ISRAELKRITIK UND DIE SPD

I

Belgienkritiker unter sich

Was unterscheidet ‚Israelkritik’ von ‚Antisemitismus‘? Lassen wir an dieser Stelle beiseite, dass es den Begriff ‚Israelkritik’ nur im Zusammenhang mit Israel gibt, weil noch nie jemand einen ‚Belgienkritiker‘ zu Gesicht bekommen hat, und widmen wir uns der Unterscheidung von Antisemitismus und der ‚legitimen Kritik an der israelischen Regierung‘, wie es so schön heißt.

Der 3-D-Test für Antisemitismus von Natan Sharansky, der auch in die Arbeitsdefinition für Antisemtismus der Europäischen Union einfloss, macht Antisemitismus an drei Kriterien fest: Dämonisierung, Doppelstandards und Delegitimierung. „Sharanksy versteht den 3D-Test als Beitrag zu „moralischer Klarheit“, um legitime Israelkritik zu schützen und von unzulässigem Israelhass abzugrenzen.“, kann man in Wikipedia darüber lesen. Was die Frage aufwerfen könnte, ob es denn auch einen zulässigen Israelhass gibt, aber es soll hier nicht um Stilkritik an den Wikipedia-Autoren gehen. Henryk M. Broder definiert den Begriff sarkastisch.

Antisemitismus ist, wenn man die Juden noch weniger leiden kann, als es an sich natürlich ist.

Henryk M. Broder

Broder macht damit den Antisemiten einfach erkennbar: „Wer Juden etwas übel nimmt, das er Nichtjuden nicht übelnimmt, ist ein Antisemit.

Dem ist nicht viel hinzuzufügen. Allenfalls könnte man den letzten Satz noch um eine einfache Definition von Antizionismus ergänzen: Und wer ihnen keinen eigenen Staat gönnt, ist ein Antizionist.

Wir haben es also mit drei Phänomenen zu tun: Antisemitismus, Antizionismus und Kritik an der israelischen Regierung. Vier praktische Übungen zur Unterscheidung der Begriffe.

„Man muss differenzieren“ 

Am 30. Juni 1976 kontrollierten Winfried Böse und Brigitte Kuhl die Reisepässe der Passagiere eines Airbus der Air-France, den sie drei Tage zuvor zusammen mit zwei palästinensischen Komplizen entführt hatten, um die Freilassung inhaftierter Palästinenser zu erzwingen. Die jüdischen Geiseln mussten bleiben, die anderen wurden freigelassen. In Geiselhaft verblieben die israelischen Staatsbürger, 22 Franzosen, ein Staatenloser sowie ein amerikanisches Ehepaar ungarisch-jüdischer Herkunft.

In Entebbe selektierten Deutsche das erste Mal nach Auschwitz Juden von Nicht-Juden. Als ein Holocaust-Überlebender Böse wütend seine Häftlingsnummer zeigte, die ihm in Auschwitz in den Arm tätowiert worden war, antwortete ihm dieser, „sein Ziel sei es, den unterdrückten Palästinensern zu helfen — und deren Feind sei nun einmal Israel.“

In der ‚Operation Thunderbolt‘ befreite eine israelische Spezialeinheit am 4. Juli die Geiseln und tötete die Terroristen. Drei Geiseln und Yonatan Netanyahu, der Kommandeur des Einsatzkommandos und ältere Bruder des heutigen Ministerpräsidenten, kamen dabei ums Leben.

Den unterdrückten Palästinensern gegen Israel helfen und dabei Juden von Nicht-Juden selektieren – Antizionismus oder Antisemitismus?

Im Februar 2014 fragte der damalige EU-Parlamentspräsident Martin Schulz in der Knesset die israelischen Abgeordneten auf deutsch: „Wie kann es sein, dass Israelis 70 Liter Wasser am Tag benutzen dürfen und Palästinenser nur 17?“ Woraufhin einige Abgeordnete empört das Parlament verließen (andere waren erst gar nicht erschienen, weil sie eine Rede in deutscher Sprache im israelischen Parlament für unangemessen hielten).

Abgesehen davon, dass die in der Frage implizierte Behauptung völlig falsch ist (Schulz hat es eben nicht so mit Zahlen), übernahm Schulz mit der Behauptung eines palästinensischen Jungen ungeprüft die Vorwürfe der Palästinenser gegen Israel. Die überdies an das antisemitische Klischee des ‚Brunnenvergifters‘ erinnern, das im Mittelalter als Vorwand für Pogrome diente – ob man jemandem das Wasser vergiftet oder es ihm vorenthält, macht wenig Unterschied.

Den unterdrückten Palästinensern gegen Israel helfen und dabei die Lügen der Judenhasser übernehmen – legitime Kritik an der israelischen Regierung oder Antizionismus?

Im Dezember 2016 verkündete der damalige Außenminister und heutige Bundespräsident Deutschlands, Frank Walter Steinmeier: „Siedlungsbau in den besetzten Gebieten behindern die Möglichkeit eines Friedensprozesses und gefährden die Grundlagen der Zwei-Staaten-Lösung.“ Steinmeier stellt sich vorbehaltlos hinter die Resolution 2334 des UN-Sicherheitsrats, die Israel dazu auffordert, „unverzüglich und vollständig“ alle Siedlungsaktivitäten „im besetzten palästinensischen Gebiet, inklusive Ost-Jerusalem“ einzustellen.

Geht es nach dem Beschluss des UN-Sicherheitsrats und Walter Steinmeier, dürfen also Juden in jenem Stadtteil ihrer Hauptstadt, in dem ihr wichtigstes Heiligtum steht, keine Wohnung mehr bauen.

Den unterdrückten Palästinensern gegen Israel helfen und verlangen, dass umstrittene Gebiete judenrein werden sollen – auch hier die Frage: legitime Kritik an der israelischen Regierung oder Antizionismus?

In einem Tweet vom 27. März 2017 bezeichnet der deutsche Vizekanzler und Außenminister Sigmar Gabriel Mahmoud Abbas als „seinen Freund“, den er beim Aufbau staatlicher Strukturen in Palästina unterstütze.

Der Präsident der palästinensischen Autonomiebehörde ist ein Hardliner, der den israelischen Staat nicht anerkennt. Er wird vom Drahtzieher des Terroranschlags 1972 in München, Abu Daoud, als Finanzier des Anschlags genannt. Hätten er und Arafat in Camp David im Jahr 2000 Zugeständnisse gemacht, gäbe es heute längst einen palästinensischen Staat.

Den unterdrückten Palästinensern gegen Israel helfen und einen erbitterten Feind des jüdischen Staates öffentlich als Freund unterstützen – immer noch nicht mehr als legitime Kritik an der israelischen Regierung?

Der ehemalige EU-Kommissionspräsident und Kanzlerkandidat, der Bundespräsident und der Vizekanzler und Außenminister bilden die Spitze der SPD. Offensichtlich sind die deutschen Sozialdemokraten also der Ansicht, dass keines der drei genannten Beispiele die Grenzen der politisch und diplomatisch üblichen Kritik an der Regierung eines anderen Landes überschreitet.

Antizionisten sind nicht zwingend Antisemiten. Viele haben nichts gegen Juden, solange sie nicht in Israel leben. So wie die meisten nichts gegen Schwarze haben, solange diese nicht in der Nachbarschaft wohnen. Und nichts gegen Ausländer, solange diese nicht mit der Tochter ausgehen. Nur nennt man solche Leute normalerweise ‚Rassisten‘ und nicht ‚Ausländerkritiker‘.

Wir sollten darüber nachdenken, wie wir Antizionisten nennen.

Zuerst erschienen auf MENA-WATCH

Über den Autor / die Autorin

Thomas M. Eppinger

Thomas Eppinger ist davon überzeugt, dass alle Menschen mit unveräußerlichen Rechten geboren sind, zu denen das Recht auf Leben, Freiheit und das Streben nach Glück gehören. Daraus ergab sich alles andere, auch diese Website.
Der Publizist ist 1961 in Vöcklabruck geboren, lebt heute in Graz und arbeitet in Wien als Lead Editor bei »Der Pragmaticus«. Davor leitete er den unabhängigen Nahost-Thinktank Mena-Watch.