PESSACH UND OSTERN

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Photo: Cpl. Brandon Saunders, Public domain via Wikimedia Commons

Es könnte so einfach sein

Eine stete Konstante im Leben vieler Jüdinnen und Juden, jedenfalls in dem der Fanny, ist die jährlich wiederkehrende Frage, ob Pessach das jüdische Ostern sei. Ob es die Kassierin im Supermarkt oder eine Verkäuferin der Bekleidungsbranche ist, irgendwer vernimmt immer, dass man eine leckere Osterpinze oder sonstige Mehlspeise mit Worten wie „Danke, das ist sehr lieb, aber ich esse zurzeit kein Mehl“ ablehnt.

Heuer war es ja sehr angesagt, die christliche vorösterliche Fastenzeit mit einem Verzicht auf Zucker zu begehen. Wer chic ist, isst clean und erzählt es jedem. Wenn es nicht berichtet wird, zählt es nur halb. Das ist wie mit dem Workout. Also die Fanny macht ja jeden Tag ein Workout, denn das Bindegewebe ist mir schon wichtig. Weil ich es aber nicht auf Facebook poste, höre ich immer, dass ich so ein Glück mit den Genen hab. Soll sein.

Und so kam es also, dass die liebe Friseurin, die mir das Haupthaar zu schneiden pflegt, angenommen hat, ich wäre eine, die das mit der Mode nicht so genau nimmt, und daher heuer diätetisch statt Zucker Mehl ausspart.

„Nein, das ist ein jüdischer Brauch“, erklärte ich. „Wir gedenken zu Pessach des Auszugs der Juden und Jüdinnen aus Ägypten. Moses hat sein Volk mit starker Hand aus der ägyptischen Versklavung geführt, dabei hat er sich immer wieder ein bisschen verirrt, also ehrlich gesagt ist er 40 Jahre lang mit den Seinen durch die Wüste geirrt. Da war nicht genug Zeit, beim Brotbacken das Aufgehen des Teiges abzuwarten. In Erinnerung daran essen wir nur Ungesäuertes, wir Ashkenasen, also deutschstämmigen Juden, verzichten außerdem auch auf Hülsenfrüchte. Daher gibt es keine herkömmlichen Mehlspeisen für uns, wir dürfen zwar Mazzahmehl zum Kochen und Backen verwenden, auswärts zu essen, ist allerdings kaum möglich, weil nicht auszuschließen ist, dass in den Speisen Mehl oder Maisstärke drin ist.“

Kaum ausgesprochen kam das Unvermeidbare: „Ah! Pessach, das ist ja das jüdische Ostern, oder?“

Tausende Gedanken schießen mir durch den Kopf: Kann man Moses als Messias sehen? Hat Jesus das Meer gespalten? Ist ein durch die Wüste Irren mit dem Auffahren in den Himmel zu vergleichen? Sitzt Moses auch zur Rechten G´ttes? Fanny konnte und kann keinen Zusammenhang zwischen den beiden Festen erkennen.

Daraufhin ein erneuter Versuch der Annäherung:

„Also sagen wir so, „Das Letzte Abendmahl“, Leonardo da Vinci hat es so schön festgehalten, da hat Jesus mit seinen Jüngern einen Seder gefeiert, das abendliche Festessen, das einer bestimmten Ordnung folgt, im Rahmen dessen über den Auszug aus Ägypten gesprochen, gesungen und debattiert wird. Jesus war Jude und hat jüdische Feste gefeiert. Weil sich die jüdischen Feste nach dem jüdischen Kalender richten, der ein Mondkalender ist, und Ostern ein bewegliches Fest ist, das auch nach dem Stand des Mondes festgelegt ist, fallen Pessach und Ostern in einen ähnlichen Zeitraum.“

Ein zufriedenes Lächeln macht sich im Gesicht meiner Gesprächspartnerin breit.

„Zu Weihnachten feiert ihr ja auch eine Art jüdisches Weihnachten, aber ohne Baum? Daran erinnere ich mich!“

Nicht, dass das Wunder vom Öl, das acht Tage ausreichte, die Menorah, den siebenarmigen Kerzenleuchter, des von den Babyloniern zerstörten Tempels zu erleuchten, mit der Geburt eines Messias zu vergleichen wäre.

Wenn aber Chanukkah als jüdisches Weihnachten durchgeht, könnte man im Analogieschluss auch Pessach als eine Art Ostern anerkennen. Einmal kein Baum, das andere Mal keine Palmkatzerln. Minimalisten halt die Juden.

Die um gute 10cm gekürzten Haare sahen chic aus und eine gewisse Art sorgloser Leichtigkeit machte sich in mir breit. Es könnte alles so einfach sein.

Über den Autor / die Autorin

Fanny Weiss

Fanny Weiss ist eine Gastgeberin alten Schlags. In ihrem Haus, das sie führt wie einen Salon der Jahrhundertwende, sind Gäste gern gesehen und herzlich willkommen, hier wird gut gegessen und leidenschaftlich diskutiert. Alltägliche Themen wie Kindererziehung und Familienleben werden ebenso erörtert wie Fragen der Nachhaltigkeit oder der Sinn des Lebens. Ihr Bedürfnis nach Zurückgezogenheit und Stille lebt die freischaffende Künstlerin in ihrem Atelier aus, das ihr als Versteck vor Menschen und allzu viel Gerede dient. Fanny ist verheiratet und Mutter zweier Teenager.

Von Fanny Weiss