KALTSCHNÄUZIGE ÄQUIDISTANZ ZU DEN ANGRIFFEN AUF ISRAEL

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Photo: Natan Flayer, Brennende Fabrik in Sderot, CC-BY-SA 3.0

Deutschlands Reaktion ist eine Form von Antisemitismus

Moshe Agadi ist tot. Er wurde 58 Jahre alt. Vier Kinder weinen um ihren Vater. Moshe war kein bekannter Mann, und sie werden seinen Namen kaum in den Nachrichten hören oder in der Zeitung lesen. Moshe Agadi wurde von einer der mehr als 400 Raketen getötet, die Islamischer Jihad und Hamas seit Beginn der jüngsten Angriffswelle auf Israel abgefeuert haben. Ein Schrapnell bohrte sich in seine Brust, als er zwischen den ständigen Raketenalarmen für eine Zigarettenpause vor sein Haus in Ashkelon trat. Er starb auf dem Weg ins Krankenhaus.

Seit Monaten stehen die Israelis im Süden des Landes unter Dauerbeschuss. Am Morgen des 4. Mai regneten innerhalb weniger Stunden 200 Raketen auf die Bevölkerung. 15 Sekunden bleiben nach jedem Alarm, um einen Schutzbunker aufzusuchen. Ein Leben auf Abruf. 

Das Weinen der Kinder, die Sorge der Eltern. Das Wissen, dass die Angriffe nicht enden werden, nur unterbrochen. Auch wenn sie aufhören, fangen sie irgendwann wieder an. Morgen vielleicht. Oder nächste Woche, nächsten Monat. Ein Leben in Ungewissheit. 

Man kann sich das nicht vorstellen, wenn man ein paar Flugstunden entfernt gemütlich beim morgendlichen Kaffee sitzt. Nicht die Angst um die Angehörigen, nicht die psychische Belastung durch die ständige Bedrohung, nicht das Leben in Bereitschaft. Wir wissen nicht, wie sich ein Leben anfühlt, das darauf ausgerichtet ist, innerhalb von 15 Sekunden alles liegen und stehen zu lassen, die Kinder zu schnappen und in den nächsten Bunker zu rennen. 

Deutsche Kaltschnäuzigkeit

Auch wenn man es sich nicht vorstellen kann. Wenigstens Empathie könnte man erwarten. Solidarität mit der Bevölkerung. Respekt vor den israelischen Streitkräften, die alles in ihrer Macht Stehende tun, um zivile Opfer unter den Angreifern zu vermeiden. 

Zumal als Deutsche. Zumal als deutsche Botschafterin. Zumal, wenn man die Besucher auf der Website mit den Worten empfängt: »Ich freue mich, der Bundesrepublik Deutschland als Botschafterin in Israel dienen zu dürfen: Geprägt von Deutschlands Verantwortung für die Vergangenheit sind unsere Beziehungen heute einzigartig, reich und vielfältig.«

Und wie reagiert die ehrenwerte Frau Dr. Susanne Wasum-Rainer auf die Angriffe aus Gaza? 

»Mit großer Besorgnis verfolge ich die Lage in und um Gaza«, twittert sie. »Ich verurteile die Angriffe auf Israel nachdrücklich und fordere alle Parteien auf, das Leben der Zivilbevölkerung zu schützen.«

»Alle Parteien«? Terroristen, die Raketen auf Zivilisten feuern, sind genauso eine Partei wie die israelischen Streitkräfte?

Terrorismus ist die vorsätzliche Anwendung von Gewalt gegen Zivilpersonen oder zivile Objekte zur Erreichung politischer Ziele. Und nichts anderes sind die Raketen aus Gaza. Wie kann eine Terrorbande das Leben von Zivilisten schützen, wenn sie sich genau dadurch definiert, Zivilisten anzugreifen? Mit ihrer Gleichstellung erhebt Frau Wasum-Rainer terroristische Vereinigungen wie Hamas und Islamischer Jihad in den Stand regulärer Konfliktparteien. 

Die Reaktion der Botschafterin ist kein missglückter Tweet. Sie entspricht offensichtlich der Linie des Deutschen Außenamtes. »Wir verurteilen den massiven Raketenbeschuss aus #Gaza nach #Israel scharf. Angriffe auf Zivilisten sind durch nichts zu rechtfertigen. Israel hat das Recht, sich zu verteidigen und seine Bevölkerung zu schützen.« Twitterte das Amt zuerst in überraschender Klarheit. Zuviel Klarheit, wie es scheint, denn schon vier Minuten später relativierte es: »Wir sind sehr besorgt über die anhaltenden militärischen Auseinandersetzungen und fordern alle Seiten zu Zurückhaltung und Wahrung der Verhältnismäßigkeit auf. Die wichtigen Bemühungen von Ägypten und den VN um Beruhigung der Lage genießen unsere volle Unterstützung.« Wer da wen zurückgepfiffen hat, wissen wir nicht. 

Terrorangriffe als »militärische Auseinandersetzung«? »Zurückhaltung und Wahrung der Verhältnismäßigkeit«? An wen soll sich das richten, wenn nicht an Israel? Was wäre denn nach Ansicht des Deutschen Außenamts eine verhältnismäßige Reaktion darauf, wenn man von Raketen beschossen wird und die Felder der Bauern in Brand gesteckt werden? Kaffee und Kuchen in der deutschen Botschaft?

Diese Äquidistanz zwischen Terroristen und Israel ist eine Form von Antisemitismus. Niemand, wirklich niemand, wäre auf die Idee gekommen, nach den Anschlägen in Paris, Nizza, Berlin, London oder Sri Lanka den IS und das betroffene Land aufzufordern, »das Leben der Zivilbevölkerung zu schützen«. 

Eine Botschafterin, die von Deutschlands Verantwortung für die Vergangenheit geprägt ist, ein Außenminister, der wegen Auschwitz in die Politik gegangen ist. Worte, die man auf zweierlei Weise verstehen kann. 

Und trotz allem: Demokratie und Humanität

Währenddessen wächst die Kritik an Premier Netanjahu. Entweder habe Netanyahu keine Politik im Gazastreifen, oder er habe sehr wohl eine – die Bewohner des Südens zu Gunsten einer Stärkung der Hamas aufzugeben, um einen diplomatischen Prozess mit der Palästinensischen Autonomiebehörde zu verhindern, sagte Ofer Shelah von der Liste Blau-Weiß: »In jedem Fall sind die Bewohner der Grenzgemeinden zu Gaza Opfer des Zynismus und der Schwäche des Premierministers.«

Die Rufe, die Hamas und den Islamischen Jihad nachhaltig auszuschalten, werden immer lauter. Viele im Süden fühlen sich im Stich gelassen. Und niemand kann es ihnen verdenken. Doch der israelische Premier nennt in einem Interview mit Israel Hayom vom 04.04.2019 triftige Gründe für die bisherige Zurückhaltung:   

»Natürlich können wir Hamas zum Teufel schicken und den Gazastreifen erobern – anders ist der Gazastreifen ja nicht zu befrieden. Aber wem können wir ihn anschließend übergeben? Abu Mazen, der davon träumt, seine Herrschaft auf Gaza auszudehnen? Das könnte dem Herrn so passen: Israel schlägt sich für ihn, entrichtet einen hohen Blutzoll, und serviert ihm am Ende Gaza auf einem Silbertablett. Das machen wir nicht.«

Dass Israel nach 70 Jahren voller Krieg und Terror noch immer ein demokratisches Land ist, das sich im Umgang mit seinen Feinden größtmögliche Zurückhaltung auferlegt, ist ein wahres Wunder. Kein Land mit vergleichbaren Möglichkeiten würde es dulden, seit Jahrzehnten permanent angegriffen zu werden. Ich möchte nicht wissen, wie Österreich aussehen würde, wenn es täglich slowenische Raketen auf Kärnten regnen würde. Dort reichen schon zweisprachige Ortstafeln für einen Volksaufstand.

Die IDF hat mehr getan, um die Interessen von Zivilisten in einer Kampfzone zu schützen, als jede andere Armee in der Geschichte der Kriegsführung

Col. Richard Kemp, ehem. Kommandeur der Britischen Streitkräfte in Afghanistan

Und nichts ist verzichtbarer als die kaltschnäuzige Arroganz, mit der sich das deutsche Außenamt anmaßt, Israel zum Schutz der Zivilbevölkerung aufzufordern. Das tut Israel auch ohne Zurufe: Die israelische Armee tut mehr dafür, die Unversehrtheit von Zivilisten in einer Kampfzone zu beschützen, als jede andere Armee in der Geschichte der Kriegsführung, wie Col. Richard Kemp vor dem UN-Menschrechtsrat in der Debatte um den Goldstone Report 2009 ausführte:

»Ich bin der ehemalige Kommandeur der Britischen Streitkräfte in Afghanistan. Ich habe in der NATO und den Vereinten Nationen gedient; Truppen in Nordirland, Bosnien und Mazedonien kommandiert; habe am 1. Golfkrieg teilgenommen und seit der Invasion 2003 erhebliche Zeit im Irak verbracht und zum Thema internationaler Terrorismus für das Joint Intelligence Committee der Regierung des Vereinigten Königreichs gearbeitet.

Herr Präsident, auf der Grundlage meines Wissens und meiner Erfahrung kann ich folgendes sagen: Während der Operation Cast Lead hat die Israelische Armee mehr getan, um die Rechte von Zivilisten in einer Kampfzone zu schützen, als jede andere Armee in der Geschichte der Kriegsführung.

Israel tat dies, während es einem Gegner gegenüberstand, der sein Militär absichtlich hinter einem menschlichen Schutzschild aus Zivilisten positioniert hat.

Hamas und Hisbollah sind Meister darin, Ihre Agenda in den Medien voranzutreiben. Beide haben immer Leute bereit, die Interviews geben, in denen die Israelischen Streitkräfte für Kriegsverbrechen verurteilt werden. Sie sind darin geübt, Vorkommnisse zu inszenieren und zu verfälschen.

Die IDF ist vor eine Herausforderung gestellt, der wir Briten uns nicht im selben Ausmaß zu stellen haben. Es ist der Pawlowsche Reflex von vielen in den internationalen Medien und den internationalen Menschenrechtsgruppen, automatisch anzunehmen, dass die IDF im Unrecht ist und die Menschenrechte verletzt.

Die Wahrheit ist, dass die IDF außerordentliche Maßnahmen ergriff, um die Zivilsten aus Gaza über ins Visier genommene Ziele zu verständigen, indem sie über 2 Millionen Flugblätter abgeworfen und mehr als 100.000 Anrufe getätigt hat. Viele Einsätze, die militärische Einrichtungen der Hamas ausschalten hätten können, wurden abgebrochen, um zivile Opfer zu vermeiden. Während des Konflikts gestattete die IDF ein gewaltiges Ausmaß an humanitärer Hilfe in Gaza. Dem Feind praktisch Beistand zu leisten, ist für einen Militärtaktiker normalerweise völlig undenkbar. Aber die IDF hat diese Risiken auf sich genommen.

Trotz alldem wurden natürlich unschuldige Zivilisten getötet. Krieg ist Chaos und voller Versehen. Es hat Versehen der Briten, Amerikaner und anderer Streitkräfte in Afghanistan und im Irak gegeben, von denen viele auf menschliches Versagen zurückgeführt werden können. Aber Versehen sind keine Kriegsverbrechen.

Mehr als irgendetwas anderes waren die zivilen Opfer die Konsequenz aus der Art, wie die Hamas kämpfte. Die Hamas hat mit voller Absicht versucht, ihre eigenen Zivilisten zu opfern.

Herr Präsident, Israel hatte keine andere Wahl als seine Bevölkerung zu verteidigen und die Hamas zu stoppen, sie mit Raketen anzugreifen.

Und ich sage es noch einmal: Die IDF hat mehr getan, um die Interessen von Zivilisten in einer Kampfzone zu schützen, als jede andere Armee in der Geschichte der Kriegsführung.«


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Über den Autor / die Autorin

Thomas M. Eppinger

Thomas Eppinger ist davon überzeugt, dass alle Menschen mit unveräußerlichen Rechten geboren sind, zu denen das Recht auf Leben, Freiheit und das Streben nach Glück gehören. Daraus ergab sich alles andere, auch diese Website.
Der Publizist ist 1961 in Vöcklabruck geboren, lebt heute in Graz und arbeitet in Wien als Lead Editor bei »Der Pragmaticus«. Davor leitete er den unabhängigen Nahost-Thinktank Mena-Watch.