RASSISMUS IST NICHT DASSELBE WIE DER HOLOCAUST

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Screenshot ORF, ZiB2 vom 23.4.2019

Die Vergleichs-Juden

Die letzten Tage herrschte Aufregung in Zeitungen, Social Media, unter Politikern, von Journalistenvertretern gegenüber der Öffentlichkeit und im konkreten Fall zwischen einem ORF-Journalisten und einem Politiker über den Vergleich eines rassistischen Posters der FPÖ mit einem antisemitischen Plakat aus der Nazizeit. 

So weit, so gut, das wäre ja keine Neuigkeit, kein sensationelles Ereignis, wenn da nicht die heftige Reaktion des interviewten Politikers den EU-Wahlkampf störte, der bis jetzt doch so gemächlich dahinplätscherte. Der Interviewte reagierte mit Empörung auf den Vergleich mit der NS-Ideologie und kündigte Konsequenzen an. Und der Interviewer erklärte später in Interviews, dass er froh sei, der interviewte Politiker könne nicht umsetzen, was er angekündigt hatte.

Nun war dies nicht der erste Fall, dass bestimmte Aussagen, Poster und politische Statements direkt mit Ereignissen oder Verhaltensweisen während der Nazi-Zeit verglichen wurden. Im Gegenteil, was als seltene Form der Dramatisierung von Argumenten viele Jahre lang die Ausnahmeerscheinung war, überfällt einen jetzt mit einer Regelmäßigkeit, dass man sich schon schwertut, die Erschütterung jedes Mal auch beizubehalten und nicht in Gleichgültigkeit zu verfallen.

Vielleicht lohnt es sich zu hinterfragen, was der Sinn solcher symbolischen Aktionen sein könnte. Im konkreten Fall konfrontierte der Journalist den Politiker mit einem Plakat, auf dem ein junges Pärchen in traditioneller Kleidung abgebildet war, darunter und daneben in Grau ziemlich düstere Gestalten mit langen, krummen Nasen. Ein eindeutig rassistisches Plakat mit der Gegenüberstellung der heimatlichen Schönheiten einer fremden Hässlichkeit, bunt mit Farb- und Grautönen verstärkt, eigentlich für jeden erkennbar, dass hier die Grenze des demokratischen Dialogs und der politischen Bewerbung von Parteien überschritten wurde.

Doch scheint das Erkennen von glasklarem Rassismus nicht jedermanns Sache zu sein in diesem Land, denn der Journalist hielt es für notwendig, dem Politiker ein Bild aus der NS-Zeit mit einer antisemitischen Karikatur zu zeigen und ihn zu fragen, ob er einen Unterschied zwischen den beiden Bildern sehen würde. Spätestens jetzt wäre ich als Politiker einfach aufgestanden und gegangen, doch der Interviewte reagierte aufgeregt und nervös mit Drohungen und Warnungen.

NS-Vergleiche haben Konjunktur 

NS-Vergleiche erleben derzeit eine gewisse Konjunktur, das war nicht immer so in Österreich, im Gegenteil. Nach Jahrzehnten des Schweigens und der Verweigerung einer Aufarbeitung der Mitverantwortung am Holocaust, scheint sich die Bevölkerung heute der historischen Verantwortung voll bewusst zu sein – zumindest ein großer Teil davon. Doch die inflationäre Vergleichshysterie politischer Ereignisse des Jetzt mit der NS-Zeit sollte hinterfragt werden in dem absurd radikalen Wechsel der Generationen zwischen Verleugnung und Obsession. 

Die Begeisterung und Häufigkeit, mit der heute in politischen Auseinandersetzung der Rassismus der Nationalsozialisten als quasi »Totschlag-Argument« eingesetzt wird, gleichen der Absicht während eines Boxkampfes nach dem gezielten Kinnhaken, der den Gegner taumeln lässt, den entscheidenden KO-Schlag nachzusetzen, um den Kampf zu beenden.

Doch hier beginnt das Problem dieser Argumentation, denn sie ist historisch und auch inhaltlich nicht nur falsch, sondern auch gefährlich, weil verletzend und beleidigend. 

Der Rassismus der Nationalsozialisten hatte ein bestimmtes Ziel – die Ermordung all jener, die als rassisch »wertlos« erklärt wurden. Es ging nicht um Diskriminierung oder ungerechte Behandlung, sondern einzig allein um Mord. Mit Darstellungen in Form von aggressiven Karikaturen und bösartigen Bildern wurde die Bevölkerung auf den industriellen Massenmord vorbereitet. Die Ausgrenzung war der erste Schritt für die bereits geplanten Gaskammern.

Zurückkommend auf das Plakat der steirischen FPÖ, dem Bild eines Juden aus der NS-Zeit und der Frage des Journalisten an den Politiker, ob es hier einen Unterschied gäbe, ist dies eine unzumutbare Unterstellung, die entweder die Unwissenheit des Journalisten als Grund haben könnte – was nicht anzunehmen ist – oder den Vorwurf an den Politiker, dass er wie damals während der NS-Zeit die Ermordung dieser langnasigen, grauen Fremden vorhabe – was ebenfalls nicht anzunehmen ist. Wozu dann?

Die Symbolik eines Vergleichs muss stimmen 

Symbolische Vergleiche müssen stimmen, sonst haben sie in einer Auseinandersetzung keinen argumentativen Wert. Die Verbrechen der NS-Zeit scheinen jedem das Recht zu geben, sie als dramatisierenden Vergleich zu benutzen. Gegner von Israel, ob aus dem arabischen Raum, links-linke und rechtsradikale Gruppierungen und die antiisraelische Organisation BDS vergleichen Israel konsequent mit den Nationalsozialisten und Gaza mit einem Konzentrationslager. Dass Israel mit den Palästinensern heute genauso umgehe wie die Nazis einst mit den Juden ist eine fast schon alltägliche Polemik. Der Davidstern kombiniert mit der SS-Symbolik kommt immer wieder auf Postern und Plakaten bei Demonstrationen vor, und der türkische Präsident Erdogan lässt keine Möglichkeit aus, Israel mit Nazi-Deutschland gleichzusetzen. Die Aufregung darüber hält sich in Grenzen.

Doch es gibt auch eine andere Dimension dieser Diskussion. Die britische Labour-Party musste Dutzende Funktionäre aus der Partei ausschließen, weil sie mit ebensolchen Vergleichen argumentierten und ihre Unterstützung für die Palästinenser mit Nazi-Vergleichen gegenüber Israel ausdrückten. Amerikanische Kongressabgeordnete entschuldigten sich für einen ähnlichen Vergleich. Nicht weil man Israel vor solchen Unterstellungen schützen wollte, sondern weil man es es als Verharmlosung des Holocaust ansah. Und darum geht es auch bei dem Interview zwischen Armin Wolf und dem FPÖ-Politiker Vilimsky: Der Vergleich ist falsch, historisch irreführend und verharmlosend.

Es gibt einen Unterschied zwischen Rassismus und Holocaust, so absurd das auf den ersten Blick erscheinen mag, und es muss ihn geben, vor allem in der Bewertung einer politischen Auseinandersetzung, sonst laufen wir Gefahr, den Holocaust zu verwässern und zu zerreden. 

Nicht jede Form von Rassismus führt automatisch zum Massenmord der Diskriminierten. Doch der Rassismus der Nationalsozialisten endete mit dem Holocaust und diese historische Sonderstellung sollte respektiert werden. Das ist die heutige Gesellschaft den Juden in der Welt schuldig.

Eine Auseinandersetzung über die Berechtigung Waffen zu tragen auf der einen und strengeren Waffengesetzen auf der anderen Seite, könnte von den Verfechtern eines Waffenverbots nicht mit dem Bild einer Atombombe untermalt werden, um zu drohen, dass es dort enden würde. Gegner einer schärferen Gesetzgebung gegen Kriminelle könnten nicht mit dem Bild eines elektrischen Stuhls unterstellen, dass eine höhere Strafandrohung in der Todesstrafe enden würde. 

Die Dramatisierung eines Arguments hat seine Grenze, wo sie unglaubwürdig oder inhaltlich und argumentativ falsch ist. Die Symbolik muss stimmen, bis zur letzten Konsequenz.

Der Holocaust ist nicht die Folge eines rassistischen Plakats. Die israelische Armee verhält sich nicht wie die SS gegenüber den Palästinensern und der US-Präsident Trump ist ebenso wenig Hitler wie Bundekanzler Kurz ein »Baby-Hitler« ist. Wer den Nationalsozialismus als Unterstützung seiner Polemik benutzt, sollte seine Absicht sehr sorgfältig hinterfragen.

Aus der Ignoranz der Nachkriegszeit mit der kollektiven Selbstlüge nichts gewusst zu haben, darf nicht die alltägliche, leichtfertige Benutzbarkeit des Holocaust werden, die so häufig wie ein Dosenöffner verwendet wird, um versteckte Nazis zu entlarven. 

Wenn der offensichtliche Rassismus des Plakates der steirischen FPÖ nicht ausreicht, die Problematik des optischen Eindrucks und der damit verbundenen Botschaft argumentativ in einem konfrontierenden Interview zu kommunizieren, wird auch ein vergleichendes Bild aus der NS-Zeit nicht helfen.


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Über den Autor / die Autorin

Peter Sichrovsky

Klassische Dilettanten-Karriere, wenig von viel und viel von wenig zu wissen, zu können, nach Studium der Chemie Marketing in Pharmaindustrie, dann Journalist, Schriftsteller, Mit-Gründer des Standards, SZ/Stern Korrespondent in Asien, EU-Parlamentarier, die letzten zehn Jahre Industrie-Karriere in Süd-Ost-Asien, 23 mal übersiedelt und nach Wien, Berlin, New York, München, New Delhi, Singapur, Hong Kong, Manila, Los Angeles und Brüssel in Chicago gelandet. Seit September 2017 lebt Peter Sichrovsky in London.

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