JERUSALEM

J

Über ein Geschäft, bei dem irgendwas nicht stimmt

In der Nähe der Stiegen zur Sicherheitskontrolle zum Betreten der Kotel oder Klagemauer wie sie in manchen Kreisen auf deutsch heißt, ist einer der schönsten Plätze des jüdischen Viertels der Altstadt von Jerusalem. 

Vor einem der Souvenir-Läden auf diesem Platz stand ich kürzlich am Nachmittag und sah mir die Anhänger und Ketten an. Seit ich meinen Anhänger vor ein paar Jahren verloren hatte, suchte ich einen Ersatz, aber es war hoffnungslos, ich fand keinen. Einer aus Gold, den ich in Wien gekauft hatte, gefiel mir eigentlich nicht, aber ich trug ihn dennoch.

Der Verkäufer im Geschäft rief mir etwas zu, doch ich beschloss, ihn zu ignorieren. Er kam heraus und sprach mich auf Hebräisch an.

»Ich spreche nicht Hebräisch«, sagte ich auf Englisch und er lachte und sprach weiter auf Hebräisch zu mir. Eine bekannte Szene für mich, die sich wiederholt, wenn ich nach Israel komme, da ich offensichtlich so ›israelisch‹ aussehe, dass mir keiner glaubt, ich würde die Sprache nicht beherrschen.

»Ich weiß, ich sehe aus, wie wenn ich hier nie weggegangen wäre, aber es tut mir leid, ich verstehe sie nicht«, sagte ich zu ihm.

»Du hast sogar einen jüdischen Akzent, wenn du Englisch sprichst!« Sagte der Verkäufer und lachte. Er war etwas kleiner als ich, hatte dichtes, graues Haar und trug eine Kippa mit einer Klammer, unter seinem dunkelblauen Pullover schauten die Enden der Zizit hervor, er war vielleicht so alt wie ich und es fehlten ihm ein paar Zähne links und rechts weiter hinten, was man nur sehen konnte, wenn er lachte.

»Von wo kommst du?« Fragte er, und als ich Wien sagte, sprach er ein paar Worte Deutsch, die mehr wie Jiddisch klangen und wechselte dann wieder zu Englisch.

»Du schaust aus wie ein pensionierter israelischer Offizier, da tu ich mir schwer auf Deutsch oder Englisch mit dir zu reden«, sagte er und bat mich, in sein Geschäft zu kommen. Jetzt konnte ich nicht mehr nein sagen.

Sein Laden glich eher einem Antiquierten Geschäft mit alten Vasen, Bildern, Büchern und  Haufen von Ketten, Schachteln voller Anhänger und Kippas, die wie Türme herumstanden. 

»Was suchst du?« Fragte er mich.

»Einen Anhänger«, antwortete ich.

»Du hast doch einen«, sagte er. Meine Kette lag auf dem Hemd, und er sah sich meinen Anhänger an.

»Schönes Stück, aber nicht echt«, sagte er und rollte ihn zwischen seinen Fingern.

»Sicher echt, von einem Juwelier aus Wien, aber ich mag keine aus Gold, ich suche einen aus Silber«, sagte ich.

Er reichte mir eine der Schachteln mit Dutzenden von Anhängern, und ich verlor die Übersicht. Es waren so viele, dass es unmöglich schien, sich für einen zu entscheiden und ich überlegte nur mehr, wie ich hier wieder rauskommen könnte. 

Dann sah ich einen kleinen Anhänger aus Silber mit ein paar hebräischen Buchstaben, kein Stern, keine auffälligen jüdischen Symbole, eigentlich genau, was ich suchte.

Er erkannte sofort meine Neugierde und sagte: »Ein ganz besonderes Stück, eine Antiquität, ein altes Stück, der Text aus der Kabbala.«

Mir gefiel er, und nun begann das übliche Spiel um den Preis.

»Antiquitäten sind nichts für mich, die sind mir zu teuer«, sagte ich.

»Ah, der ist doch klein, gib mir 300 Shekel und die Sache hat sich«, sagte er.

»Unmöglich, dann hab‘ ich nicht genug fürs Taxi zum Busbahnhof, um zurück nach Tel Aviv zu fahren«, sagte ich.

»Nimm die Straßenbahn, die kostet 6 Shekel«, sagte er und reduzierte den Preis auf 200 Shekel.

Das ging dann eine Zeit lang so hin und her, bis wir uns einigten und ich den Anhänger kaufte. Er gab ihn in eine kleine Papiertüte, doch ich bat ihn, mir mit meiner Kette zu helfen und die beiden Anhänger auszutauschen.

»Was machst Du mit dem anderen?« Fragte er.

»Ich weiß nicht«, sagte ich.

»Was willst du dafür?« Fragte er.

»Du hast doch gesagt, er sei nichts wert«, sagte ich.

»Na, schauen wir mal«, sagte er und legte ihn auf eine Waage, nahm dann eine Lupe und drehte ihn hin und her.

»Ich geb dir 50 Dollar«, sagte er plötzlich, und ich musste lachen und sagte: »50 Dollar für einen Anhänger aus Gold, lächerlich, außerdem glaubst du ja nicht, dass er aus Gold ist.«

»Ein bisschen Gold wird schon drin sein«, sagte er und grinste.

»100 Dollar und er gehört dir«, sagte ich.

»Einhundert Dollar«, sagte er langsam und rollte seine Augen, »bei dem schlechten Geschäft!«

»Du hast den besten Platz am Weg zur Mauer und die Straßen sind voll mit Touristen«, sagte ich.

»Ich geb dir 60«, sagte er und ich wollte nicht mehr lange so weitermachen, hatte bereits meine neue Kette bezahlt und nannte ihm 70 als letztes Angebot, er willigte ein und gab mir einen Stoß Eindollar-Noten.

»Hier«, sagte er dann und reichte mir eine Büchse, »spende etwas für unsere Synagoge.«

Ich musste lachen und gab einen Dollar.

»Einen Dollar für hungrige, betende Kinder?« Fragte er vorwurfsvoll. Ich gab einen weiteren Dollar.

»Gib doch zehn, du wirst sehen, du fühlst dich besser!« Sagte er.

»Wo ist die Synagoge?« Fragte ich.

»Gleich hier um die Ecke, du glaubst mir nicht? Ich will doch nicht Geschäfte machen auf Kosten hungriger….“. Ich unterbrach ihn und sagte: »Ich weiß schon, hungrige, betende Kinder. Aber ich will nicht mehr geben, sollen die reichen Israelis mehr geben!« Jetzt lachte er, verschwand in einem hinteren Zimmer und kam mit einem Becher Wasser und einer Orange heraus.

»Hier, nimm das!« Sagte er und fügte hinzu, dass ich doch die zehn oder besser gleich zwanzig geben sollte, das sei eine Mithwah.

Während ich langsam die Orange schälte, gingen mir meine Geschäfte durch den Kopf. Ich wollte doch nur in die Auslage schauen und nie das Geschäft betreten. Geendet hat es mit einem silbernen Anhänger, den ich wahrscheinlich völlig überzahlt hatte, weil er angeblich eine Antiquität sei. Weiters hab‘ ich meinen goldenen Anhänger praktisch verschenkt und nur einen Teil bekommen, was er gekostet hatte, und von diesem Geld konnte der Verkäufer mich noch überreden, für eine Synagoge zu spenden, die es wahrscheinlich gar nicht gibt. 

Ich habe also das Geschäft mit einem echt goldenen Anhänger betreten und bin mit einer wahrscheinlich blechernen Kopie eines alten silbernen Anhängers wieder herausgekommen, und der Tausch hat mich nicht einmal etwas gekostet, nichts gewonnen, nichts verloren, sozusagen. Irgend etwas stimmte bei diesem Geschäft nicht. 

Und außerhalb Israels halten mich alle für einen geschickten, typisch jüdischen Geschäftemacher, der alle übers Ohr hauen könnte, wenn er nur wollte…


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Über den Autor / die Autorin

Peter Sichrovsky

Klassische Dilettanten-Karriere, wenig von viel und viel von wenig zu wissen, zu können, nach Studium der Chemie Marketing in Pharmaindustrie, dann Journalist, Schriftsteller, Mit-Gründer des Standards, SZ/Stern Korrespondent in Asien, EU-Parlamentarier, die letzten zehn Jahre Industrie-Karriere in Süd-Ost-Asien, 23 mal übersiedelt und nach Wien, Berlin, New York, München, New Delhi, Singapur, Hong Kong, Manila, Los Angeles und Brüssel in Chicago gelandet. Seit September 2017 lebt Peter Sichrovsky in London.

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