FUSSBALL ODER TENNIS?

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WM-Tagebuch, 9. Juli

Die Manager des berühmtesten Tennisklubs der Welt in England zittern vor einer möglichen Katastrophe am kommenden Sonntag. Die 15.000 Sitze in Wimbledon, die am Schwarzmarkt bis zu 10.000 Euro kosten, könnten leer bleiben. Das Finale der Männer in der Single-Competition, der Höhepunkt der Tennissaison, findet am 15. Juli statt, und am selben Tag besteht die Möglichkeit, dass die englische Fußball-Nationalmannschaft im Finale der Fußball-WM spielt.

Vor ein paar Monaten war das kein Thema. Niemand rechnete mit dem Aufstieg des englischen Teams ins Semifinale, doch jetzt glauben viele daran, dass auch das Finale erreicht werden könnte. Bereits letzten Samstag geschah das unmöglich Vorstellbare: beim Spiel England gegen Schweden blieb sogar die »Royal Box« leer, eine Loge, um deren Plätze sich der britische Adel symbolisch gesprochen jedes Jahr »prügelt«, um einmal im Leben dort gesehen zu werden. Auch die Plätze in den übrigen Reihen waren zu 2/3 unbesetzt, eine in der Tradition des Tennisklubs »shocking experience«.

Der Centre Court hat Platz für 14.979 Zuseher und ist immer schon Monate vorher ausverkauft. Die meisten Tickets bekommen die Mitglieder des Klubs, die auch die Erlaubnis haben, ihre Karten zu verkaufen. Die Wartezeit für eine Mitgliedschaft in dem altehrwürdigen Klub beträgt derzeit zwischen zehn und zwanzig Jahre. Das sind dann jene Karten, die zu tausenden Pfund im Internet angeboten werden. Dieses Geschäft könnte heuer daneben gehen, weil eben Fußball in der englischen Fan-Gemeinschaft einen weitaus höheren Wert hat als Tennis, und die teuersten Karten immer erst wenige Tage vor dem Finale in Wimbledon verkauft werden, wenn die Finalisten bekannt sind. Heuer könnte es zum dem Traumfinale Federer gegen Nadal kommen, die allerdings vor leeren Rängen spielen würden, falls England das Finale des World Cups erreicht.

Die Offiziellen von Wimbledon reagierten bisher auf diesen Konflikt mit britischer Gelassenheit und verboten einfach jede Übertragung innerhalb des Vereins. Kein Restaurant, keine Wurstbude und kein Geschäft mit Souvenirs darf ein TV Gerät mit der Übertragung eines Fußballspiels zeigen. Bisher haben jene Glücklichen, die ein Tennisticket ergattern konnten mit einem Antrag auf ein sogenanntes »Wristband« reagiert, also einem Band, das man um das Handgelenk trägt, und das üblicherweise an jene vergeben wird, die nur kurz zurück auf den Parkplatz müssen, weil sie etwas vergessen haben. Jetzt holen sich die Fußballfans das Armband, um das nächst gelegene Pub zu besuchen, wo das Spiel übertragen wird.

Mick Desmond, einer der Direktoren von Wimbledon, erklärte allerdings bereits, dass das Finale so wie jedes Jahr pünktlich um 14.00 Uhr beginnen werde. Das Finale der Fußball WM beginnt um 16.00 Uhr, und falls England tatsächlich im Finale spielt, rechnet man in Wimbledon, dass spätestens um 15.00 jene Zuseher, die überhaupt kommen, die Arena verlassen würden. Tausende E-Mails wurden angeblich bereits an die Direktion von Wimbledon geschickt, mit der Aufforderung das Spiel früher zu beginnen. Doch diese zeigte sich unbeeindruckt. Man werde eine Jahrzehntelange Tradition nicht wegen eines einzigen Fußballspiels einfach ignorieren, kommentierte einer der Verantwortlichen.

Auch BBC hat bereits reagiert. Das Tennis-Finale wurde zum ersten Mal von BBC1 auf BBC2 verlegt. Das Spiel England gegen Kolumbien erreichte 81% aller, die das TV Gerät eingeschaltet hatten. Doch es wäre nicht England, wenn nicht längst Sarkasmus und zynischer Humor dieses Thema erreicht hätten. Der Sportkommentator Zach Goldmann meinte diese Woche, es sei eine tolle Zeit für einen Tennisfan, der könnte sich den besten Sitz unter den 15.000 freien Plätzen im Finale in Wimbledon aussuchen.

Das Problem der Begeisterung hat auch andere Veranstaltungen erreicht. Vor ein paar Tagen musste ein Theaterstück in London fast abgebrochen werden, weil einige Zuseher, die das Spiel am Mobiltelefon verfolgten, über ein Tor der Engländer während des Stückes jubelten.

In Wimbledon ist es den Zusehern verboten, während eines Tennis-Spiels Fußball oder eine andere Veranstaltung auf Mobiltelefonen oder Tablets zu beobachten. In den vergangenen Jahren wurde diese Verordnung strengstens kontrolliert und jeder, der sich nicht daran hielt, sofort aufgefordert, das Gerät abzuschalten.

Fußball Star Ian Wright schrieb auf Twitter dazu: Wann ist heuer eigentlich Wimbledon?

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Über den Autor / die Autorin

Peter Sichrovsky

Klassische Dilettanten-Karriere, wenig von viel und viel von wenig zu wissen, zu können, nach Studium der Chemie Marketing in Pharmaindustrie, dann Journalist, Schriftsteller, Mit-Gründer des Standards, SZ/Stern Korrespondent in Asien, EU-Parlamentarier, die letzten zehn Jahre Industrie-Karriere in Süd-Ost-Asien, 23 mal übersiedelt und nach Wien, Berlin, New York, München, New Delhi, Singapur, Hong Kong, Manila, Los Angeles und Brüssel in Chicago gelandet. Seit September 2017 lebt Peter Sichrovsky in London.

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