MEIN FLÜCHTLING

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Auch Empathie unterliegt der Mode

Nach Ende des Krieges erzählten US Soldaten folgenden Witz:

»Einer der Soldaten schrieb in einem Brief an seine Eltern, dass er, je länger er in Deutschland stationiert sei, immer mehr Verständnis für den Antisemitismus hätte. Seine Eltern, erschüttert über diese Worte, antworteten dem Sohn, wie er nur so etwas schreiben könne, und was der Grund dafür sei. Der Sohn schrieb zurück, dass jeder Deutsche, mit dem er zu tun habe, ihm erzähle, dass er und seine Familie ganz anders gedacht hätten als die anderen und sie sogar zwei oder drei jüdische Freunde gehabt hätten. Das würde bedeuten, dass Deutschland etwa 2/3 Juden hatte und die Deutschen sich einfach in der verzweifelten Situation einer Minderheit erlebt hätten.«

Heute hat man keine jüdischen Freunde mehr, oder Juden als Freunde, wozu auch, das würde in der Gesellschaft keinen besonderen Eindruck machen, im Gegenteil, man müsste mit einer Lektion über Israel rechnen, die entweder peinlich oder falsch oder beides ist. Heute heftet man sich andere Minderheiten, Verfolgte, Benachteiligte und unfair Behandelte ans Revers und zeigt sie stolz. 

Es geht nicht ohne einen Hinweis auf den aufrechten, anständigen Anteil eines Menschen. Als ein britischer Schauspieler in der Wochenzeitung ›Zeit‹ vorgestellt wurde, genügte seine schauspielerische Leistung nicht, er habe auch noch die britischen Bergarbeiter während des Streiks unterstützt, war in der gleichen Zeile zu lesen – gleich wichtig wie das Lob seiner künstlerischen Leistung. Ein Leiter eines großen Konzerns wird im Wirtschaftsteil eines Magazins vorgestellt, garantiert mit dem Hinweis, dass er so ganz nebenbei auch noch einen Weinberg gekauft habe und dort biologisch einwandfreien Wein produziere. Das sei er der Gesellschaft schuldig, meint er in dem Interview dazu. Ein Unternehmen, das einen gewissen Prozentsatz des Profits spendet weist in der Werbung darauf hin, dass ein Prozent der verkauften Sandalen an ein Kinderhilfswerk in Afrika bezahlt werde, ohne allerdings zu erwähnen, dass die Schuhe in Bangladesch unter fürchterlichen Bedingungen hergestellt werden, und die Arbeiter dort drei Dollar pro Tag Lohn erhalten.

Der Tennisstar, der eine Tennisschule in Afrika finanziert und sich regelmäßig verkrampft lachend mit den farbigen, glücklichen Kindern abbilden lässt. Die Schauspielerin, die bei der Verleihung irgendeiner Ehrung für eine Filmrolle die notwenigen Worte zur Diskriminierung der Frauen im Filmgeschäft sagt, die natürlich alle überrascht hatten und von niemandem erwartet wurden. Bis zur Oskar-Verleihung, den Emmy Awards, den lächerlichen Bambi-Preisen, es geht nicht mehr ohne warnende und empörte Wortspenden, die so ehrlich und überzeugend klingen wie die Sontag-Morgen-Messe eines Pfarrers, der eine Woche später wegen Kindesmissbrauch verhaftet wird. Ein erfolgreicher Trommler, von einem Konzert zum nächsten unterwegs, und in der Sonntagsausgabe einer Tageszeitung werden seine Sorgen um die Verzweifelten veröffentlicht. Was würden wir nur ohne all die Prominenten tun, die aufgrund ihrer Bekanntheit den Zugang zu Medien finden, und uns endlich aufwecken, uns belehren, uns daran erinnern, wie viel Leid es in der Welt gibt.

Man muss zurück in die Nachkriegszeit als ›jeder plötzlich seinen Juden‹ hatte, um seiner Umgebung zu versichern, dass man selbst ganz anders sei als die ›Mehrheit‹. Heute geht es um eine Selektion von Benachteiligten in der Gesellschaft, eben nicht alle, denn nicht Jeder/Jede eignet sich, um gegenüber der Öffentlichkeit den moralischen Ausgleich zum reinen Geldverdienen zu schaffen.

Kein Künstler hat bei der Übernahme eines Preises das Problem der Altersarmut angesprochen, keiner hat die vergewaltigten Frauen in Syrien erwähnt, keiner die Christenverfolgungen in den islamischen Staaten kritisiert, keiner die ungerechten Unterstützungen alleinstehender Mütter, denen Väter die finanzielle Unterstützung verweigern. Nicht ein Wort über die Zustände in Venezuela, den Menschenrechtsverletzungen auf Kuba, die Diskriminierung von Frauen und Homosexuellen im Iran, und wenn die VR China überhaupt genannt wird, dann nur wegen der Verfolgung der islamischen Minderheit. Kritiker der Regierung, die dort im Gefängnis landen, bleiben unerwähnt.

Die Auswahl der Genannten unterliegt einer gewissen Mode, denn wichtig scheint der Applaus zu sein, und derzeit in die Medien zu gehen mit der Aufforderung, Familien mit Kindern aus griechischen Flüchtlingslagern zu holen, bringt garantiert mehr Aufmerksamkeit und Zustimmung als das Leben der Pensionisten mit Mindest-Pensionen zu beschreiben und deren Unterstützung zu fordern. Hilfe und Mitleid müssen in der Blase von Twitter, Facebook und anderen den entsprechenden Erfolg zeigen, das entsprechende Echo, sonst bleiben die Idee und die Ankündigung wertlos, und es geht immer nur um die Worte, denn wirklich passieren tut ohnehin nichts. 

Nicht ein Bürgermeister, der angekündigt hatte, Familien mit Kindern aufzunehmen von den griechischen Inseln, hat irgend etwas getan, um die Ankündigung umzusetzen. Nicht ein Filmstar, der die Diskriminierung der Frauen im Filmgeschäft kritisiert, die Behinderung der Afro-Amerikaner  bei der Vergabe von Rollen und andere unfaire Situationen anspricht, wurde in den Tagen danach in den Medien mit seinen Aktivitäten gefeiert – es blieb immer nur bei schönen Worten und dem stehenden Applaus dazu.

Erfolg alleine in einem abgegrenzten Segment zählt nicht mehr. Gute Umsätze, eindrucksvolle Profite haben nur einen Wert, wenn damit auch eine gute Tat verbunden wird, man hat doch schließlich und endlich auch ein Gewissen. Künstlerische Leistungen in Film, Theater, Musik und bildender Kunst und anderen Sparten machen die Künstler nur dann zu wertvollen Mitgliedern der Gesellschaft, wenn sie neben der eindrucksvollen Performance auch eine soziale Verantwortung zeigen – das reicht dann meistens. Und dieses verkrampfte Verhalten breitet sich aus in allen gesellschaftlichen Bereichen, Schichten, Segmenten, egal nach welchen Kriterien sie eine Gemeinschaft ergeben, und wird auch mehr und mehr erwartet als Selbstverständlichkeit, die Kritik auslöst, wenn sie fehlt. Ein einfaches Dankeschön bei der Verleihung eines Filmpreises gilt bereits als Ausdruck der Kälte und Gleichgültigkeit. Der Mangel an Empathie wird an den Worten gemessen, die Prominente verteilen, als würden sie in einen Sack Bonbons greifen und sie unter die Zuhörer werfen.

Es ist doch so einfach heute, diese Seite von sich der Öffentlichkeit zu zeigen. Mit den verschiedenen Instrumenten der Social Media erreicht man Millionen, die man mit der inszenierten, eingeübten, plakativ aufgesetzten ›Menschlichkeit‹ beeindruckt. Mit der Botschaft, wir sind nicht nur erfolgreich, wir machen uns auch Sorgen, überspringt man den Gartenzaun des begrenzten künstlerischen, ökonomischen oder politischen Erfolgs und macht sich selbst zu einem bewundernswerten Gesamtkunstwerk.  


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Über den Autor / die Autorin

Peter Sichrovsky

Klassische Dilettanten-Karriere, wenig von viel und viel von wenig zu wissen, zu können, nach Studium der Chemie Marketing in Pharmaindustrie, dann Journalist, Schriftsteller, Mit-Gründer des Standards, SZ/Stern Korrespondent in Asien, EU-Parlamentarier, die letzten zehn Jahre Industrie-Karriere in Süd-Ost-Asien, 23 mal übersiedelt und nach Wien, Berlin, New York, München, New Delhi, Singapur, Hong Kong, Manila, Los Angeles und Brüssel in Chicago gelandet. Seit September 2017 lebt Peter Sichrovsky in London.

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