MARTIN, WIE KANNST DU NUR

M

Photo: Gryffindor , CC BY-SA 3.0

Was man als Jude darf und nicht darf

Martin Engelberg, ein prominentes Mitglied der Jüdischen Gemeinde Wien, wurde von Sebastian Kurz eingeladen, auf der Liste der ÖVP zu kandidieren, und er schaffte es auch ins Parlament. Man möchte annehmen, dies sei im demokratischen Österreich ein völlig normaler Prozess, wenn da nicht einige Kritiker eine nahezu absurde Verbindung zwischen Judentum und politischer Einstellung herstellen würden.

Nach der Nationalrats-Wahl meldete sich der Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde zu Wort und sparte nicht mit Kritik an einer möglichen Koalition zwischen ÖVP und FPÖ. Er war nicht der einzige, der sich dagegen aussprach. Doch nur er wurde – so wie Martin Engelberg – auf einer anderen Ebene kritisiert. Wie könne er sich als Jude hier einmischen? Wie kann Martin als Jude für eine Partei kandidieren, die möglichweise mit der FPÖ eine Koalition eingeht? Was darf ein Jude eigentlich in Österreich?

Gehen wir 20 Jahre zurück. Ich kandidierte 1996 für die FPÖ für die Europa-Wahl. Auch damals (übrigens bis heute) kam der Vorwurf: „Wie kannst du als Jude mit der FPÖ zusammenarbeiten?“ Und das „als Jude“ zeigt die Doppelmoral von Juden und Nicht-Juden, wenn es um das gesellschaftliche Engagement von Juden geht.

Es scheint, dass man als Christ oder Moslem durchaus einen politischen Fehler machen kann. Nicht so als Jude. Es kann der Christ sich der kommunistischen Partei anschließen, die anti-christlicher agitiert als alle anderen Parteien zusammen. Es kann der Moslem mit der FPÖ zusammenarbeiten, der immer wieder Islamophobie vorgeworfen wird. Nur der Jude, dem will man vorschreiben, mit wem er darf und mit wem eben nicht.

Linke „Berufs-Juden“

Schaut man sich die Sprache der Kritiker und deren politischen Hintergrund genauer an, fällt allerdings auf, dass sie fast alle aus der gleichen politischen Ecke kommen. Besonders aggressiv, nahezu hysterisch, reagierten Linke und vor allem ehemalige Kommunisten auf meine Kandidatur. Es ging und geht also weniger um Religion als um den politischen Verrat, der als Verrat am Judentum inszeniert wird.

Jene, die sich einst mit fast hündischer Ergebenheit der Kommunistischen Partei unterordneten, die bei jedem Israel-Konflikt stramm und emsig die USA verurteilten und auf Seiten der arabischen Aggressoren demonstrierten, entdeckten nach dem Zerfall des Ostblocks plötzlich ihre jüdische Herkunft und verkündeten sie ebenso militant wie einst die Ideen der Massenmörder Stalin und Mao.

Man sah sie plötzlich mit dem Davidstern um den Hals, sich demonstrativ als Juden zeigend, obwohl sie von Religion so viel verstanden wie ein Dackel vom Mäusefangen. Vom Judentum hatten sie keine Ahnung, das interessierte sie auch nicht. Jüdische Religion war ihnen fremd wie die Religion der Tibeter oder Eskimos. Sie tauschten einfach das Parteibuch mit der Mitgliedschaft in der Jüdischen Gemeinde und agierten als neue Juden so wie einst als alte Kommunisten.

Manche entfernten sich so weit vom Lied der kommunistischen Spanienkämpfer, dass sie nun öffentlich mit jiddischen Liedern auftraten und versuchten, sich in eine Kultur zu flüchten, die übergestülpt so passt wie ein Damenhut einer Giraffe. Ich nannte sie damals „Berufs-Juden“ und sie reagierten nicht sehr freundlich auf diese Bezeichnung.

Verrat

Am liebsten sprachen die Ex-Linken von „Verrat“, wenn sie meinen politischen Entschluss kritisierten. Heute tun sie dasselbe mit dem von Martin. Wen man als Jude mit einer politischen Entscheidung verraten hatte, war nicht leicht zu verstehen. Das Judentum könnte man eventuell verraten, wenn man sich taufen ließe oder zum Islam überträte. Aber mit einer politischen Partei? Auch mit diesem Wort verrieten die Kritiker ihre ideologische Herkunft. „Verrat“ war eines der Lieblingsworte der Linken und Kommunisten. Was konnte man einst nicht alles verraten, die Partei, die Arbeiterklasse, das internationale Proletariat, die Genossen, die Bewegung – nahezu unzählige Verrats-Möglichkeiten bot die Sozialistisch / Kommunistische Bewegung.

Für die Linken ist ein Jude, der die Konservativen oder Rechten unterstützt, ein Verräter. Er hat seine „Freunde“ verraten. Denn diese können nach der Logik der Linken nur links sein, weil der Hass gegen Juden ausschließlich von rechts komme. Als Linker fühlt man sich befreit von diesem Vorwurf, einfach nicht zuständig, denn links und Judenhass seien Widersprüche. Doch überladen die politischen Erwartungen den Juden mit antisemitischen Vorurteilen.

Selbstkritik gab es in diesen Kreisen nicht. Vergessen die dümmlichen Erklärungsversuche und Rechtfertigungen der Stalin-Prozesse gegen jüdische Intellektuelle, vergessen die Todesurteile gegen KZ-Überlebende. Vergessen das Schweigen gegenüber dem Antisemitismus der Kommunisten, vergessen das Schweigen zu den menschenverachtenden Regimen von Ungarn bis China, die man einst mit nahezu infantiler Begeisterung verteidigt hatte. Kein kritisches Wort dieser Neu-Juden über ihre eigene ideologische Vergangenheit, keine Entschuldigungen, keine Spur von Demut und Selbstreflexion.

Ganz anders reagierten die religiösen Juden. Manchen war es völlig egal, andere konzentrierten die Kritik auf den Antisemitismus der Gruppierungen, denen sich Juden anschlossen. Die Reaktionen waren sachlicher, weniger emotionell, und von Verrat sprach keiner von ihnen. Im Gegenteil, selbst während meiner Zeit in der FPÖ betonten vor allem die Rabbiner, dass das Gemeinsame des Judentums vor politische Überzeugung und Meinung gehe, und sie luden mich auch regelmäßig zu den Gottesdiensten ein.

Antisemitismus

Bleibt noch der Vorwurf, sich mit Leuten abzugeben, die immer wieder mit antisemitischen Ausfällen auffielen. Beginnend mit Jörg Haider, später waren es andere FPÖ Funktionäre und zuletzt die Studentenorganisation der ÖVP. Diese Kritik ist nachvollziehbar und verständlich. Es scheint ungewöhnlich, sich als Jude einer Gruppierung anzuschließen, die keine Selbstkontrolle in Bezug auf Antisemitismus zeigt. Zumindest, wenn dieser Vorwurf nur auf eine Partei begrenzt wäre und alle anderen Parteien davon ausgeschlossen wären.

Es muss allerdings immer noch die Entscheidung des Einzelnen sein, ob er dies auf sich nimmt, ob es ihm noch erträglich erscheint, und wo er die Grenzen setzt. Auch diese Begründung kann nicht von außen übertragen und als Bedingung festgesetzt werden.

Für mich war es wichtig, den Versuch zu wagen, in der FPÖ eine Realität zu konstruieren, mit der sich die Partei und die Funktionäre konfrontieren mussten. Das kann man verstehen, ablehnen, ignorieren oder daran zweifeln – dennoch muss es mir als Jude in Österreich möglich sein, diese Entscheidung treffen zu können, ohne „als Jude“ kritisiert zu werden.

Ich persönlich fand den versteckten Antisemitismus hinter der Israel-Kritik der Linken ebenso unerträglich wie den offenen der Rechten. Das Thema mündet eher in der Entscheidung, geht man in Österreich überhaupt in die Politik oder nicht. Ist es einem unmöglich, aktiv in einer Partei mitzuarbeiten, in der es Antisemitismus gibt, oder geht man eben deshalb zu dieser Partei? Dieser Entschluss muss für einen Juden in Österreich ebenso möglich sein wie in anderen Ländern mit ähnlichen Situationen – z.B. für die jüdischen Mitglieder der Front National oder der AfD.

Enttäuschung

Besonders absurd werden die Vorwürfe dann, wenn einem Nicht-Juden erklären, wie enttäuscht sie sind, dass man als Jude mit dieser oder jener Partei zusammenarbeitet.

„Das hätte ich mir nicht von Dir gedacht, dass Du als Jude…“ – eine meiner liebsten Formulierungen.

Ja, was haben Sie sich denn gedacht? Wie hätten Sie es denn gerne? Geben Sie uns Juden doch einen Merkzettel, mit welcher Partei wir dürfen und mit welchen Politikern. Wir wollen Sie doch nicht enttäuschen, nachdem Sie so nett zu uns waren in den letzten Jahrzehnten, man will sich ja auch irgendwie dankbar zeigen.

Als wollten sie ihre Kritik besonders eindrucksvoll formulieren, hängten sie ans Argument noch den Juden unten dran, um zu zeigen wie „belastet“ diese Entscheidung sei. Mit der Erwartungshaltung an den Juden konnte man den Mangel an politischen Argumenten wieder ausgleichen.

Damals antwortete ich einem Journalisten, der seine Enttäuschung über meine Entscheidung deponierte, mit einem Zitat von Dr. Peter Scheer aus Graz: „Nur, weil Ihr uns jetzt erlaubt, auf einer Parkbank zu sitzen, bedeutet das nicht, dass Ihr uns vorschreiben könnt, mit welcher Partei wir zusammenarbeiten dürfen.“

Er fand die Bemerkung nicht sehr lustig.

Bleibt die Frage zu beantworten: Wie normal ist eine politische Aktivität der Juden in Österreich? Wie normal ist überhaupt das Leben der Juden in Österreich? Offensichtlich überhaupt nicht. Sowohl der Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde als auch Martin Engelberg werden nicht als Österreicher mit einer politischen Meinung beurteilt, die einer Religionsgemeinschaft angehören, sondern als Juden, die in Österreich geduldet sind. Die Kritiker quälen sich mit einer persönlichen Erwartungshaltung, die mehr über sie selbst als über die Entscheidung der Juden aussagt.

Sie sehen uns eben anders, wir gehören nicht dazu.

Kann ein Österreicher unabhängig von seiner Religion für seine politische Entscheidung kritisiert werden? Radio Eriwan würde antworten: Im Prinzip schon, nur ein Jude nicht.

Wir sind weit entfernt von einer Normalität. Drei Generationen nach dem Holocaust versuchen Juden immer noch verzweifelt, als „echte“ Österreicher in diesem Land einfach zu verschwinden wie ein Tropfen Wasser im Neusiedler See. Es gelingt ihnen manchmal, nicht sehr oft. Was immer sie falsch oder richtig machen, ob als Wahlkampfberater, Gemeindevorstand, Kandidat einer Partei, die Bewertung ihrer Handlungen ist nicht von ihrer Herkunft zu trennen.

Sind wir österreichische Juden? Oder Juden in Österreich? Oder Österreicher jüdischer Herkunft?

Wenn uns nur irgendein Österreicher endlich sagen würde, wer wir sind…

Hat Ihnen der Beitrag gefallen? Dann unterstützen Sie bitte jetzt die SCHLAGLICHTER!

Über den Autor / die Autorin

Peter Sichrovsky

Klassische Dilettanten-Karriere, wenig von viel und viel von wenig zu wissen, zu können, nach Studium der Chemie Marketing in Pharmaindustrie, dann Journalist, Schriftsteller, Mit-Gründer des Standards, SZ/Stern Korrespondent in Asien, EU-Parlamentarier, die letzten zehn Jahre Industrie-Karriere in Süd-Ost-Asien, 23 mal übersiedelt und nach Wien, Berlin, New York, München, New Delhi, Singapur, Hong Kong, Manila, Los Angeles und Brüssel in Chicago gelandet. Seit September 2017 lebt Peter Sichrovsky in London.

Curriculum Vitae

Publications