TEUFLISCHE REISEN

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Tourismus der besonderen Art

Es gibt sie noch, diese Lücken im internationalen Tourismus, die selbst für die härtesten Abenteuer-Junkies noch eine Herausforderung sind, und nur wenige sich in diese Gebiete wagen. Nur ein paar Reisebüros bieten hier organisierte Touren, ausgesuchte Reiseleiter wagen sich in die Gegenden, und kein Hotel ist über die üblichen Buchungs-Web-Pages zu finden. Hier ein paar Beispiele für die ganz Mutigen:

Tapón del Darién – Panama

Der Panamericana, die längste Straße der Welt, beginnt in Alaska und endet in Feuerland, oder andersrum, je nachdem welche Richtung man bevorzugt. Wenn man sich beeilt, kann man es in etwa 100 Tagen schaffen, echte Genießer nehmen sich dafür mindestens ein Jahr Zeit, um die Länder in Nord- Mittel- und Südamerika kennenzulernen.

Eine durchgehende, gut ausgebaute Straße, mit jedem normalen Fahrzeug zu befahren, wenn da nicht dieses winzige Stück Urwald wäre zwischen Mittel- und Südamerika, zwischen Panama und Kolumbien, wo bisher alle Versuche, die Lücke mit einer Straße zu schließen, gescheitert sind.

Das »Darièn-Hindernis« – wie es auf deutsch heißt – ist eine 110 km breite Lücke in einem Gebiet mit dichtem Regenwald, hohen Berge und Flüssen, wo es weder Straßen, noch Städte, noch Elektrizität gibt. Wer es wagt, von Panama nach Kolumbien auf dem Landweg alleine diese Lücke zu überwinden, hat wenig Chancen, am Ziel der Reise anzukommen. Die Gegend wird von Guerillas kontrolliert, die das Fehlen einer kontrollierten Straße und eines Grenzüberganges für den Drogenhandel nutzen. Ein paar Wagemutige haben es dennoch geschafft, den Urwald zu durchqueren und zeigen stolz ihre Fotos auf Social Media.

In dem gesamten Gebiet leben etwa 2000 Einheimische, die sich mit Booten fortbewegen und den Regenwald meiden. Auf dem Landweg hat es zum ersten Mal eine Gruppe in den 60-iger Jahren geschafft. Für die 110 Kilometer benötigten sie fünf Monate und oft gab es Tage, an denen sie nicht mehr als 100 oder 200 Meter pro Stunde weiterkamen. Dem ersten TV-Team, das die Reise versuchte, erklärte der zuständige Militärkommandant, es gäbe im Urwald Indianer, die Kokain produzieren, denen könne man vertrauen, aber auf keinen Fall den Händlern, die es ihnen abkaufen.

Ein paar verwegene Reisebüros bieten dennoch Expeditionen in diese Region für besonders Abgehärtete, denen in einem Vorbereitungskurs das Verhalten gegenüber den Kokain-Händlern erklärt wird.

Sakha Republic – Russland

Irgendwo im Nordosten von Sibirien liegt die Provinz Sacha, etwa so groß wie Indien, mit kaum mehr als einer Million Einwohnern, das heißt, wem die bekannten Urlaubsorte zu überfüllt sind, und wer sich nach mehr Einsamkeit sehnt, kann dort Tage und Wochen herumfahren ohne je einen Menschen zu sehen. Viele der Berge und Seen, die in den kurzen Sommern eine wilde und bunte Vegetation zeigen, wurden noch nie besucht und sind nicht erschlossen. Die wenigen Touristen, die sich dort hinwagen, treffen manchmal auf Nomaden, aber auch das lässt sich weder planen noch vorbereiten.

Dort leben die Jakuten, die Ewenken und Tataren, und viele von ihnen ziehen als Nomaden herum ohne einen festen Wohnsitz. Außer der Jagd und einige Rentieren, die gezüchtet werden, gibt es zwar eine Menge Bodenschätze, die jedoch wegen der extremen Temperaturen kaum gefördert werden können.

Kältestes Dorf der Welt ist Oimjakon mit der Tiefsttemperatur letzten Winter von -62°C. Der Fotograf Amos Chapple, den seine Zeitschrift vor ein paar Jahren für eine Reportage hingeschickt hatte, meinte, dass man sich den ganzen Tag erschöpft und krank fühlen würde wegen der extremen Kälte. Die einzigen Bewohner, die er auf den Straßen traf, waren meist Betrunkene, die nicht mehr den Weg nach Hause fanden. Einmal hatte er vergessen, seinen Mund zu schützen und der Speichel auf den Lippen fror sofort. Die Bewohner sprachen ständig von »Russki Chai«, den sie zu sich nehmen würden, was eigentlich Russischer Tee heißt, dort jedoch das Wort für Vodka sei.

Zu empfehlen sei dann noch die Halbinsel Kamtschatka mit der größten Dichte an Braunbären, die meistens ausgehungert von den langen, kalten Wintertagen sehnsuchtsvoll auf die wenigen Touristen warten. Russische Reiseveranstalter bieten ein paar wenige Touren in den Sommermonaten durch dieses Gebiet. Im Winter ziehen ein paar Fanatiker durch die Steppe, die bereit sind, bei Minus-Graden bis zu -60°C und mehr in Zelten zu übernachten.

Gangkhar Puensum – Bhutan

Über ein schwer zugängliches Tal in Bhutan erreicht man die letzten noch nicht bestiegenen Berge des Himalayas, die die Grenze zu China bilden. Niemand weiß genau wie hoch sie sind, keiner hat den Gipfel des höchsten Bergs unter ihnen, dem Gangkhar Puensum, je erreicht, und die ganze Berggruppe ist völlig unberührt.

Bhutan hat 1994 ein Gesetz erlassen, das eine Besteigung von Bergen über 6.000 Meter verbietet, da dies die Götter stören könnte, die dort beherbergt sind. 1998 bekam eine japanische Klettergruppe die Erlaubnis der Chinesen, von deren Seite den Aufstieg zu wagen, die Expedition wurde jedoch in letzter Minute abgeblasen, da man politische Probleme mit Bhutan befürchtete. Die Gruppe bestieg daraufhin den Nachbar-Berg, Liankang Kangri, später als Gangkhar Puensum Nord bezeichnet und errechnete eine Höhe von 7.535 Metern. Von dort aus wurde der Gangkhar Puensum gemessen und mit 7.570 zum höchsten Berg Bhutans erklärt. Sein voller Name bedeutet: Weiße Spitze der drei spirituellen Brüder.

1980 gab die chinesische Regierung Reinhold Messner die Erlaubnis, die unerforschten Berge zu besteigen, doch er lehnte ab und sagte, eine Eroberung dieser heiligen Berge würde bedeuten, man versuche die Seelen der Bewohner von Bhutan zu erobern.

Etwas weiter im Westen liegt der Muchu Chhish Berg, mit seinen 7.452 Metern einer der letzten Berge des Himalajas, der noch nicht erobert wurde. Vor ein paar Jahren versuchte es der bekannte britische Bergsteiger Pete Thompson, doch auch er musste bei etwa 6.000 Metern umkehren.

Die heiligen Berge Bhutans darf man zwar nicht besteigen, aber für besonders Mutige, denen der Semmering zu überfüllt ist, gibt es die Möglichkeit, sie mit einer dreiwöchigen Expedition zu umkreisen. Auch hier gibt es weder Straßen, noch Hotels, keine Elektrizität und auch kein Internet.

Fiordland – Neuseeland

An der Südwest-Spitze der südlichen Insel von Neuseeland liegt ein Nationalpark, der den wenigen Touristen, die ihn erreichen, eine wundersame Landschaft bietet, mit Wasserfällen, Flüssen und Gletschern, keinen Straßen und keinen Ortschaften. Das Gebiet ist nur zu Fuß erreichbar, wobei es etwa 50 Kilometer sind, die man sein Zelt und Essen schleppen muss, bis ins Zentrum des Nationalparks. Jene, die es schafften, schwärmen jedoch von einer der letzten unberührten Landschaften, mit fischreichen Gewässern, glasklaren Flüssen, Gebirgsbächen und Braunbären, die einen vor dem Zelt in der Früh begrüßen.

Milford Sound an der Westküste des Nationalparks gilt als einer der schönsten Fjorde der Welt und ist nur nach einem tagelangen Treck über Berge, Täler und Seen erreichbar. Mehrere Male wurde er zum schönsten, touristischen Ort von den verschiedensten Reisemagazinen gewählt. Die Insel selbst wurde erst im 13. Jahrhundert von Einwohnern Polynesiens besiedelt und 1642 vom holländischen Forscher Abel Tasman entdeckt.

Für ganz Mutige gibt es noch die vergessene kleine dritte Insel Neuseelands, Stewart Island, auf der offiziell 381 Menschen in dem einzig bewohnten Ort Oban eben. Zwei Siedlungen, die im 19. Jahrhundert gegründet wurden, Port Pegasus und Port William sind heute verlassene Geisterstädte. Auch Stewart Island ist eines der letzten unberührten Naturwunder der Welt, wo sich Vegetation und Tierwelt völlig unbeeinflusst entwickelt haben, ein Paradies für Naturliebhaber, die ungestört Wandern und Bergsteigen wollen.

Son Doong-Höhle – Vietnam

Die Son-Đoòng-Höhle (Bergflusshöhle) liegt im Nationalpark Phong Nha-Kẻ Bàng in Vietnam, 50 Kilometer nördlich der Provinzhauptstadt Dong Hoi und 450 Kilometer südlich von Hanoi.

Sie wurde erst 1991 von dem Bauer Ho Khanh entdeckt, der einen Unterschlupf während eines Gewitters suchte. Erschrocken von dem ungeheuren Ausmaß der Höhle, den eigenartigen Tönen, die durch unterirdische Flüsse und Wasserfälle zu hören waren, und dichten Wolken, die an die Oberfläche kamen, flüchtete er und fand lange den Weg nicht zurück, als das Wetter sich gebessert hatte. Erst im Jahr 2008, nach 19 Jahren Suchen, fand er durch Zufall den Eingang wieder und zeigte ihn den örtlichen Behörden, die ihm bis dahin kein Wort geglaubt hatten. Im Jahr 2009 lud die Regierung eine britische Gruppe von Höhlenforschern ein, die das Höhlensystem erforschten.

Son-Đoòng ist ein Höhlensystem aus mindestens 150 einzelnen Höhlen mit Seen, Flüssen und einem eigenen Dschungel. Darunter befindet sich der größte bis dahin entdeckte Höhlengang der Welt. Mit mehr als 250 Metern Höhe, 150 Metern Breite und einer Länge von fünf Kilometern ist der Gang groß genug, um eine Boeing 747 dort zu parken.

Seit 2013 ist die Höhle für Besucher freigegeben, doch nur etwa 1000 Touristen pro Jahr bekommen die Erlaubnis, das Höhlensystem zu besuchen, und eine mühsame Bewilligungsprozedur mit teuren Gruppentouren ist notwendig.

Das wären ein paar Vorschläge für die Unternehmungslustigen unter den Reisenden, die Urlaub nicht als Wiederholung des Alltags mit einer unterschiedlichen Kulisse verstehen. Die Zeitschrift Nature bringt immer wieder Vorschläge für ausgefallene Touren und Expeditionen für all jene unter uns, denen Luxusreisen auf die Nerven gehen, und die den Massentourismus vermeiden wollen.

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Über den Autor / die Autorin

Peter Sichrovsky

Klassische Dilettanten-Karriere, wenig von viel und viel von wenig zu wissen, zu können, nach Studium der Chemie Marketing in Pharmaindustrie, dann Journalist, Schriftsteller, Mit-Gründer des Standards, SZ/Stern Korrespondent in Asien, EU-Parlamentarier, die letzten zehn Jahre Industrie-Karriere in Süd-Ost-Asien, 23 mal übersiedelt und nach Wien, Berlin, New York, München, New Delhi, Singapur, Hong Kong, Manila, Los Angeles und Brüssel in Chicago gelandet. Seit September 2017 lebt Peter Sichrovsky in London.

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