INHALTS- VS. KOPFTUCHDEBATTE

I

Das Problem mit dem Kopftuch

Nein, ich sehe sie auch nicht gern: Kopftücher, die bloß das Gesichtsoval freilassen und erkennbar darauf angelegt sind, möglichst wenig zu erkennen zu geben – denen es darum geht, jeden Hinweis auf die Person bzw. Persönlichkeit ihrer Trägerinnen zu eliminieren. Der maskenhafte Effekt, der entsteht, ist klar gewollt; besonders das Zusammenspiel von Mimik und modischem Bewusstsein wird absichtsvoll unterdrückt.

Wer so etwas gutheißt, kann auch das altchinesische Füßeschnüren tolerieren. Und doch habe ich nicht nur ein Problem mit streng angelegten Kopftüchern, die meine Wahrnehmung behindern, sondern auch damit, dass wir endlos über sie zu streiten beginnen. Natürlich fordert die eine oder andere prominente, öffentliche Einlassung dazu heraus, Widerspruch einzulegen und vor allem gegen die Behauptung weiblicher Freiheit, die dem Tuch innewohne, fallweise sogar scharf zu protestieren.

Andererseits tun mir die Kopftuchträgerinnen, über die sich massenhaft wohlmeinende oder übelwollende Argumente ergießen, inzwischen fast schon leid. Was haben sie getan? In der Regel wenig bis nichts, außer eben sich und ihren Köpfen ein Tuch anzutun bzw. nichts dagegen zu tun, dass man genau das von ihnen verlangt. Umso mehr fällt auf, dass fast alle Diskussionsbeiträge zum Kopftuch selber eine Art Kopftuch sind, meistens übrigens ziemlich schlechtsitzende, indem sie die eigentliche, scheinheilige Stoßrichtung der Argumentation kaum verhüllen.

Denn hinter aller Toleranz oder Ablehnung steckt fast immer derselbe alte, verstockte Impuls des Bewahrens oder Anklagens: Bezug nehmend auf ausgeleierte, ideologische oder religiöse Standpunkte, die man kaum mehr Standpunkte nennen mag, so plattgetreten und leergewirtschaftet ist der argumentative Grund, von dem aus sie uns leider gar nicht müde, sondern mit der ausufernden Vitalität von Zombies zuwinken. Ja, damit müssen wir uns auseinandersetzen!

Was wir beim Streit übers Kopftuch leicht beiseitelassen, je länger, je mehr, ist die viel nötigere, viel dringlichere Auseinandersetzung mit den wiedererstarkenden religiösen und ideologischen Inhalten. Sie sind es, die uns wirklich Probleme machen, hier wird unser aller, aber auch die Freiheit von Frauen in Wahrheit torpediert. Das Kopftuch ist nur ein Symptom, das uns, je intensiver wir uns damit befassen, Sand in die Augen streut, entweder wegen seiner vermeintlichen Harmlosigkeit oder wegen seiner vermeintlich zentralen Bedeutung. Vor lauter mitleidigem oder aufgebrachtem Blinzeln übersehen wir am Ende die Hauptsache.

Machen wir uns also klar, dass die meisten Kopftuchträgerinnen nichts als die Opfer einer antifreiheitlichen Lebensweise oder antifreiheitlichen Gesinnung sind, wogegen wir nicht entlang der Symptome, sondern im Kern angehen müssen. Aber doppelt: hier die fanatischen Religiösen, dort die betonierten Ideologen, beide gnadenlos entschlossen und geeint in ihrem irren Hass auf die Freiheit von Mann und Frau – und knapp dahinter auch auf Israel und die USA.

Tun wir ihnen nicht den Gefallen, uns in ellenlange Kopftuchdebatten verstricken zu lassen! Das Problem mit den Kopftüchern wird sonst noch wirklich eines …

Über den Autor / die Autorin

Alexander Gusovius

Alexander Hans Gusovius ist Schriftsteller und Philosoph. Seine Grundüberzeugung: „Nichts geschieht zufällig, ohne deshalb vorherbestimmt zu sein.“ Seine Grundhaltung: „Freiheit ist das höchste Gut von allen.“ Er ist Gründungsmitglied der Künstlergruppe „Schwarzer Hut“ und mit dem Fußball-Bundesligisten TSG 1899 Hoffenheim verbunden. Seine Artikel erschienen bisher in der WeLT, im Schweizer Monat, in MAXIM und in Novo Argumente. Zu seinen Büchern geht es auf www.alexander-gusovius.de.