FERIEN NE VAS PLUS

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Date mit der Klasse-Frau

Mit Bettina, meiner Zufalls-Bekanntschaft aus dem Internet, wollte ich mich schon vor ein paar Wochen wieder einmal auf ein Glasl Wein treffen. Dann erlag ich dem Grippe-Virus, was die Gute allerdings nicht wirklich als Entschuldigung gelten lassen wollte. „Du musst mich nicht anlügen, wenn Du keinen Kontakt mehr willst“, lautete die spröde Botschaft, die sie mir per WhatsApp ins E-Postkastl jagte. Da zeigt man einmal als Mann Schwäche, und steht zu seiner Männergrippe, dann ist das auch wieder falsch. Das einzige, was die Frau wahrscheinlich akzeptiert hätte, wäre ein vom Primararzt Ihres Vertrauens ausgestellter Totenschein gewesen, der mein Ableben bezeugt.

Na, aber dann hat Bettina meiner fernmündlichen Überredungskunst doch nicht widerstehen können. Und so sitzen wir jetzt am späten Nachmittag in Rudolfsheim-Fünfhaus zwischen Multikulti und Bobo bei einem Aperol Spritz, der mich an den Italienurlaub mit meiner ersten Freundin erinnert. Doris hat sie geheißen, eine hübsche Blondine mit Vorliebe für hautenge Mini-Röcke. Die, wie das meine Mutter stets kritisch anmerkte, nicht viel länger waren als ein Stückl Zahnseide. Das behalte ich aber lieber für mich.

Bettina ist gut gelaunt, weil sie im Humana-Shop auf der Hütteldorferstraße ein Kleid im Ausverkauf ergattert hat. „Das ist aus den 70ern, voll Vintage“, seufzt sie verzückt, „am Kragen oben hats so ein kleines Loch, aber wurscht, das wird repariert.“ Diese Einstellung beruhigt mich, bin schließlich auch ein 70er-Modell, das da und dort schwer reparaturbedürftig ist. Außerdem freut sich Bettina, weil dieses Schuljahr zügig ins Finale geht.

Sie ist Lehrerin für Deutsch, Englisch und Geo in einer Hauptschule, die jetzt Neue Mittelschule heißt. In Kürze stehen ihr rund neun freie Wochen bevor, in denen sie „aber sowas von Nixtun wird“, wie sie sagt. Kaum ausgesprochen, korrigiert sie sich gleich. Natürlich sind fünf Wochen von diesem Zeitraum der Vorbereitung aufs nächste Schuljahr gewidmet. Mindestens. Ich verkneife mir den Spruch, nachdem der Tag von Lehrern daraus besteht, vormittags recht und nachmittags frei zu haben. Bettina setzt trotzdem diesen beleidigten Blick auf, den ich schon kenne. „Ihr habts alle so gar keine Ahnung“, mault sie, „überhaupt, seit wir die vielen Flüchtlinge in der Klasse hocken haben ist der Job noch zacher als eh schon.“

Fremd unter Fremden

Sie erzählt, dass die AHS schulpflichtige Flüchtlinge nicht nehmen muss, weshalb die meisten dieser Kids in der Neuen Mittelschule landen. „Ich hab eh schon fast 90 % Kinder mit Migrationshintergrund“, klagt Bettina, „mit den Flüchtlingen dazu waren wir alle überfordert. Die Kinder wie die Lehrer“.

Sie kramt aus den Tiefen ihrer Handtasche ein Packerl Marlboro hervor. Vom Umfang her hat diese Tasche durchaus Ähnlichkeit mit dem Camping-Rucksack, mit dem meine Tochter Mimi vor kurzem aufs Festival ins Burgenland getrampt ist. Warum Frauen immer ihren halben Hausstand mit sich herumzahen wäre auch einmal ein Diplomarbeitsthema wert. Bettina zündet sich eine Tschick an.

„Siehst“, jammert sie, „mit dem Rauchen wollte ich auch aufhören. Aber bei dem Stress, den ich gehabt hat, ist sich das nicht ausgegangen.“ „Kriegen diese Flüchtlings-Kids keinen zusätzlichen Deutsch-Unterricht?“ frage ich. „Sicher“, meint die Frau Lehrerin milde, „sowieso gibt’s extra Sprachförderung. Aber das ist an Unterstützung von außen auch schon alles.“ In den Klassen, berichtet Bettina, tun sich die jugendlichen Flüchtlinge zumeist schwer. Freundschaften mit den Mitschülern werden kaum geschlossen: „Dazu sind die kulturellen Unterschiede zu groß. Auch zwischen einem Türken, beispielsweise, der hier geboren ist, und einem geflüchteten Afghanen, gerade in Österreich angekommen, liegen Welten.“

Ich erinnere mich, dass das vor Jahrzehnten unter den jugoslawischen Gastarbeitern kaum anders war. Da hat die erste Generation, die hier mühsam etwas aufgebaut hat, nicht selten über die „Tschuschen“ geschimpft, die nach ihnen nach Österreich kamen, und es, so der Eindruck, wesentlich leichter hatten, als sie selbst. Die Fremden waren sich auch untereinander fremd. „Ja, der Neid ist ein Hund“, bestätigt Bettina, „da wird dann oft geglaubt, wir Lehrer würden die Flüchtlings-Kids bevorzugen, oder die hätten mehr Privilegien, als ihre Mitschüler.“ „Und, ist das so?“ frage ich. Bettina zuckt mit den Schultern. „Naja, sicher drücken wir oft beide Augen zu. Wenn die dauernd zu spät kommen, zum Beispiel, oder ein paar Tage oder gar Wochen auf die Schule pfeifen. Meistens hat das ja einen Grund. Nur, ich bin keine Psycho-Tante, mir fehlts an der Ausbildung und der Zeit, mich um die seelischen Probleme dieser Kinder zu kümmern.“

Ein Trauma, das nie endet

Bettina zieht nachdenklich an der Zigarette. „Und, wie gesagt, wir Lehrer stehen ziemlich alleine da. Es bräuchte einen Haufen Psychologen, Therapeuten, Sozialarbeiter und was weiß ich alles, um diese Kids wirklich gscheit zu begleiten.“ Dazu kommt, erfahre ich, dass viele der geflüchteten Jugendlichen schwer traumatisiert sind. Vor allem die, die zu den so genannten unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen gehören. „Du musst Dir vorstellen, da werden Jugendliche, meist Burschen, von ihren Familien in Kriegsgebieten in Syrien, Afghanistan, Afrika oder sonstwo losgeschickt. Die kratzen ihre ganzen Ersparnisse zusammen, um Schlepper, gefälschte Papiere und die Fahrt übers Mittelmeer zu finanzieren“, erklärt mir Bettina, „mit dem Ziel, sich nach Österreich oder Deutschland durchzuschlagen. Und dann möglichst Vater, Mutter und Geschwister nachzuholen.“

Mich schauderts bei dem Gedanken, Mimi würde sich auf diesen Weg machen, auf dem überall Gefahren lauern. Ich würde gerne noch einen Aperol Spritz bestellen, und das Thema wechseln. Aber Bettina ist nun in Fahrt: „Was glaubst, was die bei dieser Flucht alles erlebt haben. Gewalt, die für uns unvorstellbar ist. Misshandlungen, Raubüberfälle und Vergewaltigungen. Ja, auch die Burschen. Durch Schlepper oder sonstwen.“ „Na Servas“, murmle ich ratlos, sonst fällt mir dazu wenig ein. „In manchen dieser Kids brodelts extrem“, resümiert mein Date, „Kein Wunder, wenn die hier dann deppat werden, ihre Religionskriege untereinander mit Gewalt austragen, sich gegenseitig an die Gurgel gehen, oder die Älteren die Jüngeren vergewaltigen. Was sich in den Flüchtlings-Unterkünften bisweilen abspielt, echt, Wukkerl, das willst Du nicht wissen.“

Nein, das will ich tatsächlich nicht. Speziell im Moment nicht, wo der sonnige Spätnachmittag in einen lauen Abend gleitet, der alles verspricht. Bettina wirkt plötzlich erschöpft. „Okay, jetzt sind aber erst einmal Ferien“, höre ich mich sagen, „und vielleicht ist ja im nächsten Schuljahr alles super, wer weiß.“ Wenn es mit dem Taxifahren nicht mehr läuft mache ich bei Humboldt den Motivations-Coach und werde reich. Bettina schaut überrascht auf. „Glaubst echt?“ Statt zu antworten bestelle ich noch zwei weitere Aperol Spritz. Bei Doris, denke ich mir, hat das auch immer geholfen. Und manche Dinge ändern sich selbst nach Jahrzehnten nicht.

Über den Autor / die Autorin

Walter Vukovic

Walter „Wukkerl“ Vuković, 44, ist Taxifahrer. Mitten in Wien und zwischen den Welten. Wukkerl hat Migrations-Hintergrund (Vater aus Serbien, in den 70ern als Gastarbeiter nach Wien gekommen, Mutter Österreicherin), ist geschieden und Vater einer Tochter (15).

Von Walter Vukovic