VENEZUELA

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Photo: David Hernández, CC BY-SA 2.0

Die Fratze des Sozialismus

Wenn Sozialisten die Sahara regieren, passiert zehn Jahre lang nichts, dann wird sogar der Sand knapp.

Franz Josef Strauß

Venezuela hat alles, wovon ein Land nur träumen kann. Weiße Sandstrände, tropische Wälder, schneebedeckte Berge und Öl. Ein Paradies mit dem größten Ölvorkommen der Welt, sogar noch größer als das von Saudi-Arabien.

In den siebziger Jahren lag die Wirtschaftsleistung auf dem Niveau von Großbritannien und Japan. 1999 begann Hugo Chávez – der Held der Europäischen Linken – mit der Umkrempelung des Landes und kündigte die Errichtung des ‘Sozialismus des 21. Jahrhunderts’ an. Heute ist die Wirtschaftsleistung Venezuelas auf die Hälfte des Wertes der siebziger Jahre gesunken, während sie sich in GB und Japan seit damals verdoppelte. Mit den Einnahmen aus dem einst hohen Ölpreis kaufte sich Chávez zu Beginn der Regierungszeit die Unterstützung seiner Landsleute, baute ein Sozial- und Gesundheitssystem auf, verbilligte Haushaltsgeräte mit staatlichen Zuschüssen und verschenkte das Benzin an den Tankstellen.

Mit dem Verfall des Ölpreises wurde aus dem sozialistischen Paradies die Hölle auf Erden. Vor ein paar Wochen folgte ein US TV-Team einem Familienvater, der jede Nacht durch Caracas zieht und nach Essbarem sucht. An diesem Morgen kam er zurück nach Hause, wo seine Familie mit drei Kindern wartete, mit zwei Katzen, einem Hund und drei Ratten. Die Inflation ist mit 700 Prozent die höchste der Welt, die Regale der Supermärkte sind leer, die Wirtschaft brach 2016 um 18 Prozent ein und mit 82 Morden auf 100.000 Einwohnern gehört Venezuela zu den weltweit gefährlichsten Ländern. Von einst 800 000 Unternehmen arbeiten heute noch 200 000. Zwei Millionen Einwohner haben das Land bereits verlassen. 80 Prozent leben in bitterster Armut.

Der Sozialismus des 21. Jahrhunderts

Im Dezember 2015 gewann das Bündnis ‘Demokratische Einheit’ die Parlamentswahlen. Nicolás Maduro, der Nachfolger von Chávez, entmachtete mit absurden Interventionen nicht nur das Parlament, sondern erreichte per Gerichtsbeschluss ein „Arbeitsverbot“ für die Oppositionsführer und hob die Immunität für Abgeordnete auf. Demonstrationen werden von der Armee aufgelöst, Oppositionelle verschwinden in Gefängnissen oder werden ermordet. Das Land versinkt nicht nur in Armut und Kriminalität, es entwickelt sich schrittweise zu einer brutalen Diktatur.

Über das Scheitern des modernen Sozialismus-Projekts mit Verstaatlichung der Ölindustrie und Enteignung der internationalen Konzerne wurde viel geschrieben, wenig jedoch über dessen Erfinder. Die politische Bibel eines Hugo Chávez waren nicht die Werke von Marx und Engels sondern das Buch eines Deutschen der Nachkriegsgeneration, Hans Dieterich, Schüler von Adorno und Horkheimer und guter Freund Joschka Fischers, der 1996 seine Theorie über den Sozialismus des 21. Jahrhunderts publizierte. Er forderte einen neuen Sozialismus, der Kapitalismus und Ost-Block-Kommunismus ablösen würde. Sein Wirtschaftsmodell ist die sogenannte Theorie der Äquivalenzökonomie. Grundlage der Gedanken Dieterichs ist nicht mehr der Tauschwert, der eine Verbesserung der wirtschaftlichen Lage eines Systems garantiert, sondern einzig alleine die Arbeitszeit. Ein Direktor einer Fabrik wird also nur dann besser bezahlt, wenn er auch mehr Stunden als der Arbeiter arbeitet.

Seine zweite Idee ist die Internet-Demokratie. Politische Beschlüsse sollten in Zukunft nicht mehr durch Parlamente oder Regierungen gefällt sondern durch Vernetzung aller Wahlberechtigten basisdemokratisch entschieden werden. Das Ziel sei die Universale Basisdemokratie. Für diese Staatsform benötigt es jedoch den rational-ethisch-ästhetisch selbstbestimmenden Staatsbürger als kritisch verantwortliches Subjekt. Chávez und sein Nachfolger Maduro kündigten mehrmals an, das Land befinde sich jetzt noch in einer „Übergangsphase“ zum Sozialismus, die sie revolutionäre Demokratie nannten. Man sei auf dem Weg zu dieser neuen perfekten sozialen Demokratie, es gäbe nur noch ein paar Hindernisse zu überwinden.

Als sich zeigte, dass der neue Sozialismus das Land zugrunde richtet, suchte Chávez nach den Schuldigen und stellte fest: Die Juden und die USA seien schuld, und da die USA ohnehin von Juden regiert werde, sind es hauptsächlich die Juden.

Symbolisch für viele seiner antisemitischen Ausfälle ein Ausschnitt aus einer seiner Reden, der Weihnachtsansprache im Jahr 2005:

„Die Welt hat genug für alle, aber es stellt sich heraus, dass eine Minderheit, die Nachkommen jener, die Christus kreuzigten… sich der Reichtümer der Welt bemächtigen. Eine Minderheit hat sich des Goldes, des Silbers, der Mineralien, des Wassers, der guten Landstücke, des Öls, der Reichtümer bemächtigt, und sie haben alle Reichtümer in den Händen weniger vereint: weniger als 10 % der Weltbevölkerung besitzt mehr als die Hälfte des Reichtums der Erde…“

Doch schon vor der Suche nach den Verantwortlichen war Antisemitismus eine der Grundlagen des Chávez-Sozialismus. Von den einst fast 30 000 Juden Venezuelas haben seit seiner Machtübernahme fast alle das Land verlassen. Jüdische Schulen, Spitäler und Altersheime wurden geschlossen. 2009 brach Venezuela die diplomatischen Beziehungen zu Israel ab. In den vom Staat kontrollierten Medien kommt es fast täglich zu Hinweisen und Verdächtigungen gegen die „reichen Juden“, die das Land zerstören würden. 2009 drang eine Gruppe von Polizisten in die älteste Synagoge von Caracas ein, zerstörte einen Teil der antiken Einrichtung und plünderte das Gebäude.

Ökonomische Katastrophe, Diktatur und Kriminalität sind jedoch für die Freunde des Neuen Sozialismus in Europa kein Grund, ihre Unterstützung für den antisemitischen Diktator zu hinterfragen. Heike Hänsel, stellvertretende Vorsitzende der Fraktion Die Linke im Deutschen Bundestag, diffamierte vor wenigen Tagen den Aufstand der venezolanischen Bevölkerung als „Putschversuch“ und ermahnte die Opposition zur „Achtung der Rechtsstaatlichkeit“.

Es gibt eine abrufbare Empörung gegenüber Diktatoren. Für Erdogan haben sogar Grüne und Linke wenig Sympathien. Bei den Diktatoren Chávez und Maduro herrschte und herrscht Schweigen. Der Anti-Amerikanismus schafft die notwendige ideologische Brücke, wenn die Türkei als NATO-Mitglied vehement kritisiert wird. Doch auch von Seiten der konservativen Parteien, der EU und der UNO dominiert die Gleichgültigkeit gegenüber der Tragödie in Venezuela.

Die linken Romantiker schämen sich (mit wenigen Ausnahmen) für die jahrelange Unterstützung eines korrupten und diktatorischen Regimes und auf der konservativen Seite scheint man genüsslich zuzusehen, wie das Sozialismus-Projekt des 21. Jahrhunderts scheitert.

Über den Autor / die Autorin

Peter Sichrovsky

Klassische Dilettanten-Karriere, wenig von viel und viel von wenig zu wissen, zu können, nach Studium der Chemie Marketing in Pharmaindustrie, dann Journalist, Schriftsteller, Mit-Gründer des Standards, SZ/Stern Korrespondent in Asien, EU-Parlamentarier, die letzten zehn Jahre Industrie-Karriere in Süd-Ost-Asien, 23 mal übersiedelt und nach Wien, Berlin, New York, München, New Delhi, Singapur, Hong Kong, Manila, Los Angeles und Brüssel in Chicago gelandet. Seit September 2017 lebt Peter Sichrovsky in London.

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