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Photo: Götz Schrage, © Alle Rechte vorbehalten

JA zu einer islamischen Autokratie

Nach dem Ausgang des türkischen Referendums ist klar, das Erdoğan sein Projekt eines re-islamisierten osmanischen Reichs mit aller Vehemenz vorantreiben wird. Vor dem Hintergrund der vorangegangenen Propaganda und der Einschüchterung der regierungskritischen Bevölkerung sind 51,41% JA-Stimmen zwar kein überzeugendes Votum für den Umbau der türkischen Republik, doch für seine Pläne ausreichend ist es allemal.

Angesichts des knappen Ergebnisses wird Erdoğan umso konsequenter gegen tatsächliche und vermeintliche innenpolitische Gegner vorgehen. Skrupel werden ihn dabei nicht plagen. Nach dem Putschversuch im Juli wurden mehr als 40.000 Menschen inhaftiert, fast 90.000 Staatsbedienstete entlassen und hunderte Medienunternehmen geschlossen, immer wieder wird auch von Folterungen berichtet. Rund 150 Journalisten sitzen im Gefängnis. Für viele hat die Türkei inzwischen China als „größtes Gefängnis der Welt für Journalisten“ abgelöst.

Das Referendum ist der vorläufige Schlusspunkt einer stillen Revolution der religiösen Landbevölkerung gegen die urbanen säkularen Eliten des Landes. In den wirtschaftlichen und kulturellen Zentren des Landes wie Ankara, Antalya und Izmir brachte Erdoğan kein Bein auf den Boden und holte sich eine klare Abfuhr. Nicht einmal in Istanbul mit seinen riesigen Vorstädten, der Wiege von Erdoğans politischem Aufstieg, erreichte er eine Mehrheit. Mehr denn je ist die Türkei ein gespaltenes Land.

Erdoğans fünfte Kolonne

Knapp war das Ergebnis nur in der Türkei selbst. In Deutschland stimmten 63,07% mit JA, in Österreich sogar 73,23% der an der Abstimmung teilnehmenden Türken. In den USA stellten sich übrigens überwältigende 83,8 Prozent gegen Erdoğan, was vielleicht auf den Unterschied zwischen einer erfolgreichen Einwanderungspolitik und der unseren hinweisen mag.

Kaum stand das ernüchternde Ergebnis bei den deutschen und österreichischen Türken fest, schlugen die Verfechter der multikulturellen Gesellschaft in den in den Sozialen Medien statistische Salti, um es zu relativieren. Der grüne EU-Abgeordnete Michel Reimon schwadronierte von einer Wahlbeteiligung von 25% der hier lebenden Türken, andere bedienten sich eines besonderen Tricks um die Zahl der Befürworter Erdoğans kleinzurechnen: die Anzahl der JA-Stimmen wird nicht mit den Wahlberechtigten oder den gültigen Stimmen in Relation gesetzt sondern mit der gesamten türkischen Community. Wendete man dieses Modell auf die österreichische Nationalratswahlen an (Stimmen im Verhältnis zur gesamten Bevölkerung statt im Verhältnis zu den gültigen Stimmen), kamen 2013 zum Beispiel die SPÖ auf 14,9 und die Grünen auf 6,9 Prozent. Folgt man der Logik der Relativierer, wären 85% der Österreicher gegen die Partei des Kanzlers.

Die Fakten: Von der rd. 250.000 bis 300.000 Menschen zählenden türkischen Community in Österreich waren 108.561 Türken wahlberechtigt, von denen lt. Angaben der türkischen Wahlbehörde 52.187 ihre Stimme abgaben. Die Wahlbeteiligung von knapp 50 Prozent ist durchaus beachtlich, wenn man berücksichtigt, dass man nur in Bregenz, Salzburg und Wien seine Stimme abgeben konnte. Es gibt keinen Grund für die Annahme, dass die nicht wahlberechtigten türkisch-Stämmigen signifikant anders abgestimmt hätten als die wahlberechtigten.

Zwischen 60.000 und 100.000 der in Österreich lebenden Türken sind Kurden, ungefähr gleich viele sind Aleviten, beides Minderheiten, die in der Türkei Repressionen ausgesetzt sind und deren Angehörige niemals für die Verfassungsänderung gestimmt hätten. Man kann also davon ausgehen, dass die in Österreich lebenden Türken, die nicht den Kurden oder Aleviten angehören, fast geschlossen hinter Erdogans Plänen stehen.

Ein Votum für Islamismus, Chauvinismus und Todesstrafe

Was Hamed Abdel-Samad in Deutschland entsetzt kommentiert, trifft leider auch auf Österreich zu: Also sind die Türken in Deutschland gar nicht gespalten, was Erdogan angeht wie es in der Türkei der Fall ist, sondern stehen geschlossen hinter dem Islamismus, dem Chauvinismus und der Todesstrafe.“

Von Regierung, Medien und der breiten Öffentlichkeit weitgehend unbeachtet, hat Erdoğan seine Machtbasis in Österreich und Deutschland in den letzten Jahren beständig ausgebaut. Die national-fundamentalistische ‚Milli Görüs‘ Bewegung und die islamistische Muslimbruderschaft gewannen an Einfluss in den heimischen Islamverbänden, finanziert vom milliardenschweren ‚Diyanet‘, dem türkischen Präsidium für Religionsangelegenheiten. Auf Pro-Erdoğan Kundgebungen ist immer öfter der ‚Wolfsgruß‘ der faschistischen ‚Grauen Wölfe’ zu sehen. Spätestens mit dem Ausgang des Referendums ist klar, dass wir unsere Integrationspolitik und den Umgang mit den von der Türkei finanzierten Verbänden und Organisationen überdenken müssen.

Der Sieg Erdoğans ist nicht nur ein schwarzer Tag für alle demokratischen Kräfte in der Türkei. Die Türkei ist NATO-Mitglied und hat aufgrund der Vereinbarung mit Angela Merkel de facto die Sicherung der europäischen Außengrenzen übernommen. Solange Europa sicherheitspolitisch dermaßen eng mit der Türkei verbunden ist, wird es der schrittweisen Beseitigung der türkischen Demokratie weiterhin tatenlos zusehen.

Der Mann, von dem sich viele erhofft hatten, dass er die Türkei in die EU führen würde, hat diese Hoffnung auf Jahrzehnte hinaus beerdigt.

Zuerst erschienen auf MENA-WATCH
Replik von Thomas von der Osten-Sacken (Kommentare beachten)

Über den Autor / die Autorin

Thomas M. Eppinger

Thomas Eppinger ist davon überzeugt, dass alle Menschen mit unveräußerlichen Rechten geboren sind, zu denen das Recht auf Leben, Freiheit und das Streben nach Glück gehören. Daraus ergab sich alles andere, auch diese Website.
Der Publizist ist 1961 in Vöcklabruck geboren, lebt heute in Graz und arbeitet in Wien als Lead Editor bei »Der Pragmaticus«. Davor leitete er den unabhängigen Nahost-Thinktank Mena-Watch.