Photo: European Council , CC BY-NC-ND 2.0
„Jetzt wird es richtig teuer“
Dieser Kommentar von mir erschien bei manager magazin online:
Die einst als mächtigste Frau Europas – wenn nicht der Welt – gefeierte Bundeskanzlerin ist spätestens seit dem letzten Wahlsonntag eine Politikerin auf Abruf. Was die Gegner ihrer Politik freuen mag, dürfte für uns alle sehr teuer werden. Droht doch erneut erheblicher wirtschaftlicher Schaden als Preis für den Kampf um den Machterhalt. Bei Merkel schon Routine. Erinnert sei an diese Ereignisse:
- Die überstürzte Energiewende nach dem Atomunfall in Japan im verzweifelten Versuch, die Stimmung vor den Wahlen in Baden-Württemberg noch zugunsten der CDU zu drehen, gelang zwar nicht, dennoch zahlen wir dank dieser Entscheidung die höchsten Strompreise Europas. Schätzungen gehen von bis zu einer Billion Euro Gesamtkosten aus. Zugleich verfehlen die Klimaziele und müssen folglich mit noch mehr staatlichen Zwangsmaßnahmen rechnen.
- Das Verweigern einer Lösung für die griechische Staatsschuldenkrise vor der Wahl in Nordrhein-Westphalen (die dennoch für die CDU verloren ging), verbundenen mit dem Fehlen eines eigenen Konzeptes, führte dazu, dass unter Bruch aller europäischen Vereinbarungen eine „Rettung“ inszeniert wurde, die vor allem von uns Deutschen finanziert wird. Der damalige französische Präsident Sarkorzy nutze mit dem ebenfalls aus Frankreich stammenden Präsidenten der EZB Trichet die Schwäche und Planlosigkeit der deutschen Regierung, um vor allem die eigenen Banken zu retten. Französische Banken reduzierten ihr Risiko in dem Land deutlich zulasten der deutschen Steuerzahler.
2015 war es die Angst vor schlechten Bildern im Fernsehen und die Furcht als „gefühllos“ gebrandmarkt zu werden, die zu der Entscheidung führte, die deutschen Grenzen offen zu lassen und eine Zuwanderung zu gestatten, die eine nachhaltige Belastung für Generationen bedeutet. Schätzungen gehen auch hier von Kosten in der Größenordnung von einer Billion Euro und mehr aus.
Die Liste der Entscheidungen aus rein machttaktischen Gründen mit erheblichen finanziellen Folgen für Generationen ließe sich fortsetzen: von Rente mit 63 über den Mindestlohn bis zum politisch beförderten Verfall von Bildungswesen und Infrastruktur. Wie schlecht die Bilanz der letzten zwölf Jahre mit Blick auf Wohlstandssicherung in Deutschland ist, habe ich bereits vor der Wahl an dieser Stelle zusammengefasst.
Der größte Sch(r)eck kommt noch
Die größte Belastung kommt jedoch jetzt auf uns zu. Nachdem die deutsche Regierung sich seit acht Jahren weigert, die Krise der Eurozone an der Wurzel zu packen, bietet sich in den kommenden Monaten eine einmalige Chance für Frankreich, die Eurozone nach eigenem Gusto umzugestalten und die Kosten dabei elegant auf uns zu verschieben. Es treffen
• französische Strategie und ein machtvoller Präsident, der anscheinend weiß, was er will,
auf
• deutschen Opportunismus, vertreten durch Politiker, denen es nur darum geht, die Macht zu erhalten (Merkel) oder an die Macht zu kommen (Grüne, FDP). (Wer an Letzterem zweifelt, der möge die erstaunliche Flexibilität von Wolfgang Kubicki im aktuellen SPIEGEL studieren: „Wir würden Investitionen vergemeinschaften – und nicht die Schulden“.)
Getrost dürfen wir angesichts dieser Lage davon ausgehen, dass das finanzielle und ökonomische Desaster in der Eurozone sich verschärft und vor allem wir die Leidtragenden sind.
Die ungelöste Eurokrise
Zunächst lohnt es sich, daran zu erinnern, warum es überhaupt eine Eurokrise gab, bzw. immer noch gibt. Kurz gefasst passierte Folgendes:
- Mit der Einführung des Euro sanken überall in Europa die Zinsen auf deutsches Niveau.
- Da die Inflationsraten zum Teil noch deutlich höher waren, lohnte es sich, Kredite aufzunehmen. Dieses Geld wurde überwiegend in Immobilien investiert.
- Der dadurch ausgelöste Boom führte zu Konjunkturaufschwung mit steigender Beschäftigung in den heutigen Krisenländern und damit auch zu steigenden Löhnen.
- Als die Blase platzte, stellte sich heraus, dass Immobilienpreise auch fallen können, dass das Bankensystem insolvent und dass das Lohnniveau vor allem im Vergleich zu Deutschland nicht wettbewerbsfähig ist.
Notwendig wäre in einer solchen Situation:
- eine Reduktion der zu hohen staatlichen und privaten Schuldenlast
- eine Sanierung der Banken
- eine deutliche Anpassung der Lohnkosten in den Krisenländern nach unten.
Nichts, aber auch gar nichts davon ist in den letzten Jahren erfolgt. Im Gegenteil: Die Schulden von Staaten und Privaten liegen in der Eurozone – und dabei vor allem in den Krisenländern – über dem Niveau von 2007. Die europäischen Banken sitzen weiterhin auf einem Berg fauler Forderungen und Schätzungen gehen in die Größenordnung von 1000 Milliarden Euro, die fehlen. Auch die Wettbewerbsfähigkeit hat sich zwischen den Ländern nicht angenähert.
Schuld daran trägt gerade auch die deutsche Bundesregierung, die sich konsequent geweigert hat, zu fordern und umzusetzen, was dringend erforderlich ist: ein Schuldenschnitt, verbunden mit einer Neuordnung der Eurozone.
Der Grund für die Weigerung ist klar: Wo Schulden verschwinden, verschwinden auch die damit im Zusammenhang stehenden Vermögen. Und da wir der größte Gläubiger in der Eurozone sind, würden unsere Kapitalsammelstellen (Versicherungen, Pensionskassen, Banken) die größten Verluste realisieren. Und damit wir alle. Da ist es doch viel bequemer, der EZB die Last zuzuschieben, mit immer mehr und immer billigerem Geld die Illusion der Zahlungsfähigkeit aufrechtzuerhalten. Da ist es mehr als heuchlerisch, danach über die tiefen Zinsen zu klagen.
Derweil pflegen wir in Deutschland das Narrativ „Gewinner des Euro“ zu sein. Gemessen wird dieser Nutzen an den erheblichen Exportüberschüssen, die wir im Euroraum erzielen. Vergessen wird dabei allerdings, dass dieser Nutzen innerhalb Deutschlands ungleich verteilt ist und – was viel schlimmer ist – wir im Gegenzug zu unseren Exportüberschüssen entsprechende Forderungen gegen die schon heute überschuldeten Länder aufbauen. Sichtbarstes Symptom sind die Target2-Forderungen, die mit über 850 Milliarden Euro mehr als 10.000 Euro pro Kopf der Bevölkerung ausmachen. Diesen Kredit gewähren wir zins- und tilgungsfrei, ohne Sicherheit. Ökonomisch betrachtet, könnten wir unsere Autos und Maschinen auch verschenken. Die Gründe, warum wir der Verlierer des Euro sind, habe ich hier zusammengefasst.
Macron denkt an Frankreich
Mit diesem falschen Narrativ machen wir uns anfällig und erpressbar für die (verfehlten) Ideen zur Sanierung der Eurozone über das Budget des deutschen Steuerzahlers. Denn nur darum geht es bei den Überlegungen des französischen Präsidenten, so elegant und eloquent er diese Visionen auch vorträgt. Dies wird durch jegliches Fehlen einer eigenen Vision auf unserer Seite erschwert. Bei uns genügt es Politikern, den vermeintlichen Nutzen zu betonen und an die historische Verantwortung zu erinnern, um deutschen Wohlstand im „europäischen Interesse“ zu verschleudern.
Frau Merkel wird im Rahmen der nun beginnenden Koalitionsverhandlungen wie schon in der Vergangenheit bereitwillig die Positionen der Koalitionspartner – diesmal also von Grünen und FDP – übernehmen. Alle wollen dabei von der Popularität und dem positiven Image des neuen französischen Präsidenten profitieren. Wie stark dies auch in Deutschland verfängt, lässt sich an der Titelgeschichte des SPIEGEL schön ablesen. Auch dort werden im Interview die finanziellen Folgen für Deutschland und deren Begründung nicht hinterfragt.
Dabei würde es sich lohnen, endlich aufzuwachen bei uns. Alle Vorschläge Macrons zielen im Kern darauf ab, über eine vermehrte Umverteilung zwischen den Ländern – konkret also von Deutschland nach Italien, Frankreich, Spanien … – die Staatsausgaben zu finanzieren und die Banken zu sanieren. Nichts anderes steht hinter den Begriffen von Eurozonen-Finanzminister, Eurozonen-Budget und Vervollständigen der Bankenunion. Idealerweise noch flankiert von einem Eurozonen-Parlament mit einer strukturellen Mehrheit der Nehmerländer. Das ließe die kühnsten Träume linker Vordenker wie Thomas Piketty und Janis Varoufakis Realität werden.
Doch damit nicht genug. Nicht nur sollen die Schulden perspektivisch vergemeinschaftet und eine anhaltende Umverteilung realisiert werden. Zusätzlich geht es darum, die Verschuldungskapazität zu erhöhen. Die Franzosen erkennen richtig, dass wir den Point of no Return mit Blick auf staatliche und private Verschuldung schon lange hinter uns gelassen haben, und es nur durch eine weiter steigende Verschuldung möglich ist, das System am Laufen zu halten. Deshalb muss Deutschland mit seiner relativ guten Bilanz (geringe offizielle Verschuldung, faktisch allerdings Schulden über dem Niveau von Italien) die Grundlage für weitere Schulden liefern. Noch deutlicher kann man nicht machen, wie dumm es ist, im eigenen Land auf Investitionen zu verzichten, nur um die Früchte der (vordergründig) solideren Bilanz mit Ländern, die es wie Frankreich machen, zu teilen.
Kommt es dazu – und daran kann leider kein Zweifel bestehen, egal wie es verpackt wird – wird Frankreich der große Gewinner sein. Nicht nur würden die eigenen Finanzprobleme zulasten Deutschlands gelöst. Viel wichtiger wäre der dann unstrittige Platz Frankreichs als Anführer einer EU, in der auf Umverteilung und Schuldenmachen gesetzt wird.
Sondersteuer auf Immobilien
In diesem Zusammenhang ist es noch bedenklicher, dass die deutschen Medien von einem wahren Hammer in der politischen Diskussion keine Notiz genommen haben. Das Handelsblatt berichtete über die Vorschläge des Macron-nahen Think Tanks France Strategie zur Lösung der Euroschuldenkrise. Interessant an den Überlegungen ist, dass sie sich ausschließlich auf den Schuldenaspekt der Eurokrise fokussieren, was nochmals unterstreicht, dass die Wiedergewinnung von Wettbewerbsfähigkeit und die Schaffung von Wohlstand keinen Platz auf der europäischen Agenda haben.
Geht es nach France Strategie soll es neben Umverteilung und gemeinsamen Schuldenmachen eine Sondersteuer auf Immobilien in der Eurozone geben, um so die Staatsschulden abzubauen. Dabei sind die Belastungen in einer Größenordnung, die schon fast enteignungsähnliche Züge tragen. Dies erinnert fatal an die Hauszinssteuer nach der Hyperinflation in der Weimarer Republik der 1920er-Jahre.
Es ist nicht der erste Vorschlag, über eine Vermögensabgabe die Schuldenkrise zu lösen. Ich selbst habe eine solche Entwicklung bereits 2011 prophezeit und McKinsey hat sie in einer Studie im Jahre 2015 als eine der möglichen Optionen gesehen. Pikant ist nun, dass es sich um einen Think Tank handelt, der das Ohr des Präsidenten zu haben scheint und die Studie zu einem Zeitpunkt veröffentlicht wird, zu dem die Verhandlungen für die Zukunft der Eurozonen beginnen.
Die Größenordnungen, um die es geht, wären erheblich. France Strategie irrt, wenn nur eine Lösung für die Staatsschulden vorgelegt wird. Letztlich geht es darum, den Überhang staatlicher und privater Schulden zu bereinigen, der in der Eurozone mehrere Billionen Euro umfassen dürfte.
Vielleicht geht es den Autoren – und der französischen Führung – nur darum, ein Angstszenario aufzubauen, um eine stillschweigende Zustimmung der deutschen Regierung zum Alternativvorschlag des Think Tanks zu bekommen: zur Monetarisierung der Schulden über die Bilanz der EZB. Die EZB würde also die faulen Schulden aufkaufen und dauerhaft auf der Bilanz halten oder gar zu einem zukünftigen Zeitpunkt annullieren. Die Folgen sind offen und unter Volkswirten heftig umstritten. Während die einen es für gefahrlos halten, fürchten die anderen eine Hyperinflation.
Klar ist nur eines: Sollen die Schulden aus der Welt geschaffen werden, sinken zwingend auch die Vermögen – entweder direkt über Zahlungsausfälle oder Besteuerung oder indirekt über die dann massive Entwertung des Geldes.
Deutschland Zahlmeister und Sündenbock
Die Rolle, die Deutschland in dem Spiel zugedacht wird, ist nicht erfreulich: Zahlmeister und Sündenbock zugleich. Zahlmeister, weil wir über Transfers, Schuldenvergemeinschaftung und Sondersteuern die reicheren Länder stützen sollen. Sündenbock, weil jede künftige Krise in der Eurozone unserer mangelnden Solidarität angelastet wird.
Die sich abzeichnende künftige Regierung in Deutschland macht wenig Hoffnung auf ein besseres Ergebnis. Mit dem Ziel, kurzfristige Schmerzen zu verhindern und vordergründig Erfolge zu erzielen, wurden in den letzten Jahren kostspielige Fehlentscheidungen getroffen. Diese Tendenz dürfte sich in den kommenden Jahren fortsetzen, dient es doch dem Machterhalt.
Dieser Beitrag erschien zuerst auf beyond the obvious. Die Veröffentlichung erfolgt mit freundlicher Genehmigung des Autors.
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