie essen und hat den Fahrgast sogar gebeten, es nicht weiter zu erzählen, da man ja ein paar Plätze bewahren möchte, an denen nicht ganze Horden von Reisenden einfallen würden.

Die Bewegung ist die neue Visitenkarte und definiert Identität und Stellung in der Gesellschaft. Wer antworten kann, dass er leider nächste Woche keine Zeit habe, da er in Rom, Paris, oder Hong Kong sei, zeigt wie ein Offizier seine Orden an der Brust. Diskussionen über einen gemeinsamen Abend, der ausgewählt wird als Lücke zwischen Orten, die besucht werden müssen, gelten als eindrucksvoll und verleihen dem freizeitlosen Nicht-Orts-Gebundenen einen Schub nach oben in der Hierarchie der Austauschbaren. Noch schlimmer wird es oft bei Pensionisten, die damit beweisen wollen, wie aktiv und jugendlich sie noch sind, was ihnen durch die Werbung der Reisebüros versprochen wird.

Zu Hause bleiben wird fast schon als Kennzeichen einer beginnenden Depression interpretiert. Fährt einer im Urlaub nicht mehr weg, fängt man an, sich Sorgen zu machen, die Person habe sein Leben aufgegeben und habe zu nichts mehr Lust. Pensionisten, die ihre Aktivitäten in der unmittelbaren Umgebung suchen, werden bemitleidet, entweder als verarmt oder als zu früh zu alt geworden. 

Wer bei einem gemeinsamen Abendessen von Freunden nicht erzählen kann, wo er/sie den letzten Urlaub verbracht hatte und welche Reise geplant sei, sitzt stumm am Tisch der Freunde und versucht sich nicht zu schämen. Was kann er /sie schon erzählen? Dass man im Theater war, in der Oper eine berühmte Sängerin bewundern konnte, einen guten Film während des Filmfestivals gesehen hatte, ein Ticket für eine besonders gut besuchte Ausstellung im Internet ergattert hatte, dreimal die Woche mit Freunden Tennis spielt im Klub und danach mit ihnen ein Bier trinkt, jeden Samstagvormittag einen ehemaligen Arbeitskollegen im Café trifft und mit ihm plaudert. In der Ausbildungsstätte für Zuwanderer einmal die Woche Deutsch unterrichtet und manchmal ein Pensionistenheim besucht, wo ein entfernter Verwandter alleine lebt und man mit ihm eine Partie Schach spielt. Was für ein leeres Leben, sinnlos und unaufgeregt, ereignislos und unwürdig darüber zu sprechen. Was kann so jemand schon erzählen? Wie kann man mit jemanden konkurrieren, der letzte Woche den Machu Picchu in Peru bestiegen hatte oder die Victoria Fälle in Afrika bewunderte? Oder im Kreuzschiff durch die Karibik fuhr mit frischem Hummer um zwei Uhr morgens, weil doch das Schiffsrestaurant 24 Stunden offen ist. 

Manche geben der Reisebranche die Schuld, dass immer mehr Menschen sinnlose Bewegungen als erstrebenswertes Verhalten sehen, doch das sind Ausreden, niemand anderer ist verantwortlich als wir selbst, die wir Planen, Buchen und Reisen, um etwas zu erleben, das berichtet werden kann. Die geplante Erinnerung zwingt uns aus dem Umfeld heraus, reißt uns aus den Möglichkeiten eines sinnvollen Alltags, verhindert ein Nachdenken und eine Ruhezeit zwischen den Aktivitäten, die uns mehr Angst macht als alle möglichen Reise-Unfälle. Wie Harari schreibt, romantisieren wir den Reisekonsum – und prahlen vor verzweifelten Zuhörern, die nur aus Mitleid uns nicht an unsere Lächerlichkeit erinnern.


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Über den Autor / die Autorin

Peter Sichrovsky

Klassische Dilettanten-Karriere, wenig von viel und viel von wenig zu wissen, zu können, nach Studium der Chemie Marketing in Pharmaindustrie, dann Journalist, Schriftsteller, Mit-Gründer des Standards, SZ/Stern Korrespondent in Asien, EU-Parlamentarier, die letzten zehn Jahre Industrie-Karriere in Süd-Ost-Asien, 23 mal übersiedelt und nach Wien, Berlin, New York, München, New Delhi, Singapur, Hong Kong, Manila, Los Angeles und Brüssel in Chicago gelandet. Seit September 2017 lebt Peter Sichrovsky in London.

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