SEXUELLE GLEICHBERECHTIGUNG

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Muslime bestimmen den Lehrplan

Der Direktor der Parkfield School in Birmingham hatte eine – wie er dachte – gute Idee und kündigte letztes Jahr für das kommende Schuljahr ein neues Unterrichtsfach über sexuelle Gleichberechtigung in einer modernen britischen Gesellschaft an. 

Ein Lehrer wurde gesucht für das Gebiet unterschiedlicher sexueller Orientierungen, wie diese nach der Gesetzeslage in Großbritannien ihr Leben gestalten könnten, und wo es noch Schwierigkeiten mit Ausgrenzung und Diskriminierung gäbe. Über Homosexualität bei Frauen und Männern sollte diskutiert werden, über die Möglichkeiten einer Eheschließung und Gründung von Familien, Kinderadoption und die Probleme der Trans-Gender Personen, Änderung der sexuellen Identität und Möglichkeiten der Selbstfindung bei Menschen, die sich nicht eindeutig der männlichen oder weiblichen Gruppierung zuordnen wollen. 

Die Suche nach einer geeigneten Lehrkraft war schwierig. Um keine weiteren Risiken durch eine eventuell mangelnde Vorbereitung einzugehen, übernahm der stellvertretende Schulleiter die Aufgabe und kündigte für das Schuljahr 2018/19 insgesamt fünf Lehrstunden an mit den Themen gleichgeschlechtliche Ehe, Angst vor Homosexualität, Diskriminierung aufgrund sexueller Orientierung, und Probleme der Ausgrenzung des sogenannten »Dritten Geschlechts«. 

Parkfield School ist im nationalen Ranking eine der besseren Schulen und bekam in einer Beurteilung im Jahre 2016 sogar die Bewertung »Ausgezeichnet«. Etwa 80% der Schüler kommen aus muslimischen Familien, von denen die meisten bereits seit vielen Jahren in Birmingham leben, sprachlich völlig integriert sind und eine unübersehbare Macht bilden. 

Bereits vor der ersten Stunde zu diesem Thema meldeten sich Eltern, die diesen Unterricht kritisierten. Vorerst nur zaghaft, ob diese Themen wirklich notwendig seien, in der Schule diskutiert zu werden, dass andere Schulen diese Inhalte nicht anbieten würden, und dass Sexualität kein Unterrichtsfach sei. Die Direktion und der verantwortliche Lehrer bekamen E-Mails und Briefe, die inhaltlich immer aggressiver wurden, und als die ersten Drohungen einlangten, sah sich die Schule gezwungen, die Polizei einzuschalten. 

Nach den ersten paar Stunden des Programms, das unter dem Titel »No Outsider« angekündigt worden war, eskalierte die Situation. Zahlreiche Mütter der muslimischen Kinder demonstrierten vor der Schule und warfen den Verantwortlichen vor, ihren Kindern einzureden, dass Homosexualität etwas ganz »normales« sei und ihre Kinder dadurch verwirrt und irritiert nach Hause kommen würden. Auf handgeschriebenen Plakaten forderten sie die Schulleitung auf, nicht mehr über diese Themen zu sprechen, da Sexualität ein Thema sei, das in die Familien gehöre. Die Schule sei ein Ort, wo ihre Kinder Mathematik, Literatur und Sprachen lernen sollten und nicht die Vielfalt der Sexualität. 

Die Schulleitung ließ sich vorerst nicht beirren und sah sich durch den Protest sogar bestärkt, hier ein Thema angesprochen zu haben, das einfach wichtig sei. Doch die Eltern der Kinder, allen voran die Mütter, griffen zu drastischeren Maßnahmen. Nach wochenlangen Protesten vor der Schule warfen die Eltern in zahlreichen Interviews für lokale TV-Stationen, die über den Konflikt berichteten, der Schule jetzt sogar vor, die Lehrer würden ihre Kinder ermutigen homosexuell zu werden. Eine Elternvereinigung formierte sich und beschloss, die Schule einfach zu boykottieren. 

Es kam zu einem Schülerstreik, durch die Eltern organisiert, der zur Folge hatte, dass an manchen Tagen bis zu 600 Schüler einfach nicht zum Unterricht erschienen. Das Eltern-Komitee überreichte der Schuldirektion eine Petition mit den Unterschriften von mehr als 400 Familien mit der Forderung, dass generell in den Schulen nicht über Sexualität gesprochen werden sollte. 

Nun griff die regionale Schulbehörde ein, und einige Tage nach dem Streik verschickte die Schulleitung einen Brief an die Eltern, in dem sie ankündigte, dass es keine weiteren Unterrichtsstunden zum Thema »No Outsider« geben werde. 

Eine wohl einmalige Situation in der britischen Schulgeschichte, dass auf Druck der Eltern, der Lehrplan geändert wurde, und bestimmte Unterrichtsfächer einfach gestrichen wurden. 

Doch der Fall scheint nicht so »einmalig« zu sein, wie ihn die Medien zu Beginn darstellten. Der Entwickler der Idee von sogenannten »No Outsider« Schulprogrammen, Andrew Moffat, der mehrere Auszeichnungen für seine Arbeit an Schulen und seine Bücher bekam und derzeit in der Endrunde des »world’s best teacher award« aufscheint, kennt diese Situationen und wurde schon öfters aus Schulen regelrecht hinausgeekelt. Vor wenigen Monaten musste er seine Vorträge in der »Chilwell Croft Academy«, ebenfalls eine Schule in Birmingham, abbrechen, weil Eltern muslimischer Schüler ihren Kindern verboten hatten, seinen Unterricht zu besuchen. Auch dort kam es zu Protesten der Eltern vor der Schule mit Plakaten, in denen der Schulleitung vorgeworfen wurde, sie würden »die unschuldigen, ahnungslosen Kinder verderben mit sexuellen Abnormitäten«. 

Die für den Bezirk zuständige Parlamentsabgeordnete, Shabana Mahmood, selbst Muslimin und hoch-intelligente Oxford-Absolventin, als Labour Abgeordnete immer auf der Seite der unterdrückten Minderheiten, geriet in Panik, bei den nächsten Wahlen die Stimmen der muslimischen Bevölkerung zu verlieren, und wand sich in Ausreden, dass die Schulen dieses Unterrichtsfach für ein Alter eingeplant hätten, in dem Kinder noch nicht reif wären, diese Probleme zu verstehen – und unterstütze die Aktionen der Eltern. Sie hielt auf anderen Veranstaltungen flammende Reden in Verteidigung gleichgeschlechtlicher Ehe und ist eine der schärfsten Kritikerinnen konservativer Angeordneter, die eine Ehe von homosexuellen Paaren aus religiösen Gründen ablehnen. Doch wenn es um ihre muslimische Gemeinde geht und nicht um die verklemmten, christlich-konservativen politischen Gegner, fand sie schnell Gründe und Erklärungen, um die Forderungen der Eltern zu unterstützen.

Natürlich kamen sehr schnell die Reaktionen der offiziellen Schulbehörden, der zuständigen Beamten und auch des Ministers, dass es keine Diskriminierung sexueller Orientierungen in britischen Schulen gäbe und die Aufklärung der Kinder wichtig sei. Gleichzeitig verhindern Eltern muslimischer Schüler immer öfter einen offenen Dialog in Schulen in Gegenden, wo sie die Mehrheit bilden – und zwar nicht nur beim Thema Sexualität. Es werden Beispiele berichtet, dass Eltern sich beschwerten und auch intervenierten, wenn über die einzelnen Religionen diskutiert wurde oder aktuelle politische Probleme in Bezug auf Israel angesprochen wurden. Regionale muslimische Geistliche ermuntern die Eltern, sich genau anzusehen, was in den Schulen unterrichtet werde, und ob es nicht den Lehren des Islam widerspreche. 

Alles nur Einzelfälle, erklärte der zuständige Minister – kommt einem bekannt vor, diese Erklärung.


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Über den Autor / die Autorin

Peter Sichrovsky

Klassische Dilettanten-Karriere, wenig von viel und viel von wenig zu wissen, zu können, nach Studium der Chemie Marketing in Pharmaindustrie, dann Journalist, Schriftsteller, Mit-Gründer des Standards, SZ/Stern Korrespondent in Asien, EU-Parlamentarier, die letzten zehn Jahre Industrie-Karriere in Süd-Ost-Asien, 23 mal übersiedelt und nach Wien, Berlin, New York, München, New Delhi, Singapur, Hong Kong, Manila, Los Angeles und Brüssel in Chicago gelandet. Seit September 2017 lebt Peter Sichrovsky in London.

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