GEWALT?

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Nicht »Maßnahmen«, sondern Menschen braucht es! Die suspendierten Schüler der HTL Ottakring sind keine schlechteren Menschen als wir. Aber sie haben eine andere Biographie.

Doch das Traurigste sind die gewalttätigen Kinder – nicht Jugendliche, sondern wirklich Kinder. Es gab wiederholt Tote unter den Flüchtlingshelfern. Die Medien haben diese Vorfälle stets bewusst verschwiegen.

So schildert ein Migrationsexperte die Situation in einem Flüchtlingslager in Jordanien. In einer Livereportage im Morgenjournal von Ö1 berichtete die Korrespondentin über den Häuserkampf in einem Villenviertel im irakischen Mossul: »Heute ist hier ein Feiertag, die Kinder sind maskiert und spielen trotz der Gefahr im Garten. Die Leichen, die zwischen den Blumenbeeten liegen, beziehen sie wie selbstverständlich in ihre Spiele mit ein.«

Was man im frühen Kindesalter erlebt, erfährt, gezeigt bekommt, empfindet man meist ein Leben lang als Normalität. Die Aufmerksamkeitsspeicher der sehr jungen Kinder sind extrem aufnahmebereit, und so prägen sich die frühen Eindrücke tief in die Erinnerung ein – als subjektive Normalität. Im Glücksfall sind dies die liebevolle Zuwendung von Angehörigen und der zufällig oder der bewusst hergestellte Kontakt mit Gegenständen und Betätigungsmöglichkeiten, die Neugier, die Interesse zu wecken imstande sind – Spiel- und Malsachen, Baukästen, Sportgeräte, das Zusammensein mit anderen Kindern, Autos, Tiere, Bücher, Flugzeuge, Steine, Reisen, Wolken, Regen, Blitze, Donner und und und. Nicht selten wird durch diese frühen Eindrücke die Grundlage für spätere Traumberufe gelegt.

»Früh erlebte Gewalt gräbt sich meist tief ein. Zweierlei kann hier spätere Ausbrüche verhindern – menschliche Zuwendung und Ruhe, Ruhe und noch einmal Ruhe«. Dies ist die einhellige Position von Psychologen, die an der Rehabilitation ehemaliger Kindersoldaten arbeiten. Doch wie sieht die Realität von »menschlicher Zuwendung und Ruhe« für Tausende zugewanderte, frühtraumatisierte Kinder nun wirklich aus?

Für viele dieser jungen Menschen bleiben eine Kindheit und Jugend in geordneten Familienverhältnissen ein Wunschtraum. Viele Kinder wachsen vaterlos auf, oft sind die Eltern selbst traumatisiert und daher nur eingeschränkt handlungsfähig, oft droht oder herrscht Armut. Allein diese Umstände verunmöglichen eine konsequente Erziehung im positiven Sinn. 

Schulkinder verbringen heute meist mehr »wache« Zeit mit ihren Lehrern als mit ihren Eltern und Geschwistern. Kann die Schule die nicht nur für diese Kinder so dringend nötige »Ruhe und menschliche Zuwendung« bieten – immerhin bedeutet das griechische Wort Schole Ruhe und Muße? Allzu oft ist die Schule heute ein Ort der Hektik und der Überforderung aller Beteiligten – sie ist nicht selten das Gegenteil dessen, was sie sein sollte. Und die menschliche Zuwendung? Ja, die gibt es immer wieder auf berührende Weise!  

Starke Lehrpersonen, deren Hauptintention es nicht ist, »nichts falsch zu machen«, um keine nerven-, zeit- und motivationsraubenden Probleme »mit dem von Bürokratie überladenen System Schule« zu bekommen, sondern die ihre gesamte Aufmerksamkeit den SchülerInnen widmen und diese regelrecht »spüren« – so erkennen sie die Stärken der Kinder, entdecken, wenn es ihnen nicht gut geht, und erlangen so das Vertrauen der Kinder und dadurch auch der Eltern. 

Diese »starken« Lehrpersonen eint, dass sie sich ihre individuelle Unterrichtskunst meist nicht in der formalen LehrerInnenbildung angeeignet haben, sondern in oft zeitaufwändigen und teuren Fortbildungen privater Anbieter – sehr oft im Ausland. 

Ein beherrschendes Thema ist heute, die Eltern wieder in ihre Mitverantwortung für den schulischen Erfolg ihrer Kinder zurückzuholen, denn seit Jahrzehnten predigt die Bildungspolitik »liebe Eltern, der Staat macht alles für eure Kinder!« Zu viele Eltern haben diesen aus heutiger Sicht fahrlässigen Versprechungen vertraut. 

Nicht Gesetze, Verordnungen, gar »Maßnahmen« wie Drohungen und Strafen werden die Eltern in ihre Verantwortung zurückholen, sondern ausschließlich die zu Recht bewunderten, teils aber auch von neidgeleiteter Missgunst verfolgten »starken Lehrpersonen und Schulleiter«, die sich das Vertrauen der Eltern im wahrsten Sinne des Wortes hart erarbeitet haben, schaffen das. Menschen braucht es – die Biographien nicht nur vieler berühmter Persönlichkeiten zeigen, wie oft Lehrpersonen ein geglücktes Leben von Kindern entscheidend mit ermöglicht haben – dies oft trotz schwierigster Familienverhältnisse!

Was die friedliche Zukunft der Schule braucht, liegt mittlerweile klar auf der Hand. Eine moderne, auf die Bedürfnisse der heutigen Zeit und auf Wirksamkeit bedachte neue Pädagogenbildung wird vermehrt »starke« Lehrpersonen zu den Kindern und Eltern bringen! Ein Abspecken und Entstören des für eine Bevölkerung von 66 Mio. Einwohner dimensionierten Schulverwaltungsföderalismus – Stichwort k. k. Monarchie – wird mehr Ruhe und bessere Luft zum Atmen in die Schulen bringen. Die eingesparten Finanzmittel in vielfacher Millionenhöhe werden sinnvoll in schulische Problembereiche investiert.

Zurück zur viel geschundenen HTL Ottakring. In meinem Arbeitszimmer hängt eine große Messingplakette mit dem eingravierten Text »Danke für Ihre Teilnahme an der heutigen Diskussion im Fach Politische Bildung. Die SchülerInnen der HTL Ottakring.«

Der Initiator der Veranstaltung und der Erinnerungsgabe ist der Schulsprecher gewesen – seine beiden türkischen Namen verweisen auf seine Herkunft. Ich durfte bereits in vielen Schulen »gastunterrichten« – doch ein Erinnerungsgeschenk habe ich sonst noch nie erhalten.


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Über den Autor / die Autorin

Ernst Smole

Prof. Ernst Smole ist Leiter des NIKOLAUS HARNONCOURT FORUMS WIEN. Er hat Musik in Graz, Lugano und Weimar studiert (Dirigieren, Cello, Musikpädagogik) und war Berater der Unterrichts- und Kunstminister Sinowatz, Moritz und Zilk. In der auslaufenden Legislaturperiode wurde Prof. Smole mehrfach als unabhängiger Referent in Ausschüsse des Parlaments berufen (Bildungsfinanzierung, Schulautonomie, Inklusion, Politische Bildung). Seit den 1990ern befasst er sich intensiv mit Bildungssystemen unterschiedlicher Epochen und Kulturkreise, insbesondere mit dem jüdischen.
Aktuell koordiniert Prof. Smole die Arbeit eines 50köpfigen multidisziplinären Teams am BILDUNGSPLAN/ UNTERRICHTS:SOZIAL : ARBEITS & STRUKTUR:PLAN FÜR ÖSTERREICH 2015 - 2030.

Von Ernst Smole