BETREUTES FERNSEHEN

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Photo © meedia.de

Neulich bei Maischberger

Nun ist sie also doch noch ausgestrahlt worden, die WDR/ARTE Dokumentation, die sich erlaubt, wohlwollend auf den israelischen Staat zu blicken, anstatt das palästinensische Narrativ wiederzukäuen. Und weil Ausgewogenheit für die deutschen Öffentlich-Rechtlichen offenbar bedeutet, nach einem Film über den „Hass auf Juden in Europa“ auch die Israelhasser gebührend zu Wort kommen zu lassen, ließ man nach der Ausstrahlung bei Maischberger diskutieren. Klar, die Symbiose aus Antisemitismus und Antizionismus zu benennen, kann man nicht einfach so im Raum stehen lassen.

Ein Teil des Gezeigten könnte schließlich die Bevölkerung verunsichern. Die Finanzierung des Terrors der Hamas mit Steuer- und Spendengeldern zum Beispiel, die durch die Korruption ermöglicht wird, über die man vor Ort so großzügig hinwegsieht. Oder dass junge Juden mitten in Europa sich nichts sehnlicher wünschen, als nach Israel auszuwandern, weil sie in Frankreich von arabisch-stämmigen Antisemiten gejagt und verprügelt werden.

Wem man nicht einmal zutraut, „Mein Kampf“ ohne Kommentar richtig einzuordnen, den kann man unmöglich mit einer israelfreundlichen Dokumentation alleine lassen. Nach dem betreuten Lesen kommt das betreute Fernsehen, bevor es ab ins betreute Wohnen geht. Betreutes Denken als lebensbegleitende Konstante. Orwell war tatsächlich zu optimistisch.

Die Distanzierung

Also strahlt man den Film aus und distanziert sich gleichzeitig von ihm. Dass ein Sender mit nachträglichen Einschüben die Filmemacher fachlich hinrichtet und parallel zur Ausstrahlung mit Untertiteln einen Online-„Faktencheck“ bewirbt, wegen angeblich „notwendiger Erläuterungen und Ergänzungen“, ist ein einmaliger, beispielloser Vorgang. Den man zum Beispiel bei Michael Moore und Al Gore ebenso wenig für nötig erachtete wie beim antisemitischen Trommelfeuer an israelfeindlichen Dokumentationen, die zuvor ausgestrahlt worden sind. Die Ausführungen in diesem „Faktencheck“ werden Gegenstand separater Betrachtungen sein, im Wesentlichen dienen sie nur dazu, die Glaubwürdigkeit der Dokumentation zu untergraben. Bei der ARD nennt man diesen Beitrag zur Volkserziehung „eine fachlich eingeordnete Version der Dokumentation“.

Nach der Ausstrahlung musste dann noch Frau Maischberger ran, um den Film zu dekonstruieren. Geladen waren: Der Historiker Michael Wolffsohn und der Psychologe Ahmad Mansour, von denen man wusste, dass sie die Dokumentation positiv beurteilen würden. Der pensionierte CDU-Politiker Norbert Blüm, der sich vermutlich durch seine israelfeindlichen Ausfälle in der Vergangenheit für die Teilnahme qualifiziert hat, Rolf Verleger, der immer zur Stelle ist, wenn man einen Juden braucht, der über Israel herzieht, die Journalistin Gemma Pözgen, eine BDS-Unterstützerin, die den Film längst als propagandistisch abgekanzelt hatte, und Jörg Schönenborn, Fernsehdirektor des WDR.

Nicht anwesend: einer der Filmemacher oder die verantwortliche Redakteurin des WDR.

Die Talkshow wird mit einer Debatte zwischen Wolffsohn und Schönenborn eingeleitet, der WDR-Direktor verteidigt das Vorgehen seines Senders mit den bekannten Argumenten, die der blendend disponierte Wolfssohn mit dem besten Satz des Abends als scheinheilig entlarvt: „Wenn Sie die von Ihnen propagierten Standards immer anlegen würden, hätten Sie die meiste Zeit nur Testbilder.“

Schönenborn, den Maischberger amikal als „Jörg“ anspricht, verlässt nach der Auseinandersetzung mit Wolffsohn die Sendung, während dieser in die wartende Runde wechselt, in der über Antisemitismus gesprochen werden soll, nicht über die Dokumentation.

Was danach folgt, ist eine dieser Sendungen, bei deren Betrachtung sich Zorn und Bestürzung abwechseln.

Dämonisierung, Delegitimierung und Doppelte Standards

Wolffsohn definiert präzise den Antisemitismus-Begriff, erklärt dessen historische und religiöse Wurzeln und lobt den Film dafür, dass er nicht nur den rechten, sondern auch den linken und den islamischen Antisemitismus vor dem Hintergrund des Nahost-Konflikts benennt. Ahmad Mansour erzählt aus den 28 Jahren, die er in Israel gelebt hat, und beweist sich nicht nur als profunder Kenner des islamischen Antisemitismus, sondern auch als engagierter Fechter gegen Antisemitismus und die einseitigen Schuldzuweisungen an Israel.

Es hilft alles nichts. Frau Maischberger bringt es fertig, jede noch so offensichtliche Lüge, jede noch so verzerrte Darstellung, jede noch so unhaltbare Behauptung der Mitdiskutanten als gleichwertige Ansicht im Raum stehen zu lassen. Sind die Juden jetzt an allem schuld oder nicht? Die einen sagen so, die anderen so.

Man muss die Einlassungen von Rolf Verleger, dem Prototypen eines selbsthassenden Juden, von Gemma Pözgen, die mir bis vor kurzem glücklicherweise unbekannt war, und von Norbert Blüm, dieser fleischgewordenen Bigotterie, nicht wiederholen. Man kennt das alles, hat das alles schon gehört. Und doch paaren sich nicht oft geballte Ignoranz und moraltriefende Selbstgefälligkeit in dieser Wucht. Ich will mich zu den drei Diskutanten nicht weiter äußern. Schon allein deshalb, weil mir wenig zu ihnen einfällt, das nicht strafbar wäre.

Das Fazit des Abends ist ernüchternd. Die Art und Weise, wie der Sender den Film diskreditiert hat, richtet bei uninformierten Zusehern wahrscheinlich mehr Schaden an, als wenn er ihn gar nicht erst gezeigt hätte. Wir wurden Zeuge eines beispiellosen Akts der Rufschädigung an den Filmemachern. Der Sender reagierte auf die Dokumentation mit denselben Strategien, mit denen Antisemitismus definiert wird: Dämonisierung („einseitig“, „propagandistisch“), Delegitimierung („Verstoß gegen journalistische Standards“) und doppelte Standards, weil keine andere Doku je mit vergleichbaren Vorbehalten ausgestrahlt wurde, an keine andere Doku vergleichbare Maßstäbe angelegt worden sind.

Nach dem erbärmlichen Schauspiel stellt sich einmal mehr die Frage nach der Legitimation des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Es ist eine Sache, die Öffentlichkeit zu manipulieren, eine andere, sie auch noch unter Strafandrohung dafür zahlen zu lassen.

Zuerst erschienen auf MENA-WATCH

Über den Autor / die Autorin

Thomas M. Eppinger

Thomas Eppinger ist davon überzeugt, dass alle Menschen mit unveräußerlichen Rechten geboren sind, zu denen das Recht auf Leben, Freiheit und das Streben nach Glück gehören. Daraus ergab sich alles andere, auch diese Website.
Der Publizist ist 1961 in Vöcklabruck geboren, lebt heute in Graz und arbeitet in Wien als Lead Editor bei »Der Pragmaticus«. Davor leitete er den unabhängigen Nahost-Thinktank Mena-Watch.

2 comments

  • 100% d’accord mit dem Befund, lieber Thomas Eppinger! Die Einladungspolitik des Senders, die Unterbrechung der Dokumentation durch lächerliche “Täfelchen” z. Teil haarsträubenden Unsinns und die erbärmliche “Neutralität” Frau Maischbergers gegenüber einfach falsifizierbaren Behauptungen des antisemitischen Teils ihrer Gäste waren einfach nur zum Schämen! Disgusting!