TYPISCH…

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Verallgemeinerung als politische Waffe

In Mainz wurde ein 14-jähriges Mädchen, das aus einer jüdischen Familie stammte, wahrscheinlich von einem Mann aus dem Irak vergewaltigt, ermordet und verscharrt. Der Mann flüchtete nach der Tat unter falschem Namen in den Irak, begleitet von seiner ganzen Familie, fünf Kindern und Großeltern, insgesamt acht Personen. Nun wurde er im nördlichen Irak verhaftet.

Das Ereignis provozierte in Deutschland die unterschiedlichsten Diskussionen, die nicht enden wollen und extrem widersprüchlich ablaufen. Da gibt es die einen, für die es ein Versagen der Flüchtlingspolitik symbolisiere und die falsche Strategie der »offenen Türen«, und die nach einer politischen Verantwortlichkeit rufen. Die andere Seite des politischen Spektrums verurteilt zwar das Verbrechen, sieht darin jedoch keinen Zusammenhang mit der Flüchtlings-und Asylpolitik Deutschlands und verweist auf die Tausende, die sich angeblich völlig problemlos integrieren würden.

Der Mord wurde wie so viele andere Verbrechen von Flüchtlingen zu einem politischen Spektakel deformiert und für die eigene Message benutzt. Die Betroffenen und das Opfer sind als Personen nicht mehr vorhanden. Das Wort »Empathie« wurde längst aus der deutschen politischen Diskussion verbannt. Ein paar mitleidige Worte, vielleicht formuliert man seine Erschütterung und Betroffenheit mit nichtssagenden, klischeehaften Formulierungen, doch das war’s dann schon. Nach der zappeligen Einleitung kommt die eigentliche Botschaft, die sich meist je nach Verallgemeinerung oder Individualisierung auf einer »links-rechts-Skala« einordnen lässt.

Über die Flucht der Familie des mutmaßlichen Täters in das Land, aus dem sie nach Deutschland geflohen sind und um Schutz und Aufnahme ersucht hatten, ist bereits viel geschrieben worden, ebenso über die misslungene Ausweisung, über das gerichtliche Verfahren, das dem Kriminellen von Helfern angeboten wurde, um der Abschiebung zu entgehen usw., usw. Ich will hier nicht die Wiederholung der Wiederholung auflisten. Die Tatsache alleine, dass ein Mörder in das Land flüchtet, aus dem er flüchtend als Flüchtling aufgenommen wurde, zeigt die Absurdität und Widerwärtigkeit eines verlogenen Flüchtlings-und Asylsystems, das Betrügern hilft, um den Betrogenen das Gefühl der Retter zu vermitteln, die sich damit zwar selbst belügen, aber scheinbar kein Problem damit haben.

Doch das Verbrechen zeigt auch ein ganz anderes Problem einer modernen Gesellschaft: Das Problem der Generalisierung. Für den Begriff der Generalisierung gibt es Dutzende Definitionen, von der Philosophie, insbesondere der Logik, über die Psychologie bis zur Mathematik, der Verhaltenslehre und Gesellschaftstheorie. Die Verallgemeinerung entzieht sich dennoch den meisten Gesetzen und wird oft willkürlich strukturiert, betont oder verneint. In der politischen Auseinandersetzung hat sich die Allgemeingültigkeit allerdings von jeder Logik verabschiedet. Hier wird sie zur Bestätigung eines Urteils benutzt, das man längst vor dem Einzelfall gefällt hat, und ein bestimmtes Ereignis dann nur noch als wiederholende Bestätigung der immer wieder formulierten Verallgemeinerung erkannt wird.

Nehmen wir zwei Fälle, die nichts mit einander zu tun haben. Das kriminelle Verhalten einzelner Flüchtlinge und die rechtsextremen Aussagen einzelner FPÖ-Politiker. Die Generalisierung und Allgemeingültigkeit auf der Grundlage eines oder mehrerer Verhaltensweisen wird der politischen Positionierung des Urteilenden untergeordnet, und nicht dem Prinzip der Logik oder Mathematik.

Wie viele Morde und andere Delikte von Asylsuchenden berechtigen zur Verallgemeinerung, dass Flüchtlinge eher kriminell veranlagt seien und sich eher krimineller verhalten als die Bewohner eines Landes, die schon seit ewig dort leben? Wie viele rechtsextreme Aussagen, Liederbuchtexte und Verharmlosungen der Nazizeit von FPÖ-Funktionären berechtigen zu dem Vorwurf, dass dieses Verhalten typisch für Vertreter dieser Partei sei?

Verfolgt man die Individualisierung und Verallgemeinerung in beiden Fällen durch Vertreter verschiedener politischer Parteien oder Gruppen, so ergibt sich ein gewisser Zusammenhang. Für manche, für die der Mord an dem 14 Jährigen Mädchen typisch für das hohe kriminelle Potential der Flüchtlinge ist, sind rechtsextreme Liedertexte Ausnahmeerscheinungen und haben nichts mit der Mehrheit der politisch Aktiven in der FPÖ zu tun. Anderseits verteufeln andere, die in der Ermordung des Mädchens nur die Tat eines Einzelnen sehen und die große Mehrheit der Asylsuchenden und Flüchtlinge in Schutz nehmen, die rechtsextremen Verhaltensweisen Einzelner als typisch für eine Gesinnung, die in der FPÖ weit verbreitet sei.

Hier widerspricht sich die Logik ohne jetzt das philosophische Lehrbuch darüber zur Hand zu nehmen, sondern es geht eher um das zumutbare Verständnis der Verallgemeinerung. Die Generalisierung kann nicht zur Willkür reduziert werden, um die eigenen Vorurteile zu verstärken. Was für den einen vielleicht »typisch« ist, ist es für den anderen überhaupt nicht, jedoch nicht wegen Anzahl der Fälle, ihrer Ähnlichkeiten oder einer gewissen Regelmäßigkeit, sondern weil es der politischen Vorstellung ent- oder widerspricht.

Verallgemeinerung ist eine der effektvollsten politischen Waffen in der heutigen Zeit. In der ständigen Gegenwart von social media kann ein einzelnes Ereignis durch extrem weite Verbreitung und pointierte Formulierung ein Image innerhalb kürzester Zeit aufbauen oder zerstören. Ein Foto, eine Geste, eine unüberlegte Aussage, ein kurzer Satz, eine Bemerkung, die falsche Hose, das falsche Kleid, oder die falsche Farbe des T-Shirts werden zur Grundlage einer Generalisierung, die nicht mehr aufzuhalten ist und wie eine Lawine alles verschüttet.

Typisch für die moderne Kommunikation ist die Tatsache, dass man selbst auswählen kann, was typisch sein soll – solange man über die Mittel und Methoden verfügt, es entsprechend zu Generalisieren. Der genauen Definition steht das undifferenzierte Verhalten gegenüber, das ein Pauschalurteil ermöglicht. Bis man endlich alles »in einen Topf werfen kann«, dauert es heute nicht lange, auch wenn dann »alles nur in den eigenen Topf passt«.

Falsche Verallgemeinerungen und naives Pauschalieren sind die Grundlagen für Vorurteile, Rassismus, Frauenfeindlichkeit und Antisemitismus. Es gibt dafür keine moralische Berechtigung, weder für die Hetze gegen Nicht-Religiöse, Andersdenkende, Flüchtlinge und Ausländer, noch für einen absurd-lächerlichen sogenannten Antifaschismus gegen Konservative und Rechts-Konservative. Wer den »Nazi« in jedem politischen Gegner entdeckt, handelt und denkt nicht anders als der Rassist und Antisemit. Wer in jedem Flüchtling und Asylsuchenden einen potentiellen Verbrecher fürchtet, sollte bei den antifaschistischen Aufmärschen der Linksextremen mitgehen. Für hasserfüllte Verallgemeinerungen kann es keine moralische Rechtfertigung geben.

Soweit die logische und intellektuelle Ebene der Diskussion, doch es existiert noch eine andere Dimension, die des Lebensgefühls, des Alltags, und hier ergeben sich gravierende Unterschiede zwischen den beiden erwähnten Beispielen. Der negative Einfluss auf das tägliche Leben durch die Flüchtlingskrise ist nicht mehr zu leugnen. Extreme Sicherheitskontrollen vor jüdischen Einrichtungen, Barrieren vor Weihnachtsmärkten, getrennte Badetage für Frauen und Männer in öffentlichen Bädern und eine katastrophale Schulsituation sind nur einige wenige der vielen Beispiele.

Dazu kommt das Problem der Kriminalität. Staatliche Stellen mögen vielleicht versuchen zu beruhigen, mit Statistiken, die einen generellen Rückgang der Kriminalität nachweisen, doch eine genauere Untersuchung krimineller Verhaltensweisen, wie z.B. Angriffe auf Frauen und auf Mitglieder bestimmter Religionsgemeinschaften zeigen eine Konzentration bei einzelnen Bevölkerungsgruppen, die in einer Gesamtstatistik nicht erkennbar sind. Weiters die Konflikte der Flüchtlinge untereinander, die Attacken gegen Christen unter den Asylsuchenden, die tödlichen Angriffe gegen Muslime, die die Religionsgesetze weitgehend ignorieren und zum Beispiel die Fastenzeit nicht einhalten.

Für die kriminelle Energie bestimmter Gruppen unter den Flüchtlingen werden dann sehr schnell kulturelle Bedingungen als Entschuldigung angeboten, wie das Männerbild in den muslimischen Familien, die judenfeindliche Tradition und die schrecklichen Erlebnisse während kriegerischer Auseinandersetzungen wie in Syrien. Kann also die Generalisierung nicht mehr widerlegt werden und kommt es zu einer berechtigte Verallgemeinerung und zu einem tatsächlich »typischen« Verhalten zumindest bei einem großen Prozentsatz innerhalb dieser Gruppe, werden von den Verteidigern absurde Begründungen vorgebracht, um jegliche Eigenverantwortung zu relativieren.

Übertragen wir das auf unser anderes Beispiel – die rechtsextremen Verhaltensweisen von FPÖ-Vertretern – so könnte man argumentieren, die vorgebrachte Verallgemeinerung müsse auch unter der Berücksichtigung der kulturellen Tradition dieser Familien diskutiert werden. Es ist durchaus verständlich, dass ein Sohn oder Enkel einer Familie, die sich wie die Mehrheit der Österreicher für die Nationalsozialisten begeisterte, unter dem Einfluss einer gewissen »kulturellen Tradition« stehe, die zwar politisch und moralisch zu verachten sei, aber sein Verhalten teilweise entschuldige – wie der Antisemitismus und die Frauenfeindlichkeit innerhalb der muslimischen Familien. Den Aufschrei und die Empörung der »Antifaschisten« habe ich bereits in den Ohren….

Am Ende all dieser Überlegungen steht man vor vielen Toren und weiß nicht, welches das richtige ist, durch das man durchgehen soll, um den Weg zur Wahrheit zu finden. Sind Flüchtlinge kriminell, FPÖ-Vertreter Nazis, Engländer versoffen, Italiener laut, Deutsche humorlos, Österreicher unfreundlich, dicke Männer gemütlich, dünne Frauen hysterisch?

Einstein meinte dazu, der gesunde Menschenverstand sei die Summe aller unserer bis zum 18. Lebensjahr angesammelten Vorurteile…

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Über den Autor / die Autorin

Peter Sichrovsky

Klassische Dilettanten-Karriere, wenig von viel und viel von wenig zu wissen, zu können, nach Studium der Chemie Marketing in Pharmaindustrie, dann Journalist, Schriftsteller, Mit-Gründer des Standards, SZ/Stern Korrespondent in Asien, EU-Parlamentarier, die letzten zehn Jahre Industrie-Karriere in Süd-Ost-Asien, 23 mal übersiedelt und nach Wien, Berlin, New York, München, New Delhi, Singapur, Hong Kong, Manila, Los Angeles und Brüssel in Chicago gelandet. Seit September 2017 lebt Peter Sichrovsky in London.

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