Saudi-Arabien auf neuen Wegen

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Die Außenminister Irans, Chinas und Saudi-Arabiens. Auf Vermittlung Pekings nahm Riad wieder
diplomatische Beziehungen mit Teheran auf. (© Imago Images / ZUMA Wire)

Die Saudis präsentieren sich selbstbewusst wie schon lange nicht mehr, während der Westen erstaunt dabei zusieht, wie er den politischen Anschluss verliert. 

Mohammed bin Salman al-Saud (MBS) demonstriert Unabhängigkeit. Er nimmt diplomatische Beziehungen zum Erzfeind Iran auf, versöhnt sich mit der Türkei und empfängt Syriens Diktator Baschar al-Assad ebenso wie den ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj. Kurz darauf empfängt der saudische Innenminister seinen russischen Amtskollegen Wladimir Kolokolzew. Dass dieser auf der Sanktionsliste der USA steht, kümmert die Saudis nicht. Der enge Verbündete Amerikas am Golf geht sichtbar auf Distanz.

Überraschen sollte diese Entwicklung freilich niemanden. Die Politik des Königreichs ist von drei Motiven geleitet: ökonomischer Erfolg, Vormachtstellung in der Region und Stärkung des Islam. Die Ziele des Landes sind in der Vision 2030 formuliert, einem Grundsatzprogramm für dessen künftige Entwicklung. 

Ein Plan für 2030

Die Vision 2030 für Saudi-Arabien basiert auf drei Säulen: einer lebendigen Gesellschaft, einer florierenden Wirtschaft und einer ehrgeizigen Nation. Auf der Suche nach einer vorbildlichen und führenden Nation in allen Aspekten sei es Saudi-Arabiens Absicht, seine Nation zu erneuern, heißt es dort. Das Königreich sei entschlossen, die Fähigkeiten seiner Wirtschaft zu verbessern und zu diversifizieren und seine wichtigsten Stärken in Instrumente für eine vollständig diversifizierte Zukunft umzuwandeln. 

Als Hauptsitz der Golf-Kooperationsrats (GCC) sei es die Mission Saudi-Arabiens, eine globale Investitionsmacht zu werden, die es wiederum in ein Epizentrum des Handels und eine globale Drehscheibe verwandeln werde. 

Im Überblick heißt es unter anderem, die Vision 2030 sei ein »Fahrplan, um die Stärken, die Gott uns verliehen hat, zu nutzen – unsere strategische Position, unsere Investitionskraft und unsere Stellung im Zentrum der arabischen und islamischen Welt. Die volle Aufmerksamkeit des Königreichs und unserer Führung gilt der Nutzung unseres Potenzials, um unsere Ziele zu erreichen.« Dabei stütze sich die Vision 2030 auf die Stärken des Landes:

  1. Saudi-Arabien ist das Land der zwei heiligen Moscheen, was das Königreich im Herzen der arabischen und islamischen Welt positioniert.
  2. Saudi-Arabien nutzt seine Investitionskraft, um eine vielfältigere und nachhaltigere Wirtschaft zu schaffen.
  3. Saudi-Arabien nutzt seine strategische Lage, um seine Rolle als wesentlicher Motor des internationalen Handels auszubauen und drei Kontinente miteinander zu verbinden: Afrika, Asien und Europa.

Auch die anderen Staaten des Golf-Kooperationsrats haben vor einigen Jahren ehrgeizige, mehrjährige nationale Pläne in Angriff genommen, die darauf abzielen, weitreichende Veränderungen im wirtschaftlichen und sozialen Bereich herbeizuführen, die in den jeweiligen »Vision«-Programmen der Länder verankert sind. Aber nur Saudi-Arabien formuliert darin seinen Führungsanspruch, während sich beispielsweise die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE) damit zufriedengeben, »eines der besten Länder der Welt« zu werden und sich der Oman vornimmt, sich »den entwickelten Ländern der Welt« anzuschließen.

It’s the economy, stupid

Nicht nur die Saudis, die ganze Golfregion orientiert sich immer mehr nach Osten. In den nächsten zwei Jahrzehnten wird sich die globale Ölnachfrage nach Asien verlagern, großteils nach China und Indien. Bis zu 90 Prozent der Ölexporte aus dem Nahen Osten könnten künftig nach Asien gehen. China und Indien sind die am schnellsten wachsenden, ölverbrauchenden Nationen der Welt, die GCC-Länder verfügen über die größten nachgewiesenen Öl- und Gasvorkommen. Passt also. Die einen brauchen zuverlässige Öl- und Gaslieferanten, die anderen zuverlässige Ölkunden – der (politisch alternativlose) Boykott Russlands lässt die Saudis an der Zuverlässigkeit des Westens zweifeln.

Schon in den letzten Jahren sind die Handelsbeziehungen zwischen den Staaten Asiens und jener des GCC erheblich gewachsen und haben den Handel zwischen den GCC-Ländern und den Vereinigten Staaten und Europa weitgehend ersetzt. So ist Asien zum wichtigsten Handelspartner der GCC-Mitglieder geworden und macht fast 60 Prozent ihres gesamten Außenhandels aus. China war im Jahr 2016 der wichtigste ausländische Investor in der arabischen Welt.

Zu den wirtschaftlichen Interessen gesellen sich politische Verwerfungen. Nach dem Amtsantritt von Joe Biden als amerikanischer Präsident hat sich das Verhältnis zwischen Riad und Washington merklich abgekühlt. Das Momentum der Abraham-Abkommen ist zum Erliegen gekommen. Ob der Protest gegen die Ermordung des nur scheinbar liberalen Islamisten Jamal Kashoggi diesen politischen Preis wert war, darf man getrost infrage stellen. Dessen ungeachtet wird sich das Königreich vermutlich den Normalisierungsabkommen mit Israel anschließen, zu groß sind die beidseitigen Interessen. 

Und Europa? Europa spielt ohnehin nur noch als Wirtschaftsraum eine Rolle, nicht aber politisch. Moralische Belehrungen über Demokratie und Minderheitenrechte nimmt man mit orientalischem Gleichmut zur Kenntnis, aber nicht ernst.  Und so spiegelt das neue Selbstbewusstsein des Hauses Saud die Interessen des Landes wider: den Islam global zu stärken, die Wirtschaft auszubauen und das Land zu modernisieren. Dem Westen kommt die Rolle bei, die Mohammad Al-Sabban, langjähriger Berater des saudischen Energieministers, im November 2022 in einem Interview mit dem ZDF formuliert hat: 

»Wir müssen einfach in alle Arten von Energie investieren. Denn wir müssen unsere Wirtschaft diversifizieren und Exporteur aller möglichen Arten von Energie sein. Und ihr in Deutschland werdet so von einer Abhängigkeit in die nächste geraten. So einfach ist das.«

 Zuerst veröffentlicht auf MENA-WATCH.


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Über den Autor / die Autorin

Thomas M. Eppinger

Thomas Eppinger ist davon überzeugt, dass alle Menschen mit unveräußerlichen Rechten geboren sind, zu denen das Recht auf Leben, Freiheit und das Streben nach Glück gehören. Daraus ergab sich alles andere, auch diese Website.
Der Publizist ist 1961 in Vöcklabruck geboren, lebt heute in Graz und arbeitet in Wien als Lead Editor bei »Der Pragmaticus«. Davor leitete er den unabhängigen Nahost-Thinktank Mena-Watch.