Wie Political Correctness zur Hexenjagd verkam
Im Herbst 2016 überraschte der Dekan der Universität Chicago, eine der zehn besten Universitäten der Welt, die neuen Studenten mit einem Willkommens-Brief. Neben den Glückwünschen für die wenigen Auserwählten unter den Tausenden, die sich anmeldeten, ermutigte er sie, „ohne Angst zu reden, schreiben, hören, lernen und kritisieren“. Weiter kündigte er an: „Wir laden kontroverse Redner nicht aus. Und wir stellen keine Schutzräume her, in die man sich vor unbequemen Ideen und Sichtweisen zurückziehen kann“. Er reagierte damit auf eine Entwicklung auf vielen US-Unis, die am besten das Gejammer eines Yale-Studenten charakterisiert, der – nachdem er mit Gesinnungsfreunden den Auftritt eines Vortragenden verhinderte – meinte: „Ich will gar nicht debattieren. Ich will über meinen Schmerz reden!“
Unter dem Motto ‚Political Correctness’ veränderten sich manche Hochschulen – einst intellektuelle Zentren der Anti-Vietnam Bewegung, Free-Speech, Verteidigung der Freiheiten von Minderheiten, Frauen und anderen benachteiligten Gruppierungen – in zum Teil infantile Institutionen, in denen die Insassen mehr Sehnsucht nach der Therapie-Couch haben als nach offenen und kontroversen Auseinandersetzungen.
Jene Studenten, die ihre neu-entdeckte Sensibilität auf einem Tablett vor sich hertragen, schrecken allerdings nicht davor zurück, ihr Unbehagen auch mit Gewalt zu unterstützen. Als Charles Murray, ein weltberühmter Soziologe, von einer Gruppe Studenten auf der Uni Middlebury, Vermont, zu einem Vortrag eingeladen wurde, kam es zu handgreiflichen Auseinandersetzungen mit Demonstranten, die letzten Endes den Auftritt verhinderten. Murray’s Theorie in einem Buch aus 1994, dass 40-80 Prozent der Intelligenz vererbbar sei, reichte aus, um ihn als US-Faschisten zu dämonisieren. Allison Stranger, eine Professorin in Middlebury, die versuchte, Murray sicher aus dem Vortragssaal zu geleiten, wurde von Demonstranten derart brutal attackiert, dass sie ins Krankenhaus gebracht werden musste.
Im Wesleyan-College unterschrieben hunderte Studenten eine Petition, der Uni-Zeitung die Finanzmittel zu streichen, da sie einen kritischen Beitrag zu ‚Black-Lives-Matter’ publizierte. Im Bowdoin-College wurden Studenten bestraft, weil sie es wagten, zu einer Tequila-Party mit Sombreros zu erscheinen, und in Yale wurde die Leiterin eines Studentenwohnheimes zum Rücktritt gezwungen, nachdem sie die Anweisung des ‚Interkulturellen Komites’ mit Bekleidungsvorschriften für Halloween ignorierte und den Studenten riet, sie sollten einfach anziehen, was ihnen Spaß macht.
PC-Terror im Lehrplan
Der PC-Terror hat bereits auch die Lehrpläne erreicht. Jura-Studentinnen in Harvard verlangten, dass das Thema Vergewaltigung aus dem Lehrplan gestrichen werde, weil es Traumata wiederbeleben könnte. Klassiker wie Ovids ‚Metamorphosen’, Shakespeares ‚The Merchant of Venice’, Virginia Wolfs ‚Mrs. Dalloway’ oder M. Twains ‚Huckleberry Finn’ werden wegen ‚beleidigendem Sexismus und Rassismus’ aus dem Lehrplan genommen oder es wird den Studenten freigestellt, am Unterricht nicht zu erscheinen, wenn sie sich verletzt fühlen.
Hier noch ein paar Beispiele aus dem akademischen Absurdistan:
• Eine feministische Gruppe verlangte das Verbot von Klatschen bei Vorträgen und Veranstaltungen, da es Angstreaktionen auslösen könnte.
• UCLA Prof. Rust wurde nach der Rückgabe von Tests, in denen er Grammatik- und Rechtsschreibfehler korrigierte, öffentlich kritisiert, dies sei eine Mikroaggression gegen Minderheiten.
• Studenten der University of New Hampsire forderten das Verbot des Wortes ‚Homosexualität’, es sollte durch ‚Gleichgeschlechtliche Liebe’ ersetzt werden.
• Auf der University of Wisconsin kritisierten Studenten das Wort ‚Amerika’, da es die Süd-Amerikaner ausschließe.
• University of Ottawa stornierte nach Proteste eine Yoga-Klasse, da Yoga angeblich an ‚kulturellen Genozid’ erinnere.
• University of Milwaukee würde jedoch den ersten Preis der Lächerlichkeit bekommen: Dort erklärten Studenten das Wort ‚Politically Correct’ als ‚politically incorrect’, da es Menschen wegen ihrer Sensibilität kritisiere.
Es sind nicht revolutionäre Studenten wie in den 60iger Jahren, die den Aufstand proben, sondern eine verwöhnte Generation von ‚Mutter-Söhnchen/Töchtern’ diktieren Inhalte und Themen des akademischen Dialogs und der Ausbildung. Sie schaffen mit ihrer nicht-diskutierbaren Empfindlichkeit ein System von Angst und Schrecken unter den Lehrenden und der Verwaltung und zwangen bereits Dutzende, die Universitäten zu verlassen. Die heutigen linken Studenten stellen nicht die Autorität in Frage, sondern sie fordern von der Autorität, dass diese Verbote durchsetzt, die in ihrem Interesse sind.
Die Vielfalt von Ideen und Meinungen bewahren
Jonathan Haidt, Professor an der NYU-Stern School of Business gründete 2015 ‚Heterodox Academy’, eine Vereinigung von Professoren, die sich gegen den Psycho-Terror der neuen aufgesetzten Empfindlichkeit wehrt. Mehrere hundert Professoren, von politisch links bis rechts haben sich zusammengeschlossen, um die Vielfalt von Ideen und Meinungen, und die Diskussionskultur auf den Unis zu erhalten. Ein Rundbrief des linken Philosophen Cornel West und des konservativen Professors Robert G. George, der ‚Campus illiberlism’ verurteilt und ‚truth seeking democracy and freedom of thoughts and expression’ fordert, wurde von mehr als 2500 Professoren und Intellektuellen unterzeichnet. Während der Großteil der Studierenden sich auf das Studium konzentriere, gäbe es – laut Haidt – eine machtvolle äußerst aggressive Minderheit, deren einziges Ziel sei, als Moral-Polizei sowohl den Unterricht als auch das Prinzip der akademischen Freiheit zu untergraben.
Haidt beschrieb die Veränderungen auf den US-Universitäten auch als Folge der einseitigen Politisierung. Während 1995 das Verhältnis zwischen linken und konservativen Professoren 2 zu 1 war, sei es heute 5 zu 1. Linke Gruppen würden mittels Social-Media innerhalb kürzester Zeit oft mit Unterstützung einzelner Professoren/Innen mit Schlagwörtern wie ‚Kampf den Rassisten und Faschisten’ genügend große Gruppen sammeln, um Gast-Vorträge, Lehrveranstaltungen und kulturelle Ereignisse zu stören oder zu verhindern. Haidt vergleicht die Atmosphäre an manchen Unis mit der DDR, wo Studenten die Aufgaben der Stasi übernommen haben. Jedes Wort, jede Handlung, jeder schriftliche Beitrag würde nach sogenannten Mikroaggressionen untersucht werden.
In einem viel beachteten Beitrag in ‚Atlantic’ schrieb Haidt über die psychische Zerbrechlichkeit dieser Generation, von den Eltern mit Übereifer vor jedem Problem bewahrt, und warf den Verwaltungen der Universitäten vor, auf diese Empfindlichkeiten völlig falsch zu reagieren. Er forderte, keine emotionalen und ideologischen Schutzzonen auf den Universitäten zu bilden, sondern Studenten auf die Realität des Lebens vorzubereitet, sich Konfrontationen zu stellen und ihre Meinung gegen andere zu verteidigen. Das derzeitige Erziehungssystem sei darauf ausgerichtet, Konflikte mit allen Mitteln zu vermeiden. Nicht mehr das überzeugende Argument zähle, sondern die Macht, den Gegner zum Schweigen zu bringen.