LECKT MICH AM A….

L

Ein Geburtstagswunsch

In wenigen Monaten sollte ich meinen Geburtstag feiern. Wer weiß schon, was bis dahin passiert, aber nehmen wir an, ich sitze im September immer noch an diesem Tisch, spät abends, wenn rund um mich hier im Süden von London nur mehr die Füchse die Hunde aufwecken, weil sie durch ein absurdes Gesetz vor der Jagd beschützt werden und sich in die Gärten schleichen, um Essbares zu finden, das die einstigen Jäger bereitlegten, weil sie entweder Jagen und Töten oder Füttern und Versorgen. Doch es ist erst April, und ich habe noch Zeit, mir etwas zu wünschen, wenn mich die erwachsenen Kinder anrufen, was sie mir schicken sollten und mir nie etwas einfällt. Am Nachmittag las ich ‚The Times’, Sonntagsausgabe, quergedruckt am Sonntag. Vielleicht, weil die Herausgeber davon ausgehen, dass ihre Leser mehr Zeit haben an diesem Tag und das Papier weit geöffnet im Wohnzimmer bei Tee oder Kaffee Zeile für Zeile, links nach rechts einsaugen und versuchen zu verstehen. In der Mitte der Zeitung auf einer Doppelseite ein Bericht über den Chef der Labour Party und seine linken Freunde, seine ihn umgebende Gruppe, die alle gemeinsam nur zwei Ideen verbinden. Die erste, dass die Konservativen, die immer noch die Mehrheit im Parlament kontrollieren und die Regierung stellen, für das Chaos im Lande verantwortlich sind, und zweitens, dass die eigentlich Schuldigen an diesem Chaos die Juden sind, die Konservative für ihre Ziele missbrauchen, ohne dass diesen es auffällt. Die Freundes-Gruppe des Labour-Chefs ist in antisemitischen Gruppen aktiv, wo Nachrichten veröffentlicht werden, dass zum Beispiel Israel heute wie Deutschland unter der Nazi-Zeit regiert werde, dass die israelische Armee gegen Palästinenser so vorgehe, wie die Wehrmacht damals und dass die Muslime die heutigen Juden wären. So eine Doppelseite liest sich nicht so schnell. Da kommt man nicht mit einer Tasse Kaffee aus, da ist man bald bei der Dritten oder sogar Vierten. Ein paar Seiten weiter beginnt der Auslandsteil der Zeitung. Hier finde ich einen Entschluss der französischen Regierung, gemeinsam mit Künstlern und Intellektuellen gegen den Antisemitismus vorzugehen. Nach zehn Jahren gezielter Angriffe gegen Juden in Frankreich mit Verletzungen und Morden nun ein wehleidiger Aufruf, wie immer unterzeichnet von Herr und Frau Wichtig. Gleich darunter ein Bericht aus Berlin. Über die Angriffe gegen einen Mann, der eine Kippa trug und nicht einmal Jude war, was die Attacke kompliziert machte, denn wie soll ein Araber Ziel eines Angriffs sein, wenn er einem Juden galt. Was muss der Idiot auch eine Kippa tragen, wo er doch gerade jetzt so ein schönes Leben in Berlin haben könnte.  Dennoch rufen jüdische Gemeinden dazu auf, dass an einem bestimmten Tag alle Männer eine Kippa tragen sollten. Sie sollten einmal pro Jahr Juden spielen, nicht wirklich übertreten, das verlangt auch keiner, aber wenigstens so tun als ob, aus Solidarität sozusagen, um den Juden zu zeigen, dass sie sich nicht fürchten sollten. Eine sicherlich gute Idee und wird auch allen Juden die Angst nehmen, denn was beruhigt mehr, wenn Hinz und Kunz einen Tag lang mit einer Kippa spazieren gehen, am besten in einer Gruppe, die beschützt und nicht den Einzelnen gefährdet. Auch hier eine lange Liste von Unterstützern und Unterzeichnern, die alle nur eines im Sinn haben: uns Juden zu schützen. Allerdings hat kein Vertreter des Islams unterzeichnet, kein Imam, kein muslimischer Politiker, kein muslimischer Fußballer oder Kebab-Verkäufer. Irgendwie schaffte ich es zum Sportteil der Zeitung, wo ich diesmal nur wenig über antisemitische Parolen unter Fußball-Fans entdeckte und schon fast enttäuscht war, als ich dann doch über eine Initiative in Italien las, wo Fan-Klubs mit ihren Offiziellen und natürlich Politikern und Künstlern den Antisemitismus unter den Fußball-Begeisterten kritisierten. Auch der Kultur-Teil der Sonntags-Zeitung hat mich nicht enttäuscht. Von den fünf neuen Bücher, die vorgestellt wurden, beschäftigten sich drei mit dem 2. Weltkrieg und eines mit einer Frau, die heimlich Kinder aus dem Warschauer Ghetto geschmuggelt hatte. Im Kinoprogramm eine längere Besprechung des neuesten Film über Churchill und einer Dokumentation über den Geburtstag Israels. In einem der Essays über diesen Geburtstag konnte ich dann versuchen, die Erklärungen eines Uni-Professors für Geschichte zu verstehen, der die Fehlentwicklung Israels erklärte, warum der moderne Judenstaat sich so weit von den Ideen der Gründer entfernt hätte, und dass die Regierung heute keinen Grund habe, zu feiern oder gefeiert zu werden. Drei Stunden las ich die Sonntagszeitung. Es war ein sonniger Sonntag und ich konnte im Garten sitzen. Nach mehreren Monaten Regen und Schnee ein wundervoller Tag. Wie ich doch diesen Sonntag genoss mit der Lektüre über die Epoche und den Folgen des Nationalsozialismus, über die antisemitischen Ausschreitungen in Deutschland und Frankreich, den zynischen und aggressiven Kommentaren der Vertreter der Labour-Party über Israel und Juden und dass Israel an seinem Geburtstag nicht zu feiern hätte.  Wie beruhigt man sich nach dieser Lektüre, dachte ich mir und versuchte positiv zu denken.  Dann erinnerte ich mich an einen anderen Bericht über Deutschland. Irgendwo in diesem Land wurde ein Hund eingeschläfert, der zuvor seine im Rollstuhl sitzende Besitzerin und ihren Sohn zu Tode gebissen hatte. Eine Initiative, die den gewaltsamen Tod des Hundes kritisierte und verhindern wollte, bekam 300.000 Unterschriften. Am Tag nach der Tötung des Hundes sammelten sich 100 wütende Demonstranten vor der Tierklinik und verlangten den Rücktritt der zuständigen Behörde. Ich erinnerte mich an meinen Geburtstag und mir fiel ein Wunsch ein, den ich allen meinen Kindern mitteilen werde. Falls der Buddhismus vielleicht doch die einzig wahre Religion ist, und damit auch die Wiedergeburt, möchte ich als Hund in Deutschland zur Welt kommen. Ich verspreche auch, weder meine Besitzer noch deren Angehörige zu beißen. Für die Zeit bis zur Wiedergeburt, die ich weiterhin als Jude versuche zu erleben, hab ich nur eine Botschaft an alle, die mich hassen, fürchten, denen ich leid tue oder mich bemitleiden, oder auch egal bin: Lasst mich einfach in Ruhe und für jene, denen das nicht gelingt: Leckt mich doch endlich am A….

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Über den Autor / die Autorin

Peter Sichrovsky

Klassische Dilettanten-Karriere, wenig von viel und viel von wenig zu wissen, zu können, nach Studium der Chemie Marketing in Pharmaindustrie, dann Journalist, Schriftsteller, Mit-Gründer des Standards, SZ/Stern Korrespondent in Asien, EU-Parlamentarier, die letzten zehn Jahre Industrie-Karriere in Süd-Ost-Asien, 23 mal übersiedelt und nach Wien, Berlin, New York, München, New Delhi, Singapur, Hong Kong, Manila, Los Angeles und Brüssel in Chicago gelandet. Seit September 2017 lebt Peter Sichrovsky in London.

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7 comments

  • lieber herr sichrovsky!
    ihr artikel ist in der tat hervorragend; allerdings war mit “lieber gnädiger frau” caruso gemeint! nichts für ungut und liebe grüße
    walter busch

  • liebe gnädige frau!
    ich möchte ihnen von herzen zustimmen und wünsche ihnen alles gute!

    mfg
    walter busch

  • Es ist erschreckend wie antisemitisch unsere Gesellschaft ist. Da suchen bei uns Grüne und Linke und Neos nach alten Liederbüchern mit antisemitischen Texten in Burschenschaften sozusagen als Feigenblatt für ihr aktuelle Judenfeindlichkeit die sie mit der Unterstützung der Hamas praktizieren. Henrik M. Broder: “Vergesst den Holocaust und unterstützt die Juden von Heute”.
    Das trifft natürlich auch und speziell für Merkel und die Deutsche Regierung zu. Der Modezar Karl Lagerfeld hat es so formuliert: “Die größten Antisemiten sind die, welche die Todfeinde der Juden zu tausenden in unser Land lassen”.
    Die Juden und der Judenstaat sind das einzige Bollwerk gegen eine Übermacht von Islamisten. Wir können den Juden nicht genug danken und nicht genug Unterstützung bieten. In Isreael, in Jerusalem beginnt die Verteidigung des Abendlandes und unserer Kultur!

  • Wie Christian Ortner am 15.12.’17 in “Die Presse” schrieb: “Die Haltung Europas gegenüber dem Judenstaat, aber auch gegenüber dem muslimischen Antisemitismus in der EU ist feig, rückgratlos und peinlich anzusehen.” Das nur zur Bestätigung. Ortner ist kein Jude, so hat sein Wort mehr Gewicht als von einem Juden. Sagt eine alte (87) Jidene, hoffend daß es tatsächlich so ist. Wie auch immer, ich schließe mich an: “Leckt mich am A…”, aber nur wenn ich es zulasse.
    lg
    caruso