SEHNSUCHT NACH DER BONNER REPUBLIK

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Das neue Deutschland

Ich habe nichts gegen Deutsche, viele meiner besten Freunde sind Deutsche. Sie kennen diesen Satz mit anderem Objekt, meistens folgen darauf jede Menge Zumutungen. Ich fürchte, hier ist es ähnlich. Ich glaube nämlich, Deutschland ist verrückt geworden. Es gibt keine andere Erklärung für die Debatten, die in diesem Land geführt werden. Dem Land, das mir als Österreicher Jahrzehnte als Vorbild gegenüber dem vergleichsweisen bescheidenen Niveau des heimischen politischen Diskurses erschienen war. Gut, manche behaupten, die DDR hätte die alte Bundesrepublik gekapert, das wäre auch eine Möglichkeit, erscheint mir jedoch zu abstrus. Aber was weiß ich schon.

Nehmen wir nur die Auseinandersetzung um den Hambacher Forst, die ja letztlich einer Verrücktheit entspringt: Deutschland kann so viele Windräder aufstellen und Solarzellen montieren, wie es will. Wenn der Wind nicht bläst und die Sonne nicht scheint, kommt der Strom vor allem aus Kohle- Gas- und Atomkraftwerken. Dass Atomstrom bald nicht mehr im Inland produziert wird, ändert daran nichts. Und warum importierter Atomstrom aus Frankreich besser sein soll als Atomstrom aus Deutschland, verstehen nur die Kanzlerin und jene, für die ein französisches Leben weniger zählt als ein deutsches. Egal ob Atomindustrie, Gentechnologie oder Künstliche Intelligenz. Deutschland verabschiedet sich Schritt für Schritt aus den Technologien, die dieses Jahrhundert bestimmen werden.

Aber warum sollte das jemandem auffallen in einem Land, das quasi im Vorbeigehen eine seiner Schlüsselindustrien zerstört. Die »Deutsche Umwelthilfe« ist ein Verein mit nicht einmal dreihundert Mitgliedern. Sie verdient Millionen mit Abmahnungen (auch so eine deutsche Verrücktheit) und wird von der amerikanischen und japanischen Automobilindustrie gesponsert (von Ford und dem Hybrid-Marktführer Toyota). Zusätzlich erhält sie von der Bundesregierung derzeit rd. 4,5 Millionen Euro an Förderungen. Mit dem Geld sorgt der Verein mit immer mehr Klagen für immer mehr Dieselfahrverbote. Die Deutschen zahlen die Kugeln, mit denen man auf sie schießt, und applaudieren auch noch den Schützen.

Die Moralgetränkten

Angenommen, Sie wären Regierungssprecher oder gar Kanzlerin. Würden Sie dann den Schilderungen des Ministerpräsidenten von Sachsen, des Generalstaatsanwalts von Sachsen und der örtlichen Polizei und Presse oder jenen eines anonymen Twitter-Accounts namens »Antifa-Zeckenbiss« folgen? Eben.

Wenn sich tausend Rechtsradikale aus dem ganzen Land versammeln, darunter hakenkreuztätowierte Hitlergrußzeiger, kann man überlegen, wie man die Brüllaffen am besten aus dem Verkehr zieht und warum man das nicht schon längst getan hat. Oder man macht ein Konzert, an dem die versammelten Antifaschisten fröhlich einen Rap von K.I.Z. mitsummen, in dem es heißt:

Eva Herman sieht mich, denkt sich: ›Was’n Deutscher!‹
Und ich gebe ihr von hinten, wie ein Staffelläufer
Ich fick sie grün und blau, wie mein Kunterbuntes Haus
Nich alles was man oben reinsteckt kommt unten wieder raus

K.I.Z.

Wer das nicht unbedingt für einen Ausdruck humanistischer Ideale hält, hat eben die Jugendkultur nicht verstanden. Oder ist es vielleicht doch so, wie der ORF-Journalist Hanno Settele in einem Tweet schrieb? »Und jetzt stellen wir uns vor, die drei bemitleidenswerten Buben ersetzten ›Eva Herman‹ mit ›Sahra Wagenknecht‹. Auszucken würden sie, die Moralgetränkten. Auszucken. Aber egal, ist ja nur die Herman.«

Überhaupt ist ja der Spin das eigentlich Interessante an der ganzen Geschichte. Ein einziger Tweet von »Antifa Zeckenbiss« und das ganze Land ergeht sich wochenlang in Diskussionen, was denn nun eine Hetzjagd sei, und Presse und Politik suchen mit bewundernswerter Akribie nach Belegen für gewalttätige Ausschreitungen. Da hat man in Hamburg beim G-20 Gipfel nicht so lange suchen müssen. Trotzdem ist niemand auf die Idee gekommen, alle, die gegen den Gipfel demonstriert haben, als Linksradikale zu bezeichnen oder ein Konzert gegen Links zu veranstalten. Ich kann mich nicht erinnern, dass irgendeine Zeitung Hamburg mit einem anarchistisch umkreisten A geschrieben hätte, aber wenn Rechtsextremisten aus dem ganzen Land nach Chemnitz reisen, erklärt der SPIEGEL grafisch ganz Sachsen zum Naziland. Deutschland wirkt geradezu erleichtert, sich wieder der »Gefahr von rechts« widmen zu können. Denn indem man über die Teilnehmer der Demonstration spricht, erspart man sich, über deren Anlass zu sprechen.

Wer zur Verantwortung gezogen wird

Ich frage mich, wie viele Menschen seit 2015 in Deutschland vergewaltigt oder mit Todesfolge körperverletzt worden sind (»ermordet« soll man ja nicht sagen), von Männern, die entweder gar nicht im Land oder nicht auf freiem Fuß sein dürften. Ich frage mich, wer dafür die Verantwortung trägt, geschweige denn zur selbigen gezogen wird, ob als Politiker oder Beamter.

Es muss wohl dieser Maaßen sein, von dem man so viel liest, denn der ist ja jetzt rausgeschmissen weggelobt worden. Recht so. Der hat die alternativlose Kanzlerin von Anfang an mit seinen Warnungen genervt, hunderttausende Menschen mit ungeklärter Identität unkontrolliert ins Land zu lassen. Als ob das einen Verfassungsschützer irgendwas anginge. Außerdem sagen sowas sagen ja nur AfDler. Wer Merkel kritisiert, muss weg.

In das Gesamtbild passt, dass Menschen, die auf Bäumen leben und von dort Polizisten mit Scheiße überschütten und mit Zwillen beschießen, allgemein als »Aktivisten« bezeichnet werden. Kein Mob, kein Pack, nirgends, ist ja für eine gute Sache, und sollte man tatsächlich einmal treffen, war’s ja nur ein Bullenauge, was zählt das schon, solange man auf der richtigen Seite steht. Dann darf man politische Gegner auch »Schädling« oder »lispelnde, stotternde, zuckende Menschenkarikatur« nennen, ohne auf besonderen Widerstand von den öffentlichen Hütern der Moral zu stoßen. Ausgestoßen ist aus dem Diskurs nur, wer erfolgreich als »rechts« gebrandmarkt wurde. Links ist, wo die Guten sind. Da heiligt der Zweck dann schon mal die Mittel.

Selbst das wohlmeinende Deutschland scheint nicht zu verstehen, dass sich die Stärke einer Demokratie in der Stabilität ihrer Institutionen zeigt, in Gewaltenteilung und Checks and Balances. Dass es nicht darum geht, wer den Straßenkampf gewinnt, sondern darum, dass er nie mehr zur Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln werden darf. Dass ein Teil der Linken das nicht begriffen hat, ist eine Sache, dass Staatsapparat und Medien rechte und linke Gewalt und deren Apologeten mit zweierlei Maß messen, ist eine andere. 

Aber dass die Kanzlerin überhaupt »alternativlose« Entscheidungen – seien sie richtig oder falsch – über Parlament und Sachkompetenzen hinweg treffen kann, die das Land für Generationen prägen, ohne dass dieser Umstand auch nur thematisiert wird: Das ist das eigentlich Besorgniserregende am neuen Deutschland. Zumal die deutsche Politik mehr denn je die europäische dominiert. Beim Schreiben dieser Zeilen überkommt mich unwillkürlich eine Sehnsucht nach der Bescheidenheit der Bonner Republik, die nicht Attitüde war, sondern Programm.

Das Pendel schlägt zurück

Daniel Killy irrt, wenn er den Mangel an Moral in der deutschen Politik beklagt. Die deutsche Politik leidet nicht an einem Mangel an Moral, sondern an einem Überfluss davon. Der politische Diskurs über richtig oder falsch ist einem moralischen Diskurs über gut und böse gewichen. Und wenn die Regierung ex cathedra verkündet, was moralisch geboten sei, kann sie dabei auf die Mehrheit der kommentierenden Klasse zählen. In Merkels Deutschland ist die vierte Gewalt von einem Kontrollorgan der Regierung zu deren tragenden Säule geworden.

Das reicht für Merkel, um Kanzlerin zu bleiben, aber sie braucht die AfD wie der Kasperl das Krokodil. Denn die Regierungsparteien beziehen ihre Legitimation nicht mehr aus der Zufriedenheit der Bevölkerung mit ihrer Politik, sondern aus dem Motiv, »nicht die AfD zu stärken«. Mit dieser Taktik waren Rot-Schwarz in Österreich jahrelang erfolgreich, doch sie gelangt irgendwann an ihr Ende, und in Berlin wird das schneller gehen als in Wien. Die Brandbeschleuniger heißen Migration und Gewalt durch Migranten.

Ein Pendel, das zurückschlägt, bleibt nicht in der Mitte stehen. Haben die Volksparteien ihre politischen Ränder erst einmal verloren, die sich der moralisierenden Debatte verweigern und stattdessen ungehemmt auf die Interessen ihrer Wählergruppen abzielen, ist es zu spät. Außer den braunen Proponenten in den eigenen Reihen steht dem Aufstieg der AfD zur 25-Prozent-Partei schon heute nichts im Weg. Doch es ist nur eine Frage der Zeit, bis der rechtsradikale Rand entfernt wird oder die Unzufriedenheit in einem Ausmaß steigt, dass sich die Wähler nicht mehr an ihm stoßen. Was dann? Eine erstarkte AfD würde sich mit hoher Wahrscheinlichkeit einer ebenso nationalistischen, sozialistischen Partei unter der Führung Sarah Wagenknechts gegenübersehen, die die Überbleibsel der SPD aufsammelt. Wie wird Deutschland dann aussehen, sagen wir, nach der übernächsten Wahl? Haben Freie Marktwirtschaft, Freihandel und Westbindung dann überhaupt noch eine Mehrheit? Wie weit wird das Land verrücken und an welchen Rand?

Ja, Merkel muss weg, je früher desto besser. Aber ich bezweifle, dass das reichen wird, um die Verrückung Deutschlands aufzuhalten.

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Über den Autor / die Autorin

Thomas M. Eppinger

Thomas Eppinger ist davon überzeugt, dass alle Menschen mit unveräußerlichen Rechten geboren sind, zu denen das Recht auf Leben, Freiheit und das Streben nach Glück gehören. Daraus ergab sich alles andere, auch diese Website.
Der Publizist ist 1961 in Vöcklabruck geboren, lebt heute in Graz und arbeitet in Wien als Lead Editor bei »Der Pragmaticus«. Davor leitete er den unabhängigen Nahost-Thinktank Mena-Watch.